Das Buch zum Jubiläum des Automobilsalons
Der Automobilsalon in Genf feiert dieses Jahr einen doppelten Geburtstag: Den 75. für die internationale Version, den 100. für die nationale Ausgabe.
Eine über 300 Seiten starke Publikation erzählt die Geschichte der Veranstaltung. Ein Interview mit Joëlle de Syon, einer der beiden Autorinnen.
Ein Jahrhundert automobilen Fortschritts. Dies beschreiben Joëlle de Syon und Brigitte Sion mit ihrem Buch, das dem 100. Geburtstag des Salons gewidmet ist.
Die Genfer Institution lockt jedes Jahr Hunderttausende von Interessierten an, welche die letzten Neuheiten der Autoindustrie bewundern wollen. Die Branche ist heute über 730 Mrd. Franken wert und steht in der Reihe der exportierenden Industrien nach der Chemie weltweit an zweiter Stelle.
swissinfo: Warum kam der Schweizer Autosalon gerade nach Genf?
Joëlle de Syon: 1905 galt Genf als die motorisierteste Stadt der Schweiz, mit fast 400 gemeldeten Fahrzeugen. So viele, wie in der ganzen übrigen Schweiz zusammen. Und eine ganze Reihe von Zulieferindustrien hatte sich in der Region angesiedelt, so dass die Branche direkt oder indirekt rund 8’000 Personen beschäftigte.
Zudem liegt Genf nahe bei Frankreich und Deutschland, den beiden grossen Autoherstellerländern.
Ausserdem löste das Aufkommen des Automobils in der Deutschschweiz eine grosse «Autophobie», also Autofeindlichkeit aus. Die Bevölkerung hatte Angst vor diesem neuen Fortbewegungsmittel, das unglaubