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Geneva Summit: Der Menschenrechtsgipfel ohne ein Wort zu Gaza

Hillel Neuer am Geneva Summit
Hillel Neuer, Direktor von UN Watch, führt in seiner Begrüssungsrede auch aus, dass man in China und Russland für den stillen Protest mit einem weissen Blatt Papier verhaftet wird. Geneva Summit/Screenshot Youtube

Jedes Jahr Mitte Mai findet der Geneva Summit statt, ein Forum für Menschenrechtsaktivist:innen aus der ganzen Welt. Der Nahostkonflikt kommt an dieser Veranstaltung immer höchstens am Rand vor – 2024 war die Abwesenheit des Kriegs aber besonders auffällig. Eine Analyse.

Der Israelisch-Palästinensische Krieg ist überall präsent in diesen Tagen. Man muss nicht mal Nachrichten lesen, es reicht sich in sein Social Media-Profil einzuloggen. Die Nachrichten und ihre Einordnung durch Journalist:innen und Nicht-Journalist:innen überschlagen sich.

Seit den grauenvollen Terrorattacken der islamistischen Hamas im 7. Oktober sind in Gaza zehntausende MenschenExterner Link gestorben. Alle möglichen Fragen, etwa wie viele der Getöteten Hamas-Kämpfer, wie viele Zivilist:innen sind, sorgen für Aufregung und Empörung.

Doch am Geneva Summit for Human Rights and Democracy 2024 ist man vor solchen Auseinandersetzungen gefeit. Der Menschenrechtsgipfel, der von 25 Nichtregierungsorganisationen (NGOs) gesponsert wird, hat am 15. Mai 2024 zum sechzehnten Mal stattgefunden.

Weniger Journalist:innen in Genf als 2023

Im Vergleich zum Vorjahr ist die Redner:innenliste kürzer – und es fehlten Stimmen, die so prominent sind wie der ukrainische Autor Andrej Kurkow oder die russische Menschenrechtsaktivistin Evgenia Kara-Murza, die vor einem Jahr gesprochen haben. Auch weniger Journalist:innen waren vor Ort in Genf.

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Denn eines muss man wissen: Die NGO UN Watch ist ein wesentlicher Träger des Geneva Summit. Wer auf der Webseite des Geneva Summit auf «Registrieren» klickte, ist auf eine Webseite von UN Watch weitergeleitet worden. Die proisraelische NGO positioniert sich öffentlich momentan vor allem mit Vorwürfen eines antiisraelischen Bias gegen die UNO.

Hillel Neuers Aufruf für geeinte Demokratien

Gestartet hat der Geneva Summit 2024 mit einem Appell für Einigkeit durch UN Watch-Direktor Hillel Neuer. Die Demokratien sollen im Eintreten für Menschenrechte geeint gegen die Diktaturen auftreten – in der Welt wie auch im UNO-Menschenrechtsrat in Genf. «Die Diktaturen arbeiten zusammen. Sie stützen sich», so Neuer.

Dabei spart er nicht mit Beispielen: «Von Havanna bis Harare, von Nicaragua bis Nordkorea, von Moskau bis Peking.»

Der UN Watch-Direktor lobt dann den Mut und die Entschlossenheit der eingeladenen Menschenrechtsaktivist:innen, zum Beispiel die «brilliante Aktivistin für das tibetische Volk Chemi Lhamo».

Der «härteste Gegner der UNRWA»

Neuers Begrüssung hat einmal um die Welt geführt, aber Israel und Gaza ausgespart. Ausserhalb des Summits äussert sich Neuer öffentlich momentan vor allem zu diesem Thema. Die Neue Zürcher Zeitung präsentiert ihn als härtesten Gegner der UNRWAExterner Link, des UNO-Palästinenserhilfswerks, das massiven Vorwürfen einer Unterwanderung durch die Hamas ausgesetzt war.

Der Bericht einer unabhängigen Expert:innenkommission hat das Hilfswerk seither teilweise entlastet. Auch danach blieb Neuer auf der Position, die UNRWA müsse «zerschlagen und ersetztExterner Link» werden.

Manuel Valls am Geneva Summit
Frankreichs ehemaliger Premierminister Manuel Valls eröffnete den Geneva Summit 2024 Geneva Summit/Screenshot Youtube

Manuel Valls: «Der Nahe Osten war nie frei von Kriegen»

Immerhin andeutungsweise auf den Gaza-Krieg zu sprechen, kommt der ehemalige französische Premierminister Manuel VallsExterner Link in seiner Rede. «Besonders seit dem 7. Oktober» hat der «Hass auf Juden und Israel zugenommen», führt er aus.

Um den von der Hamas gestarteten Krieg dann bloss zu touchieren: «Der Nahe Osten oder Afrika waren nie frei von Kriegen, aber er ist nun nach Europa zurückgekehrt, in die Ukraine. Und er könnte sich auf dem ganzen Kontinent verbreiten.»

