Viel Skepsis zur Strategie für den Finanzplatz
Mit einer Weissgeldstrategie will sich der Bundesrat aus dem Steuerstreit mit den USA befreien. Schweizer Banken sollen von ihren Kunden eine Deklaration verlangen, dass sie ihre Steuerpflicht erfüllt haben. Die Medien reagieren skeptisch.
Ziel der Weissgeld-Strategie der Regierung sei es, «mögliches Potenzial für mögliche Schlupflöcher möglichst gering zu halten», sagte Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf gestern vor den Medien. Die Banken sollen stärker in die Pflicht genommen werden, indem die Sorgfaltspflichten, die im Rahmen des Geldwäscherei-Gesetzes bereits gelten, ergänzt werden. Wenn Zweifel bestehen, sollen die Banken in Zukunft nachfragen, ob die Vermögenswerte versteuert worden sind. Der Bundesrat will die Kunden zur Selbstdeklaration verpflichten.
Was sie von der Strategie halten sollen, scheint den Medien noch nicht so klar zu sein. Zu viele Fragen seien noch offen, zu wenig konkret die Umsetzung, lautet der Tenor.
Was die Finanzministerin als «bundesrätliche Strategie für einen steuerlich konformen und wettbewerbsfähigen Finanzplatz zu verkaufen versuche, sei in Tat und Wahrheit die Strategie der andern», schreibt der Kommentator der Basler Zeitung BAZ, die der rechtskonservativen Schweizerischen Volkspartei SVP nahesteht. Mit den «andern» meint die BAZ die Sozialdemokratische Partei SP, welche diese Selbstdeklaration als Bedingung gestellt hatte, um dem Doppelbesteuerungsabkommen DBA mit den USA zuzustimmen.
Abkommen mehrheitsfähig gemacht
Tatsächlich scheint die Finanzministerin mit ihrem Papier zur Weissgeld-Strategie auch die Linke an Bord geholt zu haben. SP-Präsident Christian Levrat erklärte, dass die Bedingungen seiner Partei erfüllt seien, und er seiner Fraktion beantragen werde, dem DBA zuzustimmen. Damit dürfte das Abkommen, über welches das Parlament nächste Woche abstimmt, mehrheitsfähig geworden sein, nachdem die bürgerlichen Parteien – abgesehen von der SVP – schon vorher ihre Zustimmung gegeben hatten.
Ohne die Zustimmung des Parlaments zur erweiterten Auslegung des DBA, betont der Bundesrat schon lange, sei eine Lösung im Steuerstreit mit den USA nicht möglich.
Steuergehilfe statt Bankier?
Auf politischer Seite sei nur die SVP kritisch, hebt die Westschweizer Wirtschaftszeitung L’Agefi hervor. Der administrative Aufwand, den man den Banken damit aufbürde, mache diese zu Steuerbehörden, befürchte die SVP. L’Agefi selbst ist auch der Meinung, dass sich die Finanzintermediäre auf eine neue Welle von reglementarischen Anforderungen gefasst machen müssten.
Die Angst der SVP um die Zukunft der Banken bringt die Westschweizer Tageszeitung Le Temps mit einer Karikatur auf den Punkt. Sie zeigt einen betrübten Bankier an seinem antiken Pult sitzen. Die depressive Stimmung erklären zwei Diplome an der Wand dahinter: «Bankier seit 1810», steht auf dem einen, «Steuergehilfe seit 2012» auf dem andern.
Für die Neue Zürcher Zeitung NZZ ist die gestern präsentierte Strategie der Regierung ein «Schnellschuss». Sie stört sich vor allem daran, dass der Bürger für die Steuerbehörde nicht mehr wie bisher als unschuldig gelte bis zum Beweis des Gegenteils, sondern Zweifel an dessen Ehrlichkeit gehegt würden. Mit der Selbstdeklaration würden alle, die in der Schweiz Geld anlegten, zunächst einem Generalverdacht ausgesetzt.
In Gefahr sei auch die Rechtssicherheit, die jeweils als Trumpfkarte für den Schweizer Finanzplatz gespielt werde, «wenn Banken in die Rolle des Hilfssheriffs einer ausländischen Steuerbehörde gedrängt werden», fürchtet die NZZ.
«Die Einführung einer Selbstdeklaration erscheint eher als fauler Kompromiss denn als kluger Schachzug». Das Instrument, das auch im Ausland kaum eingesetzt werde, dürfte auch im Ausland unglaubwürdig bleiben, prophezeit der Kommentator. Anstatt mit «einem Papiertiger bürokratischen Leerlauf zu produzieren, reicht es aus, von der OECD gesetzte Steuerstandards zu erfüllen.»
«Wohlweislich nebulös»
Die Strategie sei «so nebulös wie möglich» schreibt der Kommentator des Tages-Anzeigers. Die Regierung habe nur so viel wie nötig, und so wenig wie möglich preisgegeben, um eine politische Mehrheit für das DBA zu sichern. Aber wie streng die Deklaration und Prüfung sein werde, habe die Regierung «wohlweislich» offen gelassen. Hätte sie sich für eine strenge Regelung ausgesprochen, hätte sie Mitte-rechts gegen sich aufgebracht, mit einer weichen Regelung Mitte-links.
«In den Details der Weissgeldstrategie steckt jener Teufel, der das Abkommen mit den USA politisch zu Fall gebracht hätte», bilanziert der Tages-Anzeiger.
Applaus erhält der Bundesrat von der Tribune de Genève. «Symbolisch sei die Geste stark». Es sei nicht harmlos, einen Kunden zu verpflichten, ein Zeugnis für seine Tugendhaftigkeit zu unterschreiben. «Erstens veranlasst es einen potentiellen Steuerdieb, zweimal nachzudenken, zweitens kann das Dokument als Beweis dienen, wenn der Kunde gelogen hat und von der Steuerbehörde seines Landes aufgestöbert worden ist.»
Die SVP interpretiert den Vorschlag der Regierung als Vorarbeit für die Aufhebung des Bankgeheimnisses auch im Inland.
Der Fraktion werde vorgeschlagen, das DBA mit den USA anzunehmen, teilte die SP mit. Die SP begrüsse das «Einlenken des Bundesrates».
Die SP hatte ihre Zustimmung zum Abkommen davon abhängig gemacht, dass sich der Bundesrat zu einer Selbstdeklaration ausländischer Kunden bekennt.
Für die FDP und CVP geht der Bundesrat in die richtige Richtung. Entscheidend sei aber wie die Sorgfaltspflicht nun konkret ausgestaltet werde.
Die BDP begrüsste die Finanzplatzstrategie, die von ihrer Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf präsentiert wurde. Sie werde «auf jeden Fall» Ja sagen zum DBA mit den USA.
Die Grüne Partei wollte am Mittwoch keine Stellung nehmen zur Finanzplatzstrategie. Die Parole zum DBA werde erst nächste Woche beschlossen.
Die Bankiervereinigung legt in einer ersten Reaktion auf die Finanzplatzstrategie des Bundesrats ein Bekenntnis zu einer «Strategie der Steuerkonformität» ab.
Die Vereinigung arbeite seit einiger Zeit an entsprechenden Verhaltensregeln für die Banken. Sie lehne aber eine generelle Pflicht zur Selbstdeklaration ab. Es sei falsch, alle Kunden unter Generalverdacht zu stellen.
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch