Das Auto für einmal in der Garage lassen
Über 100 Schweizer Städte und Gemeinden beteiligten sich am Europäischen Aktionstag "In die Stadt – ohne mein Auto". Europaweit machten mehr als 1000 Städte mit.
Pendler waren aufgefordert, ihr Auto zu Hause zu lassen und die öffentlichen Verkehrsmittel zu nutzen.
Der europaweite Aktionstag will die «intelligente Mobilität» durch eine Reihe von freiwilligen Massnahmen fördern. Mit verschiedenen Aktionen sollen Alternativen aufgezeigt und Hemmschwellen abgebaut werden. Namentlich der Gebrauch des Velos und des öffentlichen Verkehrs sollen gefördert werden.
Derartige Aktionen seien «sehr nützlich», sagt Vincent Kaufmann, Experte für urbane Soziologie an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne (EPFL). Autofreie Tage sensibilisierten die Bevölkerung in Sachen Mobilitätsprobleme.» Allerdings darf man keine Wunder erwarten, solche Aktionen wirken sich nicht sofort aus», so Kaufmann zu swissinfo.
Reduzierte Tarife und Gratis-Tickets
Der Aktionstag «In die Stadt – ohne mein Auto» findet in 116 Städten und Gemeinden der Schweiz statt. Besonders engagiert ist mit rund 50 Städten und Gemeinden die Romandie. Erstmals beteiligen sich in diesem Jahr auch Tessiner Gemeinden am Aktionstag, der von EnergieSchweiz landesweit koordiniert wird.
An verschiedenen Orten in der Westschweiz gelten reduzierte Tarife im öffentlichen Verkehr. In Basel verteilt der Tarifverbund Nordwestschweiz (TWN) 10’000 Gratistickets. In Luzern werden Tageskarten für den ÖV kostenlos abgegeben.
In Bern wird die Altstadt für den privaten Motorverkehr gesperrt. Auch in Zürich wird ein Bereich für Autos gesperrt, allerdings dauerhaft: das mittlere Limmatquai. In Zürich finden die meisten Aktionen jedoch am Sonntag und nicht wie in den anderen Orten am Mittwoch statt.
Gefahr der Alibi-Übung
Vincent Kaufmann von der EPFL warnt indessen vor Alibi-Übungen. «Solche Aktionen bereiten den Behörden ein gutes Gewissen und erlauben es ihnen, keine grundsätzlich neue Verkehrspolitik zu machen.»
Zwar würden die meisten Städte die Verkehrsprobleme mehr oder weniger gut handhaben, im Griff hätten sie das Problem aber nicht. «Alle sagen zwar, es habe zuviel Autos in der Stadt, aber die Behörden begnügen sich oft nur mit kosmetischen Massnahmen dagegen.»
Diese Ansicht teilt auch Noelle Petitdemange, Sprecherin des Verkehrs-Clubs der Schweiz (VCS) «Ein solcher Aktionstag genügt nicht», sagt sie gegenüber swissinfo. «Man müsste den Autoverkehr in den Städten ganzjährig limitieren. Und dazu braucht es entsprechende Massnahmen der Behörden, auf kantonaler und auf Bundesebene.»
Bund und Kantone dürften zudem beim öffentlichen Verkehr nicht sparen, wie das jetzt geschehe. «Man kann den Leuten nicht sagen, verzichtet aufs Auto, ohne ihnen eine gute und bezahlbare Infrastruktur beim öffentlichen Verkehr anzubieten», so Petitdemange.
Einwände des TCS
Der Touring Club der Schweiz (TCS) begrüsst zwar Kundgebungen wie den Aktionstag vom Mittwoch. «Aber nur so lange, wie man niemandem zum Gebrauch eines bestimmten Verkehrsmittels zwingt», sagt TCS-Sprecher Joel Grandjean gegenüber swissinfo.
«Man sollte die verschiedenen Verkehrsmittel nicht gegeneinander ausspielen.» Und der TCS wehre sich gegen jeden Versuch, auf Gestzesebene autofreie Tage einzuführen, so Grandjean weiter.
Immer mehr Auto-Pendler – immer mehr Staus
Hintergrund des Aktionstages ist der stark gestiegene Anteil der Leute, welche mit dem Auto zur Arbeit fahren. Noch 1970 wurde nicht einmal ein Viertel aller Arbeitswege mit dem eigenen Auto zurückgelegt, heute ist es die Hälfte – eine Verdoppelung trotz mehrfacher Ölpreisschocks und zunehmender Klimaprobleme.
Da auch die Zahl der Berufspendler stark zunahm, hat dies gewichtige Folgen wie Staus, Unfälle, Bodenverbrauch und Zeitverluste am Arbeitsplatz. Jährlich betragen die Staukosten in der Schweiz gemäss EnergieSchweiz rund eine Milliarde Franken – was 10% der gesamten externen Kosten des schweizerischen Verkehrssystems entspricht.
Energie- und klimapolitisches Ziel noch weit entfernt
Hinzu komme, dass das energie- und klimapolitische Ziel der Schweiz, den CO2-Ausstoss zu senken, durch ein derartiges Verkehrsaufkommen gefährdet werde. Bis zum Jahr 2010 soll der CO2-Ausstoss 10% unter dem Stand von 1990 liegen – ein Ziel, von dem die Schweiz im Jahr 2004 noch sehr weit entfernt ist.
Immerhin rückt die im CO2-Gesetz vorgesehene CO2-Abgabe näher. Flankierende Massnahmen wie das Road Pricing, ein Strassengebührensystem zur Nachfrage-Regulierung, werden heute auch in der Schweiz diskutiert.
swissinfo und Agenturen
1950: Wegpendler-Anteil von 17%
2000: 57,8% der Erwerbstätigen pendeln zu einem Arbeitsort ausserhalb der Wohngemeinde
2000: 49,2% aller Erwerbstätigen fahren mit dem Auto zur Arbeit
1970 waren es nur 23,3%
Der erste Aktionstag «In die Stadt – ohne mein Auto» wurde im Jahr 1998 von der französischen Stadt La Rochelle organisiert.
In diesem Jahr nehmen über 1000 Städte in Europa an der Aktion teil, die an vielen Orten zu einer «Woche der Mobilität» verlängert wird.
In Kanada beteiligt sich nur die Stadt Montreal an der Aktion, in Brasilien sind es 20 Städte.
In Asien beteiligen sich Städte in Japan und Taiwan.
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch