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Humanitäre Hilfe für Demokratie

Jean-Daniel Ruch: Das humanitäre Engagement steht im Vordergrund. Keystone

Aus den arabischen Ländern, wo Menschen für Demokratie kämpfen, kommen täglich neue Meldungen. Wie unterstützt die Schweiz diese Bestrebungen? Jean-Daniel Ruch, der Schweizer Sonderbeauftragte für den Mittleren Osten, steht Red und Antwort.

swissinfo.ch: Als Reaktion auf die Volksaufstände im arabischen Raum hat die Schweizer Regierung angekündigt, das bestehende Engagement der Schweiz zu verstärken. Wo soll dies geschehen?

Jean-Daniel Ruch: Prioritär ist das humanitäre Engagement. In den nächsten Monaten werden die Wahlen und die Änderungen der Verfassungen besonders beachtet. Die Pressefreiheit ist ein weiteres Thema.

Sobald in Tunesien und Ägypten demokratisch legitimierte Regierungen ihre Arbeit beginnen, geht es an die grossen Herausforderungen im sozialen und gesellschaftlichen Bereich und bei den institutionellen Reformen.

swissinfo.ch: Die Völker, die nun viele Jahrzehnte Diktaturen ertragen mussten, wünschen sich demokratische Systeme, auf die Verlass ist. Wie kann die Schweiz hier helfen? 

J.-D. R. : Die Schweiz verfügt über Erfahrungswissen, egal ob es um das Abhalten von Wahlen, die Information über die Medien oder um die Reformen in der Sicherheitspolitik geht. Wir bringen diese Expertise gerne ein, möchten uns aber nicht aufdrängen.

Die Revolutionen in Tunesien und Ägypten sind ja gerade von der Zivilbevölkerung ausgegangen. Es liegt nun an ihr, die Reformen durchzuführen, und nicht an Akteuren, die von aussen kommen.

swissinfo.ch: In Libyen kompliziert sich die Situation und führt zu einer humanitären Katastrophe. Was kann die Schweiz hier tun? 

J.-D. R. : Unsere humanitäre Hilfe an der libysch-ägyptischen Grenze ist bereits sehr geschätzt. Wegen der Sicherheitssituation lässt sich dort im Moment nicht mehr machen. Man hört von Wellen der Repression, begleitet von Exekutionen, Vergewaltigungen und dem Verschwinden von Personen. Diese Verbrechen dürfen nicht unbestraft bleiben. Es gilt, die Arbeit des Internationalen Gerichtshofs, der vom Sicherheitsrat beauftragt worden ist, zu unterstützen. 

swissinfo.ch: Ist ein Aussenposten der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit in Bengasi noch ein Thema?

Es handelt sich um eine humanitäre Hilfe, natürlich mit Blick auf die Sicherheitssituation. Die Humanitäre Hilfe plant, medizinisches Material für 10’000 Personen für die nächsten drei Monaten in die Spitäler der Region Benasi zu verteilen. Dazu braucht es eine Zusammenarbeit mit Vertrauenspersonen.

swissinfo.ch: Diese Länder werden auch Rechtshilfe benötigen, um an die Gelder zu gelangen, die auf ausländischen und Schweizer Banken deponiert sind, und die von den Repräsentationen der alten Regimes dort aufgehäuft wurden. Die Schweiz hat diese Konten bereits blockiert. Was wird sie als nächstes tun?

J.-D. R. :Nach dem schnellen Blockieren dieser Vermögen hat die Schweiz jetzt ein Interesse daran, dass jene, die wirklich auf dieses Geld Anrecht haben, schnell identifiziert werden. Und zwar innerhalb von rechtsstaatlich konformen Prozeduren um die Rückgabe dieser Gelder.

Die Schweiz ist bereit, hier den betroffenen Staaten zu helfen. Tunesien und Ägypten haben bereits Rechtshilfegesuche an die Schweiz gestellt. Die Schweizer Behörden stehen im Kontakt mit den beiden Ländern.

swissinfo.ch: In welchem Rahmen bewegt sich das Budget, das für dieses Engagement vorgesehen ist?

J.-D. R. : Wir stellen dieses Jahr elf Mio. Franken für die demokratische Transition Ägyptens und Tunesiens bereit. Wie viel dann wirklich ausgegeben werden wird, hängt aber auch von der Entwicklung der Situation ab.

swissinfo.ch: Die Schweiz hat in diesen Ländern auch wirtschaftliche und energiepolitische Interessen. Für die Rechtsparteien wiederum stehen die Gefahren einer überbordenden Migration im Vordergrund. Ist das wirklich eine Gefahr?

J.-D. R. :Man darf solche Risiken weder minimieren noch übertreiben. Im Rahmen der europäischen Frontex arbeitet die Schweiz mit der EU zusammen. Sie hat auch weitere Vorsichtsmassnahmen getroffen. Jede Krise eröffnet bekanntlich auch Chancen. Wir möchten sowohl die Risiken erkennen als auch die Chancen erfassen. Die ganze Welt ist an einem Nordafrika interessiert, das demokratisch und stabil wird.

swissinfo.ch: Sowohl der offizielle Vertreter Libyens in Bern als auch derjenige bei der UNO in Genf haben sich auf die Seite der Aufständischen geschlagen. Anerkennt die Schweiz die beiden als Repräsentanten des libyschen Volkes?

J.-D. R.: Die Schweiz anerkennt Staaten, nicht Regierungen. Vergangene Woche traf die Bundespräsidentin mit Mahmud Jibril zusammen, einem der Führer der Opposition gegen Gaddafi. Wir haben selbstverständlich die Veränderungen bei den Vertretungen Libyens in Bern und Genf zur Kenntnis genommen. Es hindert uns nichts daran, unsere Kontakte zu diesen beiden Vertretungen weiter zu führen.

Die Schweiz hat am Freitag die Resolution des UNO-Sicherheitsrates zur Einrichtung einer Flugverbotszone über Libyen anerkannt.

Die Schweiz hoffe auf eine rasche Umsetzung, teilte das Eidg. Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) mit.

Mit der Resolution würden die notwendigen Voraussetzungen geschaffen, um das Leiden der wehrlosen Zivilbevölkerung in Libyen zu beenden.

Die Schweiz verurteile jede nicht demokratisch legitimierte Gewalt von Behörden gegen die eigene Bevölkerung aufs Schärfste, schrieb das EDA.

Die Verantwortlichen – soweit sie nicht in ihren Ländern nach Gebühr bestraft würden – müssten in besonders schweren Fällen vor einem internationalen Gericht zur Rechenschaft gezogen werden.

Am Freitagmittag hat Libyen einen sofortigen Waffenstillstand verkündet.

Libyen akzeptiere die UNO-Resolution, die ein sofortiges Ende der Kämpfe verlangt, sagte Aussenminister Moussa Koussa.

«Die Republik Libyen unternimmt alles, um die Zivilbevölkerung zu schützen und ihr die benötigte humanitäre Hilfe zukommen zu lassen», sagte er am libyschen Fernsehen.

Noch kurz vor der Erklärung Koussas hatten libysche Truppen einen neuen Angriff gegen die von Rebellen gehaltene Stadt Misrata gestartet.

Übertragung aus dem Französischen: Alexander Künzle und Renat Kuenzi

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