Personenfreizügigkeit auf dem Prüfstand
Das Personenfreizügigkeits-Abkommen zwischen der Schweiz und der EU soll auf die neuen EU-Staaten in Ost- und Südeuropa ausgedehnt werden.
Weil Ende April mit rund 93’000 gültigen Unterschriften das Referendum eingereicht worden ist, kommt das Dossier am 25. September 2005 an die Urne.
Die ersten bilateralen Verträge zwischen der Schweiz und der EU bestehen aus sieben Dossiers. Die gesamten Bilateralen I wurden im Mai 2000 vom Schweizer Stimmvolk mit 67,2% Ja-Stimmen genehmigt. Dazu gehört auch das Personenfreizügigkeits-Abkommen, das seit dem 1. Juni 2002 in Kraft ist.
Dieses ermöglicht Schweizer Bürgerinnen und Bürgern, in der EU zu arbeiten und sich dort niederzulassen. Umgekehrt gelten für EU-Bürgerinnen und Bürger dieselben Regeln in der Schweiz.
Die Bedingung: Erwerbstätige müssen über einen Arbeitsvertrag verfügen oder den Lebensunterhalt aus eigenen Mitteln finanzieren können. Für Arbeitslose gilt die Freizügigkeit nicht.
Referendum gegen Ausdehnung
Nun soll dieses Abkommen auf die neuen EU-Staaten im Osten und Süden Europas ausgedehnt werden. Dagegen haben die Schweizerische Volkspartei (SVP) und kleinere Rechtsparteien mit Unterstützung linker Gruppierungen erfolgreich das Referendum ergriffen.
Das Abkommen sieht wie der bereits für die bisherigen EU-Länder geltende freie Personenverkehr verschiedene Regelungen vor, um die Zuwanderung in die Schweiz zu regeln.
So soll unter anderem die Anzahl der Dauer- und Kurzaufenthalte bis 2011 begrenzt und nur schrittweise erhöht werden. Ausländische Arbeitskräfte sollen nur dann eine Arbeitsstelle erhalten, wenn in der Schweiz niemand mit gleicher Qualifikation zur Verfügung steht.
Flankierende Massnahmen sollen dafür sorgen, dass es zu keinem Missbrauch der Personenfreizügigkeit kommt. Dazu gehören die Kontrolle von Anstellungs- und Arbeitsbedingungen durch Arbeitsmarkt-Inspektoren.
Soziale Zeitbombe?
Während sich die Befürworter durch das Abkommen einen wirtschaftlichen Nutzen für die Schweiz versprechen, befürchten die Gegner eine uneingeschränkte Einwanderung in die Schweiz und eine zusätzliche Belastung der Sozialwerke.
«Ich finde, dass wir mit der Ausweitung des freien Personenverkehrs angesichts des sozialen und finanziellen Gefälles sehr stark Armut importieren werden», sagt Oskar Freysinger, Nationalrat der Schweizerischen Volkspartei (SVP) und Co-Präsident des Referendums-Komitees, gegenüber swissinfo.
Doris Leuthard, Parteipräsidentin der Christlichdemokratischen Volkspartei (CVP), kontert: «Wir von der Befürworterseite schätzen, dass diese Risiken sehr eingeschränkt sind.»
Dies, weil der Markt erst 2011 vollständig geöffnet werde, wenn der Lebensstandard in diesen Ländern bereits angehoben sei, und weil flankierende Massnahmen vorgesehen seien. «Und drittens, weil natürlich jeder zuerst auch einen Arbeitsvertrag braucht, um in der Schweiz arbeiten zu können.»
Debatte um flankierende Massnahmen
Doch Freysinger ist der Meinung, dass der Arbeitsmarkt besser durch Einwanderungs-Kontingente geschützt werden könne, statt durch flankierende Massnahmen.
Er befürchtet, dass diese leicht umgangen werden könnten, was zu massiven Lohneinbussen im Inland führen würde. «Wir haben als Verantwortliche für die Schweizer Politik dafür zu sorgen, dass der Schweizer Arbeiter nicht unter ein bestimmtes Niveau fällt.»
Mit diesem Anspruch an die Politik ist auch Leuthard einverstanden. «Und deshalb haben wir hier zum Schutze unseres einheimischen Arbeitsmarktes die flankierenden Massnahmen eingeführt.» Für ihre Partei würden diese zusätzlichen Schutzklauseln genügen.
Nur Volksmehr ausschlaggebend
Da es sich bei der Vorlage um ein Referendum gegen einen Staatsvertrag handelt, ist am 25. September 2005 einzig das Volksmehr ausschlaggebend.
Bei einer Annahme der Vorlage könnte das Protokoll über die Ausdehnung der Personenfreizügigkeit Ende 2005/Anfang 2006 in Kraft treten. Bis dahin gelten Erwerbstätige aus den neuen EU-Ländern auf dem Schweizer Arbeitsmarkt als Nicht-EU-Angehörige.
swissinfo, Christian Raaflaub
Das bereits geltende Abkommen zwischen der Schweiz und der EU über die Personenfreizügigkeit soll schrittweise und kontrolliert auf die zehn neuen EU-Staaten ausgedehnt werden.
Es sind dies Estland, Lettland, Litauen, Malta, Polen, Slowakei, Slowenien, Tschechien, Ungarn und Zypern.
Gleichzeitig sollen die flankierenden Massnahmen verbessert werden, um Billiglöhne und missbräuchliche Arbeitsbedingungen wirksamer bekämpfen zu können.
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