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Wieder ein Ja, das schwierig umzusetzen ist

Von der Gefängniszelle direkt ins Flugzeug: Klare Forderung, schwierige Umsetzung. Keystone

Daran gibt es nichts zu rütteln: Das Schweizer Volk will, dass kriminell gewordene Ausländer in Zukunft das Land verlassen müssen. Der Gesetzgeber hat nun fünf Jahre Zeit, das Anliegen umzusetzen. Der Spielraum dazu ist gross, und viele Fragen bleiben offen.

«Für mich ist klar: Auch ein Volkswille und eine Volksmehrheit können nicht aus Unrecht Recht schaffen. Was Unrecht ist, ist im Völkerrecht festgeschrieben und dieses Unrecht kann weder das Volk noch der Gesetzgeber in Recht umwandeln», sagt der renommierte Staatsrechtler Thomas Fleiner gegenüber swissinfo.ch.

Fleiner hatte bereits im Vorfeld davor gewarnt, die Initiative dem Volk zur Abstimmung vorzulegen, da sie gegen zwingendes Völkerrecht verstosse. Dies vor allem darum, weil straffällig gewordene Ausländer selbst dann ausgeschafft werden können, wenn die Gefahr besteht, dass sie in ihrer Heimat gefoltert werden. «Das Völkerrecht steht über dem nationalstaatlichen Recht. Das Bundesgericht hat dies mehrmals festgehalten», sagt Fleiner.

Es sei nun nicht an der Zeit, zu relativieren, sagt hingegen Ulrich Schlüer, Nationalrat der rechtskonservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP), welche die Ausschaffungs-Initiative lanciert hat. Bei schweren Verbrechen müsse künftig automatisch ausgeschafft werden, so Schlüer.

Jeder Ausländer solle nun wissen, dass er heimreisen müsse, wenn er sich in der Schweiz nicht an die Regeln halte, hält SVP-Nationalrat Adrian Amstutz fest.

Gegen Grundsätze des EU-Rechts

Die Initiative unterscheidet weder zwischen «heimreisen» oder «ausgeschafft werden», noch zwischen Bürgerinnen und Bürgern aus EU-Ländern oder aus der restlichen Welt.

Für Staatsrechtler Fleiner ist klar: Das Ausschaffen von EU-Bürgern ist «besonders problematisch», denn «wir müssen davon ausgehen, dass die EU der Meinung ist, für Europäer sei Europa ihre Heimat und das schliesst die Schweiz mit ein. Aus diesem Grund dürfen diese Leute – auch wenn sie kriminell sind – nicht ohne weiteres ausgeschafft werden. Da muss sich die Schweiz an die bilateralen Verträge und an die elementaren Grundsätze des Europarechts halten».

Für Nationalrat Schlüer stehen die Forderungen der Initiative nicht im Widerspruch zu den bilateralen Verträge mit der EU, denn die Personenfreizügigkeit mit der EU gebe EU-Bürgern die Freiheit, in der Schweiz zu arbeiten, aber für Verbrecher garantiere sie keine Freiheit, so Schlüer.

Spagat zwischen Volkswillen und Verfassung

Die Initiative hat eine Verfassungsänderung zur Folge. Der Gesetzgeber, also das Parlament, hat nun fünf Jahre Zeit, diese in einem Ausführungsgesetz umzusetzen. Dass dies ein nicht leichtes Unterfangen sein wird, zeigen die Reaktionen der anderen grossen Parteien im Land.

«Ich glaube, es gibt Raum, das korrekt und in Respektierung des Volkswillens umzusetzen», sagt Fulvio Pelli, Präsident der FDP.DieLiberalen. Seine Partei wolle sich dabei an die «Prinzipien der Bundesverfassung» halten

Er erwarte von den Initianten, «dass sie uns nun sagen, wie sie das zu tun gedenken», sagt der Präsident der Christdemokraten, Christophe Darbellay und fügt an: «Wir respektieren das Völkerrecht.»

Für den Präsidenten der Sozialdemokraten, Christian Levrat, liegt der Ball nun beim Bundesrat und der SVP. «Wir haben immer wieder erklärt, dass es unmöglich ist, die Initiative umzusetzen», sagt er. Nun könne niemand von der SP erwarten, dass sie eine aktive Rolle bei der Umsetzung spiele.

Parlament hat Spielraum

Für Staatsrechtler Fleiner ist klar, dass die Möglichkeit, kriminelle Ausländer auszuschaffen, «jetzt sicher verschärft» wird: «Aber das Parlament hat einen grossen Spielraum bei der Definition und der Umschreibung der Tatbestände. Da ist für mich noch vieles offen bezüglich dem, was das Parlament machen wird.»

Bei der Ausgestaltung des Gesetzes müsse das Parlament nun streng und zügig vorgehen, sagt hingegen SVP-Nationalrat Hans Fehr. Ansonsten würde das Volk von den «Eliten» nicht ernst genommen.

Das Schweizer Stimmvolk hat die Ausschaffungs-Initiative der SVP mit 52,9% angenommen. 17,5 der 23 Kantone stimmten zu.

Der Gegenentwurf scheiterte mit 54,2% Nein.

Klar Nein sagten die Stimmenden zur Steuerinitiative der SP, die mit 58,5% Gegenstimmen scheiterte.

Die Stimmbeteiligung lag bei 53%.

Der Blick auf die Resultate der Kantone zeigt, dass die Abstimmungen letztlich eine klare Sache waren.

Die Ausschaffungs-Initiative wurde lediglich von sechs Kantonen verworfen. Es sind dies Waadt, Freiburg, Neuenburg, Jura, Genf und Basel-Stadt. Alle anderen hiessen die Verschärfung der Verfassung gut.

Noch klarer fiel das Bild beim Gegenentwurf aus. Dieser fand in keinem einzigen Kanton Zustimmung.

Die Volksinitiative der rechtskonservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP) verlangt, dass Ausländer, die sich schwerwiegende Straftaten zu Schulden kommen lassen, das Land zwingend verlassen müssen. Bei einem Ja drohen der Schweiz Konflikte mit dem internationalen Völkerrecht.

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