Swisscoy: Gute Noten – schlechte Presse
In Kosovo sind noch immer 220 Schweizer Soldaten stationiert. Der Einsatz der Swisscoy-Truppe ist umstritten. Sie habe kaum mehr etwas zu tun, unterstellen gewisse Medien. Die Frage nach Sinn und Nutzen der Militärpräsenz im Ausland steht im Raum.
Saufgelage, Bordellbesuche und Schlägereien: Weil die Soldaten im 21. Kontingent der Swisscoy-Truppe in Kosovo nichts mehr zu tun hätten und sich langweilten, würden sie anderen Beschäftigungen nachgehen, hiess es in einem Bericht des Magazins Die Weltwoche (Nr. 19/10).
«Die Nachricht schlug wie eine Granate ein», schrieb das Blatt eine Woche später (Nr. 20/10) und vermeldete stolz, Bundesrat und Verteidigungsminister Ueli Maurer von der Schweizerischen Volkspartei (SVP) habe umgehend eine Untersuchung angeordnet. Gleichzeitig berichtete die SVP-nahe Weltwoche über neue «Missstände und gravierende Ungereimtheiten» in der Schweizer Militärmission in Kosovo.
In der Tat beauftragte der Chef des Eidg. Departementes für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) die Armeeführung, ihm bis Ende Mai Bericht zu erstatten. Maurer verlangt Auskunft über den Dienstbetrieb in der Armee bei Auslandeinsätzen, namentlich in Kosovo und Bosnien.
Parlamentarier-Delegation anderer Ansicht
Eine Delegation der Sicherheitspolitischen Kommissionen (SiK) von National- und Ständerat äusserte sich nach einem dreitägigen Besuch bei der Swisscoy in Kosovo nicht zu den happigen Vorwürfen der Weltwoche. Zuerst sei der Untersuchungsbericht abzuwarten, teilte die Parlamentarier-Delegation am 19. Mai mit.
Die Leistungen der Swisscoy seien von den vorgesetzten Kommandostellen der internationalen Kfor-Truppe, der Schweizer Botschaft, den internationalen Organisationen und den lokalen Behörden als sehr gut beurteilt worden. Die Truppe sei motiviert, kompetent und diszipliniert. Sowohl die vorgesetzten Kommandostellen als auch die zivilen Lokalbehörden wünschten eine Fortsetzung des Schweizer Einsatzes.
Das Dilemma von Bundesrat Maurer
Der Schweizer Sicherheitsexperte Kurt R. Spillmann will gegenüber swissinfo.ch zu den Weltwoche-Vorwürfen materiell nicht Stellung nehmen. Aber da nun eine Untersuchung eingeleitet worden sei, plädiere er dafür, «in aller Ruhe und in objektiver Gesinnung die Ergebnisse der Untersuchung abzuwarten».
Einige Parlamentarier äusserten den Verdacht, Bundesrat Maurer habe die Informationen über die Swisscoy in Kosovo bewusst gestreut, um Stimmung gegen die Auslandeinsätze der Schweizer Armee zu machen. Dies obwohl der VBS-Chef am 20. Mai am Rande eines Besuchs bei den Rettungstruppen erklärte, der Einsatz der Swisscoy auf dem Balkan habe einen Sinn; die Schweiz habe dort evidente Sicherheitsinteressen. Im November werde er selbst nach Kosovo reisen, im Hinblick auf eine mögliche Mandatsverlängerung im kommenden Jahr.
Dazu erklärt Spillmann: «Das passt überhaupt nicht zu meinem Bild eines Bundesrates. Auf der anderen Seite ist zu bedenken, dass Herr Maurer natürlich an Auslandeinsätzen nie Freude gezeigt hat. Die SVP ist eine strikte Gegnerin, und Maurer hat diese Linie mitgeprägt. Es ist eine Insinuation oder eine Unterstellung, die das Dilemma von Herrn Maurer zum Ausdruck bringt.»
Krisenprävention statt Orientierung an der Vergangenheit
Für den Sicherheitsexperten ist jede Armee Ausdruck des Selbstbewusstseins einer Nation. «Die Schweiz sollte sich im Ausland nicht als eine nur vergangenheitsorientierte Nation darstellen; sie sollte an der Bewältigung der vielen Gefahren in der heutigen Welt teilnehmen.»
