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Kohäsionsmilliarde kommt vors Volk

Polen würde von den Schweizer Kohäsionszahlungen am meisten profitieren. Keystone

Das Schweizer Stimmvolk wird am 26. November über den Kohäsionsbeitrag von einer Milliarde Franken an die zehn neuen Staaten der Europäischen Union entscheiden.

Die Schweizerische Volkspartei (SVP) hat am Mittwoch ihr Referendum gegen die «Tributzahlungen an die EU» bei der Bundeskanzlei in Bern eingereicht.

Mit 70’905 beglaubigten Unterschriften untermauerte die SVP ihren Widerstand gegen die Gesetzesgrundlage für die so genannte Kohäsionsmilliarde zu Gunsten der neuen EU-Länder. Damit scheint das Referendum gegen das Osthilfegesetz zu Stande gekommen zu sein, noch bevor die Schweizer Demokraten (10’000) und die Lega dei Ticinesi ihre gesammelten Unterschriften deponiert haben.

Am meisten Unterschriften kamen in den Kantonen Zürich, Bern, Aargau, Luzern und St. Gallen zusammen. Relativ gering war die Resonanz des Referendums in der Westschweiz und im Tessin.

Finanzpolitische Gründe

SVP-Präsident Ueli Maurer begründete den Widerstand seiner Partei vorab mit finanzpolitischen Gründen. Der Bundesrat habe von Beginn weg versprochen, die Milliarde in den Departementen für Volkswirtschaft und auswärtige Angelegenheiten zu kompensieren. Nun sei davon aber keine Rede mehr. Die ohnehin schon überschuldete Bundeskasse müsse nun zu 40% dafür aufkommen.

Zudem befürchtet die SVP, dass die Milliarde nur die erste von weiteren Zahlungen sein würde, gegen die sich das Volk dann nicht mehr wehren könnte. «Wir dürfen nicht die Türe öffnen für Zahlungen à discretion», sagte Maurer.

Die Kohäsionsmilliarde sei eine «Tributzahlung» an die EU, doppelte SVP-Nationalrat Ulrich Schlüer nach. Die Schweiz werde erpresst. Es sei absehbar, dass das Land nach der Milliarde weitere 350 Millionen Franken für den für 2007 vereinbarten EU-Beitritt Rumäniens und Bulgariens zahlen müsse.

Nicht ohne Gegenleistung

Einmal mehr setze die Landesregierung gegenüber Brüssel «duckmäuserisch» und «unterwürfig» elementare Interessen der Schweiz aufs Spiel, sagte Schlüer. Sie müsste durch kein Abkommen legitimierte finanzielle Ansprüche der EU zurückweisen.

Wenn schon, müsste sie eine Gegenleistung aushandeln. Maurer rechnet damit, dass dies auch die Ansicht der Wirtschaft ist und diese die SVP unterstützt.

Der Wirtschaftsdachverband economiesuisse winkte aber umgehend ab und stellte klar, dass er hinter der Kohäsionsmilliarde steht. Im Visier hat die SVP noch den Gewerbeverband. Dieser stehe noch in SVP-Schuld, da die Volkspartei ihm das Referendum für die Kinderzulagen gerettet habe, sagte Maurer.

Auch die Befürworter gruppieren sich

Als rein wahltaktisch motiviert, bezeichnen die ‹yes – young european swiss› das Referendum. Die sich vorwiegend aus den Jugendparteien der Bundesratsparteien (ohne die SVP) rekrutierenden Jugendlichen sind zuversichtlich, dass die Schweiz nach fünf erfolgreichen öffnungspolitischen Abstimmungen auch diese sechste Hürde nehmen werde.

Die Neue Europäische Bewegung Schweiz (Nebs) kritisiert, die SVP torpediere die Beziehungen der Schweiz zur EU einmal mehr. Eine Ablehnung des Osthilfegesetzes würde die anstehenden bilateralen Verhandlungen – Stromabkommen, Agrarfreihandel und Teilnahme am europäischen Satellitensystem Gallileo – massiv in Frage stellen.

Für die anstehende Referendums-Abstimmung hat sich eine breit abgestützte Runde von Befürwortern formiert. Sie haben ein Komitee gegründet, das bis anhin von einem Co-Präsidium aus 13 Parlamentariern aus der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz (SP), der Freisinnig-Demokratischen Partei (FDP), der Christlichdemokratischen Volkspartei (CVP) und der Evangelischen Volkspartei (EVP) geleitet wird.

Das Komitee warnt davor, mit einem Nein zur Kohäsionsmilliarde die guten Beziehungen der Schweiz zur EU zu gefährden. Die Zahlung an die zehn neuen EU-Länder sei überdies eine Investition in die Zukunft, da diese Staaten weiterhin wichtige Handelspartner der Schweiz sein werden.

EU erwartet den Zustupf aus der Schweiz

EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso hat letzte Woche gegenüber Bundespräsident Moritz Leuenberger betont, die soziale Stabilität der neuen EU-Staaten liege im Interesse aller, auch in jenem der Schweiz als Nicht-EU-Mitglied.

Zudem warnte er in Interviews vor dem Treffen, ein Nein der Schweiz zur Kohäsionsmilliarde wäre ein schlechtes Zeichen.

swissinfo und Agenturen

Verteilung der Schweizer Kohäsionsgelder (Beträge auf 1 Mio. Fr. gerundet):

489 Mio. Franken sollen nach Polen, 131 Mio. nach Ungarn und 110 Mio. nach Tschechien fliessen.

Litauen erhält 71 Mio., die Slowakei 67 Mio., Lettland 60 Mio., Estland 40 Mio., Slowenien 22 Mio., Zypern 6 Mio. und Malta 3 Mio. Fr.

Zwei Mio. Franken sollen als Restbetrag für spätere hochprioritäre Projekte reserviert bleiben.

Der Kohäsionsfonds der Europäischen Union (EU) ist ein 1994 eingeführtes strukturelles Instrument, das helfen soll, ökonomische und soziale Unterschiede zwischen den EU-Mitgliedsstaaten auszugleichen.

2004 hat die EU die Schweiz aufgefordert, sich an der Finanzierung der europäischen Kohäsion für die neuen EU-Mitglieder mit der selben Summe zu beteiligen, wie die anderen Länder der Europäischen Freihandels-Assoziation EFTA (neben der Schweiz Norwegen, Island, und Liechtenstein).

Im März 2006 hat das Schweizer Parlament die Finanzierung des Kohäsionsfonds genehmigt.

Die Milliarde, die innerhalb von 5 Jahren in Tranchen ausbezahlt werden soll, kommt hauptsächlich aus den Budgets des Finanzministeriums, des Aussenministeriums und der Osthilfe.

Nachdem das Referendum von Parteien aus dem rechten Spektrum eingereicht wurde, wird das Schweizer Stimmvolk am 26. November über die Kohäsionsmilliarde abstimmen können.

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