Merz rechtfertigt seine Libyen-Mission
Bundespräsident Hans-Rudolf Merz hat an einer Medienkonferenz zu seiner Reise nach Tripolis angekündigt, dass die beiden in Libyen festgehaltenen Schweizer "nächste Woche" in die Schweiz zurückkehren können.
Merz hofft, die beiden Festgehaltenen bald am Flughafen begrüssen zu können. Der libysche Premierminister habe ihm versprochen, die beiden wegen angeblicher Visumsvergehen inhaftierten Schweizer freizulassen.
Als Führungsentscheid in einer völlig blockierten Situation rechtfertigte der Bundespräsident die Entschuldigung gegenüber Libyen und die Unterzeichnung des Abkommens zur Beilegung der Affäre Gaddafi.
Die Entschuldigung für die Verhaftung des libyschen Herrschersohns Hannibal Gaddafi war laut Merz unvermeidlich, um ein Abkommen abschliessen zu können.
«Gordischen Knoten durchschlagen»
Er stehe zu diesem Vertrag und übernehme dafür die Verantwortung – mit allen Konsequenzen, sagte Merz in Bern. Man habe einen gordischen Knoten durchschlagen müssen, nachdem die Forderungen aus Libyen zu eskalieren drohten und sich nichts mehr bewegt habe. Sein zentrales Anliegen für den Abschluss des Vertrags sei die Befreiung der beiden Geiseln gewesen,
Sollten die Schweizer nicht ausreisen dürfen, will Merz nochmals nach Libyen reisen. «Werde ich scheitern, werde ich mein Gesicht verlieren», sagte er.
Merz fügte an, der Vertrag sei dem Gesamtbundesrat nicht zum Entscheid unterbreitet worden. Der Bundesrat sei aber auf dem Laufenden gehalten worden, ohne in die Details eingeweiht zu werden.
Er respektiere gleichzeitig den Kanton Genf, und es liege ihm fern ihn anzuschwärzen, sagte Merz weiter. Gemäss Vertrag soll nun ein Schiedsgericht die Verhaftung in Genf im Juli 2008 untersuchen.
Harsche Kritik aus dem Kanton Genf
Der Kanton Genf, wo die Affäre um Gaddafis Sohn Hannibal ihren Anfang nahm, fühlt sich vom Bund im Stich gelassen, wie der Staatsrat festhält.
Er kritisiert, dass die Eidgenossenschaft es einem ausländischen Schiedsgericht überlasse, über Schuld oder Unschuld zu entscheiden. Der Kanton Genf sucht deshalb Unterstützung bei der Konferenz der Kantonsregierungen (KdK).
Bleiben Schweizer Recht und Föderalismus auf der Strecke?
Auch der emeritierte Freiburger Staats- und Völkerrechtler Thomas Fleiner kritisiert das Abkommen. Dieses heble mit dem Gang an ein Schiedsgericht Schweizer Recht und den Föderalismus aus.
Vor allem gegenüber dem Kanton Genf sei dieses Vorgehen problematisch, sagte Fleiner. Die Schweiz habe einen Eingriff in ihre Souveränität zugelassen: «Nebst dem Schweizer Recht wurde auch die Schweizer Gerichtskompetenz mehr oder weniger ausgehebelt.»
Fleiner vergleicht das Abkommen mit jenem, das die Schweiz mit den USA zugunsten der UBS eingegangen ist. Im Fall der UBS habe ein ausländischer Staat ein Unternehmen unter Druck gesetzt; Gaddafi dagegen habe nun Einzelpersonen unter Druck gesetzt. In beiden Fälle habe der Schweizer Staat eingreifen müssen – was im Prinzip nicht richtig sei.
«Die Schweiz ist schlecht gewappnet für solche Situationen», so Fleiner weiter.
Dick Marty: Irritation und Erleichterung
Mit Irritation aber auch Erleichterung hat Dick Marty, Präsident der Aussenpolitischen Kommission des Ständerats (APK), das Abkommen zur Kenntnis genommen. Aus seiner Sicht habe die Schweiz kapitulieren müssen, sie sei gedemütigt worden.
«Die Schweiz musste sich für etwas entschuldigen, für das es keinen Grund gab», sagte der Tessiner freisinnige Ständerat. Damit seien Grundsätze verletzt worden – etwa den der Gleichbehandlung. «Hannibal Gaddafi hatte keinen Diplomatenstatus bei der Verhaftung», hielt Marty fest.
Andererseits sei er auch erleichtert über das Ende Krise. «Die Situation war zuvor blockiert und die Schweiz hat alles versucht, um sie zu lösen.»
Froh sei er auch darüber, dass die beiden festgehaltenen Personen – «Geiseln» – frei kommen sollen. Sie seien im höchsten Grade ungerecht behandelt worden. Kein Verständnis aber zeigt Marty dafür, dass die beiden Personen nicht mit Merz in die Schweiz ausreisen konnten. «Da hätte die Schweiz nicht nachgeben dürfen.»
swissinfo.ch und Agenturen
Das schweizerisch-libysche Abkommen zur Beilegung der Affäre Gaddafi umfasst 7 Punkte. Hier die wichtigsten Bestimmungen des auf englisch und arabisch abgefassten Abkommens, das die Unterschriften von Premierminister Al Baghdadi El-Mahmudi und Bundespräsident Hans-Rudolf Merz trägt:
Gemäss Punkt 1 soll sich die Schweizer Regierung öffentlich für die ungerechtfertigte und unnötige Verhaftung («unjustified and unnecessary arrest») des libyschen Diplomaten (Hannibal Gaddafi) und seiner Familie durch die Genfer Polizei «und andere Schweizer Beamte» entschuldigen.
2. Beide Staaten setzen gemeinsam ein dreiköpfiges Schiedsgericht zur Untersuchung der Affäre ein. Die jeweiligen Parteien wählen zwei Schiedsrichter aus Drittstaaten aus. Diese wählen gemeinsam einen dritten aus, den Vorsitzenden des Gremiums.
Die Parteien teilen sich die Kosten des Schiedsgerichts. Sein Sitz ist London. Es soll nationale und internationale Rechtsgrundsätze anwenden und innerhalb von 60 Tagen ein Urteil fällen. Beide Länder verpflichten sich, sich daran zu halten.
3. Falls das Gericht unrechtmässige Handlungen («wrongfull actions») feststellt, müssen die Schweizer Behörden die notwendigen Schritte gegen die Verantwortlichen einleiten.
4.Stellt das Gericht kriminelle Handlungen oder Gesetzesverletzungen fest, müssen der oder die Verantwortlichen vor Gericht gezogen werden.
5.In seinem solchen Fall muss eine vom Gericht festgelegte Entschädigung an die Opfer oder an eine von diesen benannte Organisation gezahlt werden.
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