«Schweizerkinder» gedenken Kriegsende
Sie waren 1947 zwei von 35'000 kriegsgeschädigten Kindern, die zur Erholung in die Schweiz kamen: Edeltraud Deschmann und Erich Sinor.
Nun kommen sie wieder zurück. Anlass dazu ist ein offizieller Festakt zum 60. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges.
Erich Sinor ist acht Jahre alt, als die Ärzte bei ihm Untergewicht, Blutarmut und eine angeschlagene Lunge feststellen. Die Diagnose war für ihn aber ein Glück im Unglück: Der Österreicher durfte zur Erholung in die Schweiz reisen.
Das Schweizerische Rote Kreuz (SRK) organisierte 1947, zwei Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges, Erholungsaufenthalte für österreichische Kinder in der Schweiz.
Der heute 66-jährige Sinor erinnert sich noch genau an den Herbsttag, an dem ihn seine Mutter in die Nähe des Palais Liechtenstein in Wien brachte. «Dort erhielten wir von den Rotkreuz-Schwestern unser Umhängekärtchen mit dem Rotkreuz-Emblem und unseren Namen darauf», erzählt Sinor. Und dort musste sich der Junge auch von seiner Mutter verabschieden. «Eltern durften nicht mit auf den Bahnhof, um Abschiedszenen zu vermeiden.»
Black out und Schleifen
Der kleine Erich war verwirrt. Der von US-Soldaten beschützte Zug verliess den Franz-Joseph-Bahnhof in Richtung Schweiz. «An die Fahrt kann ich mich nicht mehr erinnern. Ich hatte ein Black-out», sagt der mittlerweile pensionierte Grosshandelskaufmann und Vater von drei Kindern.
Erst am Grenzbahnhof Buchs ist Erich wieder bei sich. «Dort wurden wir entlaust und gewaschen.» Den Mädchen seien zudem die Haare mit Schleifen geschmückt worden, erinnert sich Edeltraud Deschmann im Gespräch. «Ich erhielt auch eine grün-grau-gestreifte Schürze», sagt Deschmann, die damals neun Jahre alt war.
Edeltraud und Erich sind beide sogenannte «Schweizerkinder» oder «Östricherli», wie sie in der Schweiz genannt wurden. Mit Hilfe des SRK konnten sich diese ab 1945 bei Pflegefamilien in der Schweiz von den traumatischen Kriegserlebnissen erholen.
Stolz auf das «Wienerli»
Erich weilte 1947 drei Monate bei einem damals noch kinderlosen Bauernpaar in Wohlen im Kanton Aargau. «Der Aufenthalt war herrlich», schwärmt er auch noch 58 Jahre später. «Ich fütterte die Hühner und Hasen, bastelte Autos mit den Nachbarnkindern und sägte Figuren aus Holz».
Sonntags sei er mit dem Knecht auf dem Velo zu dessen Familie ins Nachbardorf geradelt, wo er zum Mittagessen eingeladen war. «Der Knecht im schwarzen Anzug und weissen Hemd, das war ein Bild!», erzählt Sinor lachend.
Auf dem Hof eines Obstbauern nahe Frauenfeld verbrachte Edeltraut 1946 die Herbstmonate. «Ich hatte vier Pflegegeschwister», erzählt die heute 69-Jährige. Die Familie habe sie herzlich aufgenommen und in der Nachbarschaft stolz als das «Wienerli» präsentiert.
Rösti zum Frühstück
«Nein, auf dem Feld musste ich nicht arbeiten», sagt sie. Stattdessen sei sie morgens in die Schule gegangen und nachmittags habe sie Handarbeiten gelernt. Und sie sei regelrecht gemästet worden. «In den drei Monaten nahm ich fünf Kilo zu», erzählt sie und schwärmt von der Rösti, die es jeweils zum Frühstück gab.
Beide «Schweizerkinder» wurden später von ihren Pflegefamilien erneut eingeladen, Erich für sechs und Edeltraud für drei Monate. Trotz Schwierigkeiten konnten sie den Kontakt aufrecht erhalten. Auf ihrer Jubiläums-Reise in die Schweiz sind denn auch Wiedersehen mit Angehörigen der Gastfamilien geplant.
swissinfo und Stéphanie Giovannini, sda
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs organisierte das Schweizerische Rote Kreuz (SRK) Erholung-Aufenthalte für österreichische Kinder in der Schweiz.
Die so genannten «Schweizerkinder» gründeten später in Wien einen gleichnamigen Klub.
200 Mitglieder kommen nun in die Schweiz, wo sie der Hilfsaktion des SRK-gedenken.
Höhepunkt ist am Freitag ein Festakt in Bern. Aussenministerin Micheline Calmy-Rey empfängt dort die österreichische Aussenministerin Ursula Plassnik und die ehemaligen «Schweizerkinder».
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