Wahlbarometer: Der Wunsch nach Stabilität
Nach den Turbulenzen der letzten Jahre wünscht sich das Stimmvolk mehr Stabilität: Das zeigt eine Umfrage der SRG SSR ein Jahr vor den Wahlen. Demnach können einzig einige Mitteparteien etwas zulegen. Mit der Sitzverteilung im Bundesrat sind die Befragten zufrieden.
In den eineinhalb Jahrhunderten der modernen Schweizer Politik hat sich vermutlich nie vorher mehr verändert als in den letzten drei Jahren.
In der Landesregierung (Bundesrat) sind zum ersten Mal fünf Parteien an der Macht, nachdem ein Minister nicht im Amt bestätigt worden war, zwei Bundesräte haben die Partei gewechselt und vier sind in der laufenden Legislaturperiode zurückgetreten.
Auch im Parteiengefüge hat sich seit den letzten Parlamentswahlen 2007 nicht wenig verändert. Die Schweizerische Volkspartei (SVP) hat nach einer Teilung ihren moderaten Flügel verloren. Zwei neue Parteien, die Bürgerlich-Demokratische Partei (BDP) und die Grünliberale Partei (GLP), wurden aus der Taufe gehoben.
Schliesslich wurde die Fusion der Liberalen Partei mit der Freisinnig-Demokratischen Partei, seit Jahrzehnten diskutiert, umgesetzt.
Nach all diesen Turbulenzen, welche die Schweizer Politik aber nicht sonderlich vom Kurs brachten, wünscht sich die Wählerschaft nun eine gewisse Stabilität. Dies lässt zumindest das im Auftrag der SRG SSR vom Forschungsinstitut gfs.bern zwischen dem 27. September und 11. Oktober durchgeführte Wahlbarometer vermuten.
Fragmentierte Mitte
In den Kräfteverhältnissen unter den grossen Schweizer Parteien wird sich nicht viel ändern. Die SVP bleibt klar auf dem ersten Platz mit einem Stimmenanteil von 26,1% (-2,9% gegenüber den Parlamentswahlen 2007).
Danach folgen, wie schon vor drei Jahren, die Sozialdemokratische Partei (SP) mit 20,1% (+0,6%), die Freisinnig-Demokratische Partei (FDP.Die Liberalen) mit 17,2% (-0,5%), die Christlichdemokratische Volkspartei (CVP) mit 14,1% (-0,5%) und die Grüne Partei mit 8,5% (-1,1%).
Was die neuen politischen Parteien betrifft, würde die BDP auf 3,6% der Stimmen kommen, die GLP auf 3,8% (+2,4% gegenüber 2007, als diese Partei lediglich in den Kantonen Zürich und St. Gallen angetreten war).
Dank dem Auftreten dieser beiden neuen Parteien ist in der Umfrage eine leichte Stärkung der politischen Mitte festzustellen, doch sie wird in Zukunft fragmentierter sein. Nach den Wirren der letzten zehn Jahre wegen der zunehmenden Polarisierung zeigt die Erholung der Mitte nun, dass sich das Elektorat anscheinend mehr Stabilität wünscht.
Auf der rechten Seite muss die SVP Federn lassen, aber nur wenige. Es ist der Preis für die Trennung vor zwei Jahren. Die nationalkonservative Partei hat aber in der Vergangenheit mehrfach bewiesen, dass sie bei der Mobilisierung ihrer Wählerschaft erfolgreicher ist als andere Parteien.
Auf der linken Seite schafft es die SP, wieder einige der Stimmen von der Grünen Partei zurückzugewinnen, die sie vor drei Jahren verloren hatte.
Wichtiger Faktor
«Diese Daten sollten nur als eine Momentaufnahme angesehen werden, mehr nicht», warnte Claude Longchamp, Leiter des Instituts gfs.bern. Aktuelle Faktoren, wie etwa die jüngsten Bundesratswahlen, bei denen die sehr beliebte Sozialdemokratin Simonetta Sommaruga in die Landesregierung gewählt wurde, dürften der SP in der Umfrage zu einem leichten Vorteil verholfen haben.
Der offizielle Wahlkampf hat ein Jahr vor den Parlamentswahlen noch nicht angefangen, und die Umfrage berücksichtigt auch nicht das beabsichtigte Wahlverhalten der Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer, von denen bereits etwa 130’000 in den Wählerverzeichnissen eingeschrieben sind.
Dem Institut gfs.bern ist es nicht gelungen, eine Zusammenarbeit mit dem Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten zu realisieren, um auch die Fünfte Schweiz in die Untersuchung mit einzubeziehen.
«Das ist schade», sagt Longchamp, «weil die Schweizer im Ausland mit ihrem Stimmverhalten ein wichtiger Faktor sein können. In der Tat sind sie Menschen, die in anderen politischen und sozialen Umständen leben als bei uns und nicht die gleichen Möglichkeiten haben, sich zu informieren».
Konkordanz-Regierung bevorzugt
Der Wunsch nach Stabilität zeigt sich auch deutlich in den Antworten, die das Institut über die Zusammensetzung der sieben Mitglieder der Landesregierung gesammelt hat. Die Mehrheit der Befragten, 29%, zeigten sich zufrieden mit der gegenwärtigen Aufteilung der Sitze im Bundesrat: 2 SP, 2 FDP, 1 SVP, 1 CVP, 1 BDP.
18% wünschen sich eine Regierung der grossen und mittleren Parteien: 2 SVP, 2 SP, 1 FDP, 1 CVP, 1 Grüne. Weitere 16% sprachen sich für eine Regierung aus, in der lediglich die grossen Parteien vertreten sind: 2 SVP, 2 SP. 2 FDP, 1 CVP.
Ein politisches System mit Mehrheit und Opposition, wie es in fast allen anderen europäischen Ländern der Fall ist, fällt bei den Befragten durch. Nur 8% wollen eine Mitte-Links-Koalition, in der die SVP aus der Regierung ausgeschlossen wäre. Und nur 6% sprachen sich für eine Mitte-Rechts-Koalition mit SP und Grünen in der Opposition aus.
«Die Schweizerinnen und Schweizer sind ein wenig enttäuscht, wie die Konkordanz-Regierung in letzter Zeit gewirkt hat; trotzdem unterstützen sie zu grossen Teilen dieses Modell, das heisst, die Präsenz der grossen nationalen Parteien im Bundesrat», beobachtet Claude Longchamp.
Mehr
Bundesrat
Die Umfrage wurde zwischen dem 27.9. und 11.10.2010 vom Institut gfs.bern im Auftrag der SRG SSR durchgeführt.
2018 Wahlberechtigte aus allen Regionen des Landes wurden befragt.
Ziel der Umfrage ist es, ein Bild der Wahlabsichten vor der Parlamentswahlen im Herbst 2011 zu zeigen.
Der Stichprobenfehler liegt bei +/-2,2%.
1959 – 2003: Die lange Ära der «Zauberformel»: 2 Sitze für die SP, 2 FDP, 2 CVP und 1 SVP.
2004 – 2007: Die SVP schnappt sich mit Christoph Blocher einen Sitz der CVP: 2 SP, 2 SVP, 2 FDP, 1 CVP.
2008
Nach der Nicht-Wiederwahl von Blocher verlassen die neugewählte Eveline Widmer-Schlumpf und der Bisherige Samuel Schmid die SVP und treten in die neugegründete BDP ein: 2 SP, 2 FDP, 2 BDP, 1 CVP.
2009
Nach dem Rücktritt von Schmid zieht die SVP mit Ueli Maurer wieder in die Regierung ein – die heutige Aufteilung: 2 SP, 2 FDP, 1 SVP, 1 CVP, 1 BDP.
(Übertragen aus dem Italienischen: Christian Raaflaub)
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