Sachte Wiederaufnahme der Geschäfte mit Libyen
Während sich Politiker und Diplomaten um eine Rückkehr zur Normalität mit Libyen bemühen, suchen Schweizer Wirtschaftsvertreter nach Möglichkeiten, sich dort wieder niederzulassen und Geschäfte zu tätigen. Der Weg ist aber noch lang.
Zu den ersten Schritten in Richtung Normalisierung zählt die Wiedereröffnung der Schweizer Botschaft in Tripolis am vergangenen Wochenende. Im Juli hatte die Schweiz in Bengasi bereits ein Verbindungsbüro errichtet.
In Libyen sind allerdings noch immer Kämpfe im Gang, besonders um Sirte, die Heimatstadt Gaddafis.
«Die politische Lage ist noch nicht völlig stabil. Wir müssen die diplomatischen und wirtschaftlichen Beziehungen mit Libyen normalisieren – das braucht noch Zeit», sagte Jan Atteslander, Leiter Aussenwirtschaft beim Wirtschaftsdachverband Economiesuisse gegenüber swissinfo.ch.
Sollte sich die Lage beruhigen, könnte es für Schweizer Firmen durchaus Gelegenheiten geben, am Wiederaufbau Libyens mitzuwirken. Atteslander denkt dabei an «alles, was im Zusammenhang mit der Infrastruktur» steht, aber auch an medizinische und pharmazeutische Produkte sowie an die Maschinenindustrie.
Libyens neuer Botschafter in der Schweiz hat kürzlich in einem Interview mit swissinfo.ch erklärt, sein Land würde es begrüssen, wenn sich Schweizer Firmen am Wiederaufbau beteiligten.
«Die Vorbereitungen zur Ausarbeitung eines präzisen Plans sind im Gang. Die Fachleute, die sich damit befassen, könnten dabei auf die ausgewiesene Kompetenz der Schweiz in Sachen Evaluation und Planung angewiesen sein», so Botschafter Sliman Bouchuiguir.
Bouchuiguir lobte auch die Qualitätsarbeit der Schweiz in den Sektoren Technologie und Dienstleistungen.
Diskretes Interesse
«In Libyen gibt es sicher Potenzial, aber es ist noch etwas verfrüht zu sagen, welches die besten Gelegenheiten sind», erklärte Osec-Sprecher Patrick Djizmedjian gegenüber swissinfo.ch. Die Lage sei anders als noch vor sechs Monaten. Es sei möglich, dass viele Firmen noch in Warteposition seien.
«Schweizer Unternehmen sind eher vorsichtig – sie neigen dazu, zu beobachten, wie sich ihre Kollegen in Ländern wie etwa Deutschland verhalten», sagte Djizmedjian.
Philippe Meyer, Direktor der Abteilung für internationale Geschäfte in der Genfer Handelskammer, erklärte, Libyen sei in seinem Büro bislang kein Thema gewesen.
«Es sind keine Firmen gekommen, um sich über neue Geschäftsmöglichkeiten in Libyen zu erkundigen – nicht einmal jene, die früher dort tätig waren. Jene, die bereits dort waren, sind sehr vorsichtig», so Meyer gegenüber swissinfo.ch.
Er betonte allerdings, dass das Ausbleiben von Anfragen nicht automatisch ein mangelndes Interesse bedeute. «Es bedeutet, dass die Leute sehr diskret sind, wenn sie sich interessieren.»
Der Technologiekonzern ABB mit Sitz in der Schweiz wägt sehr sorgfältig ab, wie in Libyen vorgegangen werden soll – vor allem, nachdem der ABB-Chef in Libyen, Max Göldi, fast zwei Jahre lang als Geisel festgehalten worden war.
«ABB wird sorgfältig prüfen, wie der Konzern die Projekte wieder aufnehmen soll, sobald es wieder sicher ist, dort zu opererieren», sagte ein ABB-Sprecher.
«Wir wissen nicht, wie sich das Land in den nächsten Monaten oder Jahren entwickeln wird. Aber wir hoffen, es wird stabiler als Irak oder andere Länder mit einem Bürgerkrieg sein», erklärte Philippe Meyer.
Atteslander gab sich optimistisch im Hinblick auf die Zukunft der schweizerisch-libyischen Handels-Partnerschaft.
«Wir hoffen, dass sich die bilateralen Beziehungen bald wieder normalisieren, aber das ist die Aufgabe von Diplomaten und Politikern – das gehört nicht in die Geschäftswelt.»
Ein kleiner Partner
Libyen ist für die Schweiz von eher untergeordneter Bedeutung. Die Schweizer Exporte in den Wüstenstaat machen weniger als ein halbes Prozent der gesamten Schweizer Ausfuhren aus.
«Libyen war immer eher ein kleiner Partner, was die Exporte betrifft. Natürlich ist es für jene, die mit Liyben Geschäfte betreiben, ein wichtiger Markt, aber der Umfang ist relativ klein» sagte Atteslander.
«Wir begrüssen eine Normalisierung der Wirtschaftsbeziehungen mit Libyen, aber es ist nicht einer der wichtigsten Märkte.» Die Schweiz habe in den letzten Jahren auch ohne libysches Öl auskommen können.
«Libyen war immer einer unserer wichtigsten Ölimporteure, das hat sich jetzt völlig verändert. Seit dem Embargo hatte die Schweiz keinen Tag irgendwelche Versorgungsprobleme. Der Ölmarkt ist äusserst liquid», so Atteslander.
Er erwähnte auch, dass der Rohstoffkonzern Glencore mit Sitz in der Schweiz vor wenigen Wochen einen Vertag unterzeichnet habe und in Libyen bereits wieder aktiv sei.
Laut der schweizerischen Erdölvereinigung ist der Markt noch immer relativ ruhig. «Die Importe aus Libyen wurden vollständig durch Einfuhren aus anderen Ländern ersetzt – namentlich aus Kasachstan und Aserbaidschan. Sollte aber wieder libysches Rohöl auf den Markt gelangen, wird die Schweiz zugreifen, denn es ist von ausgezeichneter Qualität», sagte Niklaus Boss, Geschäftsführer der Erdölvereinigung gegenüber swissinfo.ch.
Die diplomatische Krise zwischen der Schweiz und Libyen nach der Festnahme von Muammar Gaddafis Sohn Hannibal in Genf im Juli 2008 widerspiegelt sich in den Handelszahlen.
Nach Angaben des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) exportierte die Schweiz 2008 Güter im Wert von 282,3 Mio. Fr. nach Libyen, vor allem Maschinen.
Der Anteil an den gesamten Schweizer Exporten belief sich auf 0,13%.
2009 fielen die Ausfuhren auf 156,2 Mio. Fr. zurück (0,08% des Gesamtexporte), 2010 auf 110 Mio. Fr.
Die Schweiz importiert aus Libyen vor allem Öl: 2008 erzielten die Einfuhren eine Höhe von 3,3 Mrd. Fr. 2009 fielen sie zurück auf 0,7 Mrd., 2010 betrugen sie noch 485 Mio. Fr.
Im Zuge des libyschen Boykotts gegen die Schweiz wurden libysche Vermögenswerte von den Schweizer Banken abgehoben. Die Anlagen gingen von 5,75 Mrd. auf 628 Mio. Fr. zurück.
(Übertragung aus dem Englischen: Gaby Ochsenbein)
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