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Kein systematischer Medieneinfluss bei Schweizer Volksabstimmungen

Claude Longchamp, Politikwissenschafter und Historiker

Beeinflusst die Medienberichterstattung zu Volksabstimmungen die Meinungsbildung der BürgerInnen? Was der Forschungsstand sagt.

Am 21. März 2017 berichtete swissinfo.ch von einer kleinen wissenschaftlichen Sensation. Erstmals sei ein Zusammenhang zwischen der Nutzung eines Mediums mit politischer Ausrichtung und wechselnder Stimmabsicht in einer Sachfrage nachgewiesen worden. Ich halte dagegen. In Anbetracht des verkannten Forschungsstandes ist die gemachte Beobachtung kaum verallgemeinerbar.

Der neue Befund

Laurent Bernhard, Forscher an der Universität Zürich, präsentierte jüngst an den 9. Aarauer Demokratietagen seine These. Drei Fallbeispiele dienten ihm zur Erläuterung. Bei der Unternehmenssteuerreform II von 2008 zeigte eine kombinierte Vor- und Nachbefragung eines repräsentativen Querschnitts von Stimmberechtigten einen Meinungswandel im Zusammenhang mit der Mediennutzung. Konkret: Wer mehr in der Sache positiv eingestellte Medien konsumiert hatte, der wechselte häufiger vom Nein ins Ja als umgekehrt.

Dieser Beitrag ist Teil von #DearDemocracy, der Plattform für direkte Demokratie von swissinfo.ch.

In einem Beitrag auf «DeFacto»Externer Link rühmte sich der Autor, als erster den Effekt von Medieninhalten auf das Stimmverhalten im Bereich der direkten Demokratie nachgewiesen zu haben. Sein Schluss lautet: «Stimmbürger und Stimmbürgerinnen lassen sich auf systematische Weise beeinflussen, wenn sie auf inhaltlicher Ebene mit höchst komplexen und wenig vertrauten Volksabstimmungen konfrontiert sind.

Claude Longchamp, Verwaltungsratspräsident von gfs.bern, Lehrbeauftragter an den Universitäten Bern und Zürich. swissinfo.ch

Was die Medienwirkungsforschung sagt

Die Medienwirkungsforschung unterscheidet drei Folgen der Medienberichterstattung: Die elementarste besteht darin, Informationen zu erhalten und zu verarbeiten, die eine Meinungsbildung erlauben. Einen sichtbaren Einfluss haben Medien zudem, wenn sie die eigentliche Ursache eines Meinungswandels sind. Schliesslich spricht man auch dann von Medienwirkungen, wenn Medien durch die Ansprache tiefliegender Werte und Stereotypen in einem Abstimmungskampf eine Position begünstigen.

Selbst wenn Medienwirkungen in der Politik der theoretische Normalfall sind, gelingt ihr empirischer Nachweis meist nicht. Bei Schweizer Volksabstimmungen kommt das jedoch durchaus vor. Die SRG-Befragungen haben hier vieles erhellt, der Abstimmungsmonitor von fög (Forschungsinstitut Öffentlichkeit und Gesellschaft der Universität Zürich) auch.

Typisch für spezifische Forschungsarbeiten zum Thema ist die politikwissenschaftliche Abschlussarbeit von Edward Weber von der Uni ZürichExterner Link. Untersucht hat er 65 Volksabstimmungen im Zeitraum von 1998 und 2011. Seine Ergebnisse sind seit fünf Jahren greifbar.

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Die Medien stürzen sich auf die falschen Themen

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Die Unternehmenssteuerreform III, die das Schweizer Stimmvolk im Februar ablehnte, war ein ganz harter Brocken. Ausser Finanzexperten kannte wohl niemand den genauen Inhalt der Vorlage. Auch nicht Peter Wanner, Verleger der AZ Medien, die mehrere Zeitungen im Schweizer Mittelland herausgibt. Er hätte die Vorlage ablehnen sollen, sagte Wanner in einer Podiumsdiskussion an den Aarauer Demokratietagen…

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Einer der interessanten Fälle ist auch bei Weber die Unternehmenssteuerreform II. Er weist dabei einen Zusammenhang zwischen dem Werbeüberhang auf der Ja-Seite einerseits, der Zunahme der Zustimmung im Abstimmungskampf anderseits nach.

Mehr noch: Mittels Modellrechnung kommt er zum Schluss, dass das Ergebnis umgekehrt gewesen wäre, hätte bei den Werbeausgaben ein Gleichstand geherrscht. Gleiches fand er in seinem riesigen Datensatz nur bei zwei, vielleicht drei weiteren Behördenvorlagen und einer oder zwei Volksinitiativen.

Nur komplexe Forschungsdesigns bringen eine Klärung

Was gilt nun, Geld oder Geist? – Cloé Jans hat mit ihrer politikwissenschaftlichen Abschlussarbeit an der Universität Bern den bisher komplexesten Erklärungsansatz überprüft. Denn er umfasst alle denkbaren Ursachen, die sich messen lassen. Angewandt hat sie das Modell auf 35 Volksabstimmungen zwischen 2006 und 2011. Seit drei Jahren ist auch diese Arbeit verfügbar.

Drei wesentliche Erkenntnisse lassen sich daraus ableiten:

Erstens: In einem Abstimmungskampf verändern sich die Ablehnung einer Vorlage als Folge der Koalitionsgrösse. Je geringer die Einigkeit auf befürwortender Seite ist, desto eher nehmen die Neinstimmen im Abstimmungskampf zu.

Zweitens: Die finanziellen Mittel beeinflussen die Veränderungen der Stimmabsichten. Der Zusammenhang ist systematisch, wenn die Opposition investiert, derweil der Effekt auf der Ja-Seite unsicher bleibt.

Drittens: Auch die Komplexität und Relevanz der Vorlagen haben einen Einfluss auf die Dynamik der Meinungsbildung. Die Zusammenhänge sind aber nicht robust. Sie finden sich bei komplexen Vorlagen vor allem dann, wenn das Ja-Lager uneinheitlich auftritt oder die Nein-Seite Geld in die Hand nimmt.

Cloé Jans war am Ende ihrer vorbildlichen Master-Arbeit enttäuscht. Hauptgrund: In keinem Modell blieb der angenommene Medieneffekt in allen Erwägungen signifikant. Oder anders gesagt: Nicht alles von dem, was man im Einzelfall findet, ist verallgemeinerbar.

Meine Bilanz

Die Studie von Jans sagt nicht, dass die Beobachtungen von Bernhard falsch wären. Was fehlt, ist die korrekte Einordnung seiner Ergebnisse in den sehr wohl vorhandenen Forschungsstand.

Slogans zur Medienwirkung in Abstimmungskämpfen sind nicht angebracht. Untersuchungen basierend auf einer möglichst grossen Anzahl Fälle bringen am ehesten Licht ins Dunkel der Zusammenhänge. Solche Erklärungen, die nicht nach einer einzigen Ursache suchen, sind allen anderen vorzuziehen.

Selbst wenn die These dadurch medial weniger steil ausfällt.

Die in diesem Artikel geäusserten Ansichten sind ausschliesslich jene des Autors und müssen sich nicht mit der Position von swissinfo.ch decken.




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