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Im Herzen der Schweizer Politik

Junge spanischsprechende Auslandschweizer im Bundeshaus. swissinfo.ch

Die jungen Auslandschweizer, die jedes Jahr das Bundeshaus in Bern besuchen, sind vom helvetischen politischen System überrascht.

Viele hören zum ersten Mal von direkter Demokratie, Konsens und Konkordanz – und erst noch direkt von der Bundespräsidentin.

Die 36 Jugendlichen, die sich letzte Woche im Bundeshaus, dem Sitz der Regierung und des Parlaments, trafen, kommen aus der ganzen Welt. Sie wurden von der Stiftung für junge Auslandschweizer (SJAS) eingeladen.

Die Gruppe war vom 11. bis 25 August in St.Cergue (Waadt) in einem Sommerferienlager. Bundespräsidentin Micheline Calmy-Rey empfing die jungen Auslandschweizer im Bundeshaus. Sie unterhielt sich mit ihnen auf Deutsch, Französisch und vor allem auf Englisch.

Nach dem Empfang versammelte swissinfo die spanischsprechenden Kinder: vier aus Argentinien, die Geschwister Augustina, Guillermo, Josefina und Teresita Zancaner, zwei aus Spanien, Martín und Mónica Sedó, sowie Naima Guevara Rodríguez, eine schweizerisch-kolumbianische Doppelbürgerin, die ebenfalls in Spanien lebt.

Die Schweiz, eine andere Demokratie

«Ich habe recht viel gelernt. Unter anderem habe ich erfahren, dass die Schweiz eine unterschiedliche demokratische Regierung hat und nicht Mitglied der EU sein will», sagt die 14-jährige Josefina und fügt hinzu: «Die Bundespräsidentin ist sehr sympathisch. Vor vier Jahren, als ich in einem Lager in der deutschsprachigen Schweiz war, kam ich auch ins Bundeshaus. Damals empfing uns ein sehr grosser Herr, aber ich kann mich nicht mehr an seinen Namen erinnern.»

Das Mädchen versichert, dass es sich nach diesen Ferien mehr zur Schweiz hingezogen fühlt. «Ich kenne das Land und seine liebenswürdigen Leute besser. Alles ist sehr sauber und organisiert. Mir gefällt´s hier in der Ersten Welt gut, aber ich freue mich auch darauf, mit meinen drei Geschwistern nach Buenos Aires zurückzukehren.»

Der 11-jährige Guillermo meint, er wisse nun mehr über sein Land und will zurückkommen, «um andere Bundespräsidenten kennenzulernen und zu erfahren, ob sie dasselbe denken (wie Calmy-Rey).»

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ASO

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Die Auslandschweizer-Organisation (ASO) vertritt in der Schweiz die Interessen der rund 650’000 Auslandschweizerinnen und -schweizer. Sie informiert die Landsleute im Ausland über das Geschehen in der Schweiz und bietet ihnen eine breite Palette von Dienstleistungen an. Die 1916 gegründete Organisation wird von rund 750 Schweizervereinen und schweizerischen Institutionen in aller Welt getragen.

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Sie wollen Deutsch lernen

Die Geschwister Zancaner wissen, dass ihre Schweizer Wurzeln vom Grossvater väterlicherseits stammen. Er wanderte mit 19 Jahren von Winterthur nach Agentinien aus.

«Jetzt habe ich Lust, Deutsch zu lernen, um beim nächsten Besuch besser verstehen zu können», erklärt die 13-jährige Augustina.

Das jünste der Geschwister Zancaner, die 9-jährige Teresita, zeigt sich überrascht über eine Antwort der Bundespräsidentin: «Sie sagte, dass ihr Sport nicht gefällt.»

Ihre Schwester Augustina ewidert: «Aber sie will das Beste für die Schweiz. In Argentinien wäre es nicht möglich, ein solches Treffen zu organisieren. Beide Länder sind verschieden. Die Schweiz ist sehr gut organisiert, und wenn die Leute etwas unternehmen, denken sie ans Gemeinwohl.»

Die 13-jährige Naima verstand «mehr oder weniger», was Calmy-Rey erläuterte, weil sie an der Schweizer Schule in Madrid drei Jahre Französisch und Deutsch lernte: «Mich hat überrascht, dass sieben Personen (die Bundesräte) ein Land regieren können, obwohl sie verschiedene Meinungen haben. Für mich wäre das sehr schwierig.»

Nur zwei Frauen unter fünf Männern

Es fiel ihr auch auf, dass es im Bundesrat unter fünf Männern nur zwei Frauen gibt. «Ich war überrascht, dass der Präsidentin Sport nichts sagt. Mir gefällt Fussball – ich bin Fan von Barcelona – und Tennis; ich bewundere Roger Federer.»

Naima wurde in Genf geboren. «Mein Vater ist Kolumbianer und meine Mutter halb Schweizerin und halb Argentinierin. Sie wollte die Welt kennenlernen und kam in die Schweiz, weil sie sich in einen Schweizer verliebt hatte. Sie heirateten und schieden sich später. Auf dem Bahnhof in Genf lernte sie meinen Vater kennen, sie heirateten und hatten zwei Kinder, mich und meinen Bruder Samuel.»

