2002: Kein gutes Jahr für Spitzenmanager
Bei den Schweizer Top-Konzernen sitzt Ende Jahr nur noch jeder zweite Konzernchef in seinem Sessel.
Fehlentscheidungen und Skandale haben den Ruf von Spitzenmanagern und Unternehmen gründlich in Verruf gebracht.
Die Zahlen sind eindeutig: Ende 2002 haben nur 12 der 26 im Swiss Market Index (SMI) vertretenen Schweizer Konzerne noch den gleichen Chef wie vor Jahresfrist.
Zwar war nach dem Platzen der Börsenblase bereits im Vorjahr die Rede von einer Vertrauenskrise. Mit nur sechs CEO-Wechseln nimmt sich die Bilanz 2001 aber noch vergleichsweise stabil aus.
Vom Sockel gestürzt
Auch die Verwaltungsrats-Präsidien sind unsicherer geworden: Nach vier Wechseln 2001 kam es dieses Jahr zu sieben Mutationen an der Spitze der Kontrollgremien der SMI-Konzerne.
Die Swiss Life Holding ist heuer unangefochtene Spitzenreiterin beim Verschleiss von Spitzenmanagern: Von den im Jahresbericht 2001 aufgeführten Konzernleitungs-Mitgliedern hat nur Michael Koller einen Platz im neu formierten Führungsgremium unter Rolf Dörig gefunden.
Eigeninteresse und Fehlentscheidungen
Der Rest strauchelte über die gescheiterte Expansionsstrategie, die Fehlbuchungen und zuletzt die Affäre um das Anlagevehikel Long Term Strategy.
Das dritte Jahr mit fallenden Börsenkursen in Folge hat vor allem den Finanz- und Versicherungskonzernen arg zugesetzt. Neben der Rentenanstalt kam es auch bei der Credit Suisse Group (CSG) und beim Zürich-Versicherungs-Konzern zum grossen Reinemachen auf den Chefetagen.
Rolf Hüppi (Zürich) und Lukas Mühlemann (CSG), vor Jahresfrist noch Konzernchefs und Verwaltungsrats-Präsidenten in Personalunion, wurden in Frühpension geschickt. Der zunächst angekündigte Teilrückzug aus einem der beiden Posten rettete keinen der beiden vor dem freien Fall.
Entzaubert wurde auch der Schwyzer Financier Martin Ebner. Seine Visionen gehören mittlerweile der Zürcher Kantonalbank, und wegen Insiderverdachts muss sich Ebner nun vor Gericht verantworten.
Personalisierungs-Falle
Laut dem Zürcher Soziologen Kurt Imhof sind die Unternehmen heute im Vergleich zu früher viel stärker von ihren Spitzenvertretern abhängig.
Dazu Imhof: «Das Sozialprestige ganzer Konzerne hat sich durch die von den Medien, aber auch von den Managern selber betriebene Personalisierung auf das persönliche Image einzelner Vertreter konzentriert.»
Die Kehrseite dieses Starsystems zeigt sich laut Imhof in Krisen. Dann nämlich werde das ganze Unternehmen zum Opfer seines Charismatikers. Das Fazit des Soziologen: «Über Jahrzehnte aufgebautes Sozialprestige wird so in kurzer Zeit vernichtet. Die Firmen stehen und fallen mit einer einzigen Figur.»
Ausweg schwierig
Trotz der Entzauberung der einstigen Überflieger hält Imhof ein schnelles Ende der Hire-and-Fire-Politik in den Teppichetagen für unwahrscheinlich. Dazu Imhof: «Die Prozesse der Moralisierung der Wirtschaft und der Personalisierung ihrer Spitzenvertreter lassen sich nicht aufhalten», sagt er.
Ähnlich wie die Gurus der 1990er-Jahre heute die Spitze der Abzockerlisten anführten, sässen auch die neuen Stars auf Schleudersitzen. So sei nur logisch, dass der eben zum Unternehmer des Jahres gekürte Swiss-Chef Andre Dosé besonders absturzgefährdet sei.
Rückkehr des patriarchalischen Rollenmodells
Auswege aus der Personalisierungs-Falle sind laut Imhof nicht einfach zu finden. Nach dem Vorbild von Swatch-Übervater Nicolas Hayek versuchten einzelne Unternehmen die Figur des Patrons wieder zu beleben.
«Das patriarchalische Rollenmodell ist stabiler als das charismatische. Und es lässt sich innerhalb der Firma auch besser kommunizieren», sagt Imhof.
Unternehmen müssten wieder stärker das Sozialprestige der Organisation anstatt die individuelle Reputation des CEO bewirtschaften. Einen Ansatz dazu sehe er im kollektiven Führungsmodell der Credit Suisse Group mit den Co-Chefs Grübel und Mack, sagt Imhof weiter.
swissinfo und Agenturen
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