«Wir haben zu viele Spitäler»: Unser Talk zu den Prämieninitiativen
Immer mehr Menschen in der Schweiz können ihre Krankenversicherung kaum noch bezahlen. Die Kosten im Schweizer Gesundheitswesen steigen seit Jahren ungebremst. Was ist zu tun?
Jetzt kommen zwei Volksinitiativen zur Abstimmung. Beide sollen die Prämienlast senken. Die erste Initiative will die Versicherungsprämien auf 10% des Einkommens begrenzen. Absender: Die Sozialdemokrat:innen. Die zweite will die Gesundheitskosten deckeln: Absenderin ist die Mitte-Partei.
Aber welches ist die richtige Lösung? Und: Gibt es überhaupt eine?
Bei «Let’s Talk», dem Debattenformat von SWI swissinfo.ch, diskutierten:
- Sarah Wyss, Nationalrätin der SP. Sie macht seit 15 Jahren Gesundheitspolitik.
- Patrick Hässig, Nationalrat der Grünliberalen. Er arbeitet in der Notfallabteilung des Zürcher Triemlispitals als Pfleger.
- Marc Rüdisüli, Präsident der Jungen Mitte.
Die SP will die Krankenversicherungsprämien auf 10 % des Haushaltseinkommens begrenzen.
Wir erklären die Abstimmungsvorlage in diesem Artikel:
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Prämien-Entlastungs-Initiative: Darum gehts
Die Prämien-Entlastungs-Initiative fordert also, dass die Versicherten höchstens ein Zehntel ihres verfügbaren Einkommens für die Prämien aufwenden müssen. Das würde den Bund und die Kantone zwischen 3,5 und 5 Milliarden Franken pro Jahr kosten, schätzt der Bund.
Aber kann sich die Schweiz das leisten, wenn sie bereits die 13. AHV-Rente finanzieren muss? Sarah Wyss sagt dazu: «Ja, wir müssen es uns leisten für die Menschen in diesem Land.» Sie verweist auf die stark gestiegenen Krankenkassenprämien. Eine vierköpfige Beispiel-Familie bezahle heute 14% des Haushaltseinkommens für die Krankenkasse.
Prämien-Entlastungs-Initiative: Eine Kostenbombe?
Patrick Hässig sagt dazu: «Diese Initiative ist eine Kostenbombe für alle Menschen in unserem Land.» Er verweist auf die Kosten bei der AHV, der Sicherheit und der Bildung, die auf den Bund zukommen. Marc Rüdisühli von der Mitte wiederum kristisiert: «Diese Initiative bekämpft die Symptome, und nicht die Ursachen.»
Die zweite Initiative zur Begrenzung der Gesundheitskosten kommt von der Mitte-Partei: die Kostenbremse-Initiative. «Sie packt das Problem bei der Wurzel, bei den steigenden Gesundheitskosten», sagt Marc Rüdisüli, «denn sie nimmt alle Akteure in die Verantwortung.» Der Jungpolitiker gehört zur Partei, welche die Kostenbremse-Initiative eingereicht hat. Es brauche den Druck einer Initiative, damit sich bei den Gesundheitskosten etwas bewege, sagt er.
Wir erklären die Abstimmungsvorlage in diesem Artikel:
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Braucht es im Schweizer Gesundheitswesen eine Kostenbremse?
Patrick Hässig, der im Komitee gegen die Initiative sitzt, widerspricht: «Ich suche die Wurzel, die man vorgibt, packen zu wollen.» Die Initiative sei ein Blindflug, sie gebe keine Antworten auf die Fragen wo, wann und wie gespart werden soll.
Kostenbremse-Initiative: Folgt die Zweiklassenmedizin?
Sarah Wyss von der SP befürchtet zudem, dass die Kostenbremse-Initiative zu einer Zweiklassenmedizin führen könnte. «Diese kommt, wenn wir jetzt nichts machen», entgegnet Marc Rüdisüli.
Zu Zweifeln, ob die Initiative etwas bewegen könne, was bisher nicht bewegt wurde, sagt er: «Es kann doch kein Argument sein, dass man sagt: Die Akteure konnten sich in den letzten 20 Jahren nicht einigen, also werden sie es auch die nächsten 20 Jahre nicht machen können.» Er erwarte von den gewählten Volksvertreter:innen, dass sie sich bei der Umsetzung zusammenraufen.
Lösungen für das Gesundheitswesen
Auch eine Fachfrau aus dem Gesundheitswesen bringt ihre Perspektive ein: Sandra Sullivan. Sie ist Auslandschweizerin und arbeitet in der Nähe von San Diego, USA, als Nurse Practioner.
Es ist ein Beruf, den die Schweiz gerade erst entdeckt. Nurse Practitioner sind Pflegekräfte, die den Master machen und sich das Handwerk von praktischen Ärzten aneignen. Sie arbeiten günstiger – und sind versiert.
Sandra Sullivan erklärt es hier:
Auch darüber hinaus äussern die Teilnehmenden in Let’s talk Ideen, die zur Entlastung des Gesundheitswesens beitragen könnten. Sarah Wyss, SP, plädiert dafür, dass die Qualität der Leistungen bezahlt werden soll und nicht die Menge. «Wir müssen die Leistungen erbringen, die nötig sind, und nicht jene, die das Portemonnaie füllen.»
Marc Rüdisüli, Junge Mitte, würde die Spitalplanung auf nationale Ebene hieven: «Wir haben viel zu viele Spitäler, das ist ein riesiger Kostenblock in unserem System», sagt er.
Patrick Hässig, Grünliberale, fordert: «Wir brauchen weniger 24-Stunden-Betriebe, das hilft auch dem Personal.» Und: Weniger Spitäler heisse nicht zwingend längere Wege bis zum nächsten Spital, denn «wir haben auch eine Luftrettung, vergessen wir diese nicht».
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