Auch 2024 hat der Geneva Summit beeindruckende Menschenrechtsaktivist:innen versammelt.

Zum Beispiel hat Rei XiaExterner Link darüber geredet, wie das totalitäre China gegen die Demonstrant:innen vorgegangen ist, die sich nur mit einem weissen Papier auf die Strasse stellten – und dafür verhaftet wurden. Der Lehrer Abduweli AyupExterner Link schilderte die Verfolgung der Uighur:innen in China. Chemi LhamoExterner Link von den Students for Free Tibet redet darüber, wie es gelang, Xi Jinpings kürzlichen Besuch in Paris mit einem riesigen Free Tibet-Banner zu stören.

Als Journalist:innen haben wir viele dieser Reden und Debatten verpasst. Während das eng getaktete Programm seinen Lauf nimmt, haben wir am Geneva Summit jeweils die Gelegenheit für Interviews mit den angereisten Aktivist:innen.

«Tibet ist nicht mehr in den Nachrichten»

Chemi Lhamo
Die Menschenrechtsaktivistin Chemi Lhamo setzt sich dafür ein, dass die Situation in Tibet nicht vergessen wird und kritisiert demokratische Staaten oder Verbände wie das Olympische Komitee, die mit China kooperieren. SWI swissinfo.ch

Zum Beispiel eben mit Chemi Lhamo. Im Gespräch mit ihr bot sich auch die Gelegenheit, den Elefant im Raum zu benennen: Was hält sie davon, dass der Krieg in Gaza unerwähnt bleibt? Lhamo hat entschieden gesagt: «Ich bin komplett für Free Palestine.» Auch die Students for a Free Tibet haben sich in der Frage klar positioniert.

Doch unabhängig davon, wie die Organisator:innen im Nahostkonflikt eingestellt sind, habe Lhamo sich als Tibeterin verpflichtet gefühlt in Genf zu sein – und an die «schrecklicher werdende» Situation in Tibet zu erinnern. «Tibet ist nicht mehr in den Nachrichten. Seit der Winterolympiade wirkt es so, als hätte die Welt aufgehört, sich darum zu kümmern», so Lhamo.

Gleichzeitig beschäftige sie die Abwesenheit «von anderen Stimmen» am Geneva Summit. Als Menschenrechtsaktivistin trete sie für Menschenrechte für alle ein – «für Menschen in Palästina, ebenso wie für Menschen im Sudan».

Es waren also Menschen mit verschiedenen Haltungen zum Krieg in Gaza am Menschenrechtsgipfel, an dem dieser Krieg unerwähnt geblieben ist.

Geneva Summit 2024: «Inspirierend und wirkungsvoll»

Im Nachhinein nennt Hillel Neuer den diesjährigen Geneva Summit gegenüber SWI swissinfo.ch einen «inspirierenden und wirkungsvollen Anlass».

Neuer verweist auf die Rede von Job SikhalaExterner Link, Oppositionsführer in Simbabwe. Sikhalas Worte in Genf haben harsche Reaktionen von Simbabwes RegierungExterner Link ausgelöst, dort gross Schlagzeilen gemacht – und Solidaritätsproteste Externer Linkausgelöst.

Dass der Geneva Summit kleiner oder weniger prominent besetzt war, ist laut Neuer eine «Fehleinschätzung».

«Im Hinblick auf Palästina/Israel» schreibt Neuer, dass das «Mandat und die Schwerpunkte von UN Watch» andere seien als jene des Geneva Summit.

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«Demokratien wie Israel, die USA oder Frankreich müssen zur Rechenschaft gezogen werden», so Neuer. Aber der eintägige Gipfel sei der einzige Anlass bei der UNO, der Dissident:innen im Kampf gegen Diktaturen gewidmet ist. «Ob auch die Hamas-Diktatur thematisiert werden sollte, stand noch nicht zur Debatte, ist aber eine legitime Frage.»

Aufmerksamkeit für Tibet und Venezuela

Ein Menschenrechtskongress, der einen verheerenden Krieg mit vielen zivilen Opfern komplett ausblendet, ist ein seltsamer Anlass. Man könnte das den Organisator:innen des Geneva Summit zum Vorwurf machen.

Ebenso kann man aber auch anerkennen, dass es dem Geneva Summit gelang, Menschen mit gegensätzlichen Perspektiven auf den israelisch-palästinensischen Krieg zusammenzubringen, um an katastrophale Menschenrechtslagen zu erinnern, die sonst zu wenig Aufmerksamkeit bekommen.

Womöglich war ja das der Grund, weshalb weniger Journalist:innen den Weg ins Genfer Kongresszentrum gefunden haben: Weil das öffentliche Interesse an der Situation der Tibeter:innen, Uighur:innen und Venezolaner:innen momentan tief ist.

Editiert von David Eugster

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