Sauberes Land

«Somit bist Du ein viertel Schweizerin», sagen wir ihr. «Stimmt, aber ich fühle mich 100% Schweizerin und bin stolz auf mein Land. Ich schätze die Sauberkeit. In Spanien, Kolumbien und Argentinien sind die Strassen schmutzig, hier nicht.»

Martín Sedó lebt in Barcelona und ist Schweizer dank seiner Grosmutter väterlicherseits. «Die Schweiz ist das zivilsierteste Land, es ist wie ein Paradies», sagt der Jugendliche. «Die Leute respektieren sich, die Strassen sind sauber, und sogar in den Grosstädten hat´s Bäume und Pärke.»

Die Bundespräsidentin treibt keinen Sport

Am meisten beeidndruckte ihn die Bundespräsidentin, «die von dem, was sie sagt, sehr überzeugt ist. Ich glaube,es ist nicht leicht, dass sieben Personen gemeinsam die Regierung führen und sich dennoch einigen können.»

Für Martín war es auch eine grosse Enttäuschung, dass Calmy-Rey keinen Sport treibt. «Ich bin sehr sportlich und wenn ich Tennistourniere schaue, stehe ich auf Nadal, aber Federer ist besser.»

Seine 10-jährige Schwester Mónica war zufrieden, weil die Präsidentin alle Fragen beantwortete. Sie sagt, dass sie glücklich und traurig nach Hause gehe und die schönen Bilder der Alpen nach Barcelona mitnehme.

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Fünfte Schweiz

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Die Fünfte Schweiz bezeichnet die Gesamtheit der Schweizer Gemeinden im Ausland. Der Begriff Fünfte Schweiz nimmt Bezug auf die vier sprachregionalen Gemeinden der Schweiz (deutsch-, französisch-, italienisch- und romanischsprachige Schweiz). Über 600’000 Schweizerinnen und Schweizer leben im Ausland, der grösste Teil in Ländern der Europäischen Union. Ihre Interessen werden durch die Auslandschweizer-Organisation (ASO) vertreten.

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Eine Hälfte von mir

Anthony Rüegg konnte seine Neugier nicht verbergen und näherte sich den spanischsprechenden Kindern. Er wollte keine Antwort geben, wohl aber seine 13-jährige Schwester Anuschka. Die Geschwister sind schweizerisch-chinesische Doppelbürger und besuchen in Peking die Deutsche Schule.

In der chinesischen Hauptstadt leben sie bei den Grosseltern mütterlicherseits. Die Mutter ist Theaterdirektorin. «Für mich ist die Schweiz immer gegenwärtig; sie bedeutet eine Hälfte von mir, meinen verstorbenen Vater und meine vier hiesigen Cousins», meint Anuschka traurig.

Die Geschwister Rüegg kommen alle zwei Jahre in die Schweiz, «um reine Luft zu atmen, denn in Peking hat´s zu viel Umweltverschmutzung, um mit liebenswürdigen Leuten zu sprechen und vor allem um die schönen Berge zu betrachten».

Die Unterhaltung mit den Kindern ist zu Ende, aber da taucht Xenia Marchesini aus Italien auf. Sie spricht auch Spanisch. «Sind sie aus Peru?», fragt sie. «Meine Mutter, Cristina Piazza, ist schweizerisch-peruanische Doppelbürgerin.»

Xenia möchte weiter diskutieren, doch der Gruppenleiter sagt, dass sie aufbrechen müssen, um das Programm zu erfüllen.

swissinfo, Rosa Amelia Fierro
(Übertragung aus dem Spanischen: Regula Ochsenbein)

Die Ferienlager der SJAS werden seit 90 Jahren im Sommer und Winter durchgeführt.

Der Besuch im Bundeshaus ist seit 30 Jahren Tradition.

Ziel des Besuchs ist es, jungen Auslandschweizern das politische System der Schweiz näher zu bringen.

Die Ferienlager ermöglichen Jugendlichen der Fünften Schweiz, die Heimat ihrer Vorfahren zu besuchen, ihre Wurzeln kennenzulernen und ihre Schweizer Identität zu entdecken oder zu verfestigen.

Kann die Familie die Reise nicht bezahlen, wird sie von der Stiftung unterstützt. Dazu besteht ein Budget von 500’000 Franken, das aus den Beiträgen der 22 kantonalen Komitees, Schenkungen und Bundesbeiträgen finanziert wird.

Im laufenden Jahr nahmen von Anfang Juli bis Ende August 310 Jugendliche an acht Sommerlagern teil. In die Winterlager kamen 100 Kinder.

Die Lager befanden sich in Scuol und Bergün (Graubünden), Stoos (Schwyz), Dangio-Torre (Tessin), Prêles, Wengen (Bern) und St.Cergue (Waadt).

Die SJAS lädt jährlich ungfähr 300 Kinder ein. Zum Anlass ihres diesjährigen 90. Geburtstags waren es 400.

Die Mehrheit stammt aus Europa, darauf folgen Amerika, Afrika, Asien, arabische Länder und zuletzt Ozeanien.

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