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Verteidigungsminister kratzt an Wehrpflicht-Tabu

Militärstiefel oder Turnschuhe: Das Milizsystem wird in Frage gestellt. Keystone

Samuel Schmid will im Bundesrat die allgemeine Wehrpflicht in der Schweiz zur Diskussion stellen.

Budget-Druck und Zweifel an der Professionalität der jetzigen Armee veranlassen die Regierung, sich über die Zukunft von deren Milizcharakter Gedanken zu machen.

Verteidigungsminister Samuel Schmid steht unter permanentem Druck. Von Links und Rechts prasseln Vorwürfe auf den Bundesrat nieder. Führungsschwäche warf man dem Vorsteher des Eidgenössischen Departements für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport ((VBS) vor. Er überlasse die Politik Generalstabchef Keckeis, statt selber aktiv zu werden, warf ihm die SVP, notabene seine eigene Partei, vor.

Auch die erst Anfang dieses Jahres gestartete Armee XXI steht unter Dauerbeschuss. Richtung, Leistungsprofile und Prioritäten seien unklar, kritisiert SVP-Nationalrat und Präsident der Offiziersgesellschaft (SOG), Ulrich Siegrist in der jüngsten Ausgabe der Militärzeitschrift ASMZ.

Drei Hauptaufgaben

Das Hauptziel der Arme XXI bleibt die Verteidigung der Schweiz. Da momentan nirgends ein Feind auszumachen ist, der die Schweiz angreifen könnte, tauchen Fragen auf, ob dafür nicht zu viele Mittel eingesetzt werden.

Eine weiteres Hauptaufgabe ist der Einsatz gegen internationale Kriminalität und Terrorismus. Die Armee soll hier mit der Polizei zusammen die innere Sicherheit gewährleisten.

Die dritte Hauptaufgabe, die internationale Kooperation mit Einsätzen im Ausland, bleibt ein äusserst umstrittenes Gebiet.

Veränderungen

In der Armee XXI dauert die Rekrutenschule länger: Je nach Truppengattung 18 oder 21 Wochen statt deren 15 wie in der Armee 95. Begründet wird die längere RS-Dauer in der Armee XXI in erster Linie mit den komplexer gewordenen Waffensystemen und einer professionelleren Ausbildung.

Maximal 15% der Rekruten können ihren Militärdienst an einem Stück, als sogenannte Durchdiener, absolvieren. Sie erfüllen ihren gesamten Militärdienst in zehn Monaten. Danach bleiben sie während zehn Jahren in der Reserve eingeteilt und leisten keine Wiederholungskurse.

Der Bestand der Armee XXI ist auf 140’000 Aktive und 80’000 Reservisten reduziert worden, während die Armee 95 noch über einen Bestand von 400’000 Mann verfügte. Während des Kalten Krieges zählte die Schweizer Armee gar 600’000 Soldaten.

Der ehemalige FDP-Nationalrat und Miliz-Brigadier Ernst Mühlemann kritisiert in der «Basler Zeitung» den unbefriedigenden Übergang zur Armee XXI. Er spricht von zu vielen unentschuldbaren Pannen und den daraus zu ziehenden Konsequenzen: «Hie und da muss ein Bundesrat den Mut haben, einen höheren Offizier in seinem Departement zu entlassen.»

Allgemeine Wehrpflicht im Visier

Nun scheint auch die allgemeine Wehrpflicht nicht mehr länger ein Tabuthema zu sein. Verteidigungsminister Samuel Schmid will die Wehrpflicht in der Schweizer Armee zur Diskussion stellen. Im September soll der Gesamtbundesrat darüber beraten.

Die Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht soll im Hinblick über die künftige Grösse der Schweizer Armee diskutiert werden. Die Alternative zur allgemeinen Wehrpflicht wäre eine Dienstpflicht. Diese würde Schweizer Männern eine doppelte Auswahl ermöglichen: Einsätze im Bevölkerungsschutz oder im Zivildienst würden den Einsätzen in der Armee gleichgestellt.

Weil eine Abschaffung der allgemeinen Dienstpflicht eine Verfassungsänderung voraussetzt, müsse die Frage der Wehrpflicht frühzeitig angegangen werden, sagt Schmid.

Ausweichmanöver?

Kritikern erscheint es unklar, ob sich Schmid mit der Wehrpflicht-Diskussion aus dem Schussfeld der allgemeinen Kritik an ihm und seinem Departement nehmen will.

Aber kaum ausgesprochen, wird Schmids Idee von Kritikern zerpflückt. Gerade aus seiner Partei, der Schweizerischen Volkspartei (SVP), regt sich Widerstand. SVP-Nationalrat Ulrich Schlüer spricht von einem «Wortbruch». «Als dem Volk der Entscheid über die Armee XXI vorgelegt wurde, hiess es ganz klar, es könne keine Rede davon sein, dass die allgemeine Wehrpflicht abgeschafft werde.»

Bei der Christlichdemokratischen Volkspartei (CVP) rennt Schmid jedoch offene Türen ein. Ständerat Bruno Frick will die allgemeine Wehrpflicht diskutieren. «Heute machen nur noch die Braven und die Eifrigen Militärdienst», beklagt er. Die Idealisten würden Zivildienst machen und die Schlauen würden sich ausmustern lassen. «Die Wehrgerechtigkeit ist nicht mehr da.»

swissinfo und Agenturen

Verteidigungsbudget 2004: 4,8 Mrd. Franken
Soldaten: 220’000, inbegriffen 20’000 Rekruten und 80’000 Reservisten
Zweimal wurde in der Schweiz über die Abschaffung der Armee abgestimmt: 1985, als fast 36% dafür waren und 1995, als die Zustimmung weniger als 24% betrug.

In Europa weicht die allgemeine Wehrpflicht zunehmend professionellen Armeen.
Grossbritannien schaffte sie 1960 ab, Frankreich und Spanien erst kürzlich und Italien plant den Schritt 2005.
Deutschland bietet Rekruten die Wahl zwischen Armee und Zivildienst an.
In Dänemark und Portugal entscheidet das Los.
Mit Ausnahme Irlands halten die anderen neutralen Staaten Schweden, Finnland und Österreich noch an der allgemeinen Wehrpflicht fest.

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