Das heisst für Kurt R. Spillmann «Mitwirkung bei der Krisenprävention und bei der Krisendeeskalation sowie bei der Verhinderung neuer Explosionen». Davon würde die Schweiz selber auch profitieren, «indem sie das bisher so wenig geübte Handwerk der militärischen Kooperation mit anderen Nationen der EU, im Rahmen der Nato und anderer Formationen laufend üben könnte».
Auslandtruppengrösse nicht massgebend
In der offiziellen Sprachregelung sollen die Auslandeinsätze der Schweizer Armee der Friedensförderung dienen. Auf die Frage, ob eine so kleine Truppe wie die Swisscoy in Kosovo dazu in der Lage sei, antwortet Spillmann, 220 Mann seien sicher keine kampfentscheidende Grösse.
Der Sicherheitsexperte räumt indessen ein: «Die heutigen Gefahren sind viel komplexer, und die Schweiz kann in diesem Rahmen durchaus einen sinnvollen Beitrag an eine internationale Truppe liefern, die sich diesen Problemen widmet. Ob nun mein Kontingent aus fünf, aus 200 oder aus 20’000 Mann besteht, das alles kann im Rahmen der internationalen Kooperation sinnvoll eingeordnet werden.»
Genügend ausgebildete Soldaten
Ob eine Truppe wie die Swisscoy für friedensfördernde Aufgaben wie prüfen und kontrollieren, Nachrichten beschaffen, vorbeugen und entspannen genügend ausgebildet ist, bezweifelt Spillmann nicht. «Nach meiner Kenntnis, und die stützt sich auf ein paar Besuche bei der Swisscoy, sind die Schweizer Soldaten zwar nicht hervorragend, aber genügend ausgebildet.»
Und es sei ja auch nicht so, dass der einzelne Soldat wichtige Entscheidungen im Umgang mit fremden Kulturen zu treffen habe. «Grundkenntnisse sind vorhanden, so dass keine grossen Fehler passieren. Wichtige Entscheidungen werden sowieso von international zusammengesetzten Gremien getroffen.»
Nicht im Alleingang entscheiden
Der Bundesrat hat bereits in Erwägung gezogen, die Swisscoy-Truppenstärke zu reduzieren. Für Spillmann ist entscheidend, dass die Schweiz nicht im Alleingang und nur aus Binnensicht entscheidet, sondern nach sorgfältiger Absprache mit den anderen Beteiligten. «Und ob die Schweiz mit einem anderen, nicht-militärischen Einsatz einrücken soll oder nicht, das ist dann erst eine Frage zweiter oder dritter Priorität.»
Jedenfalls sind für den Sicherheitsexperten Auslandeinsätze der Schweizer Armee «nicht nur sinnvoll, sondern sehr sinnvoll». Denn das Zeitalter der autonomen Landesverteidigung sei endgültig vorbei. «Wir müssen uns in der internationalen militärischen Zusammenarbeit einüben. Und das ist gerade für die Schweiz, die immer nur selber entscheiden wollte und will, ein besonders schwieriger Lehrgang.»
Jean-Michel Berthoud, swissinfo.ch
Seit Oktober 1999 beteiligt sich die Schweizer Armee mit der Swisscoy – für Swiss Company – an der internationalen friedensunterstützenden Mission Kosovo Force (Kfor) in Kosovo.
Die Swisscoy setzt sich aus bis zu 220 freiwilligen und zum Selbstschutz mit Pistole und Sturmgewehr bewaffneten Angehörigen der Armee zusammen.
Der Einsatz der Swisscoy geht auf den Bundesratsentscheid vom 23. Juni 1999 zurück, sich militärisch, basierend auf der UNO-Resolution 1244, an der Kfor zu beteiligen. Das Mandat wurde vom Parlament bis Ende 2011 befristet. Das Budget für das Jahr 2010 beträgt 37,5 Mio. Franken.
Kurt R. Spillmann war bis zu seiner Emeritierung 2002 Professor für Sicherheitspolitik und Konfliktforschung an der ETH Zürich.
Von 1987–1995 war er Vorsteher der Abteilung für Militärwissenschaften.
Spillmann gründete 1987 die Forschungsstelle für Sicherheitspolitik an der ETH (heute Center for Security Studies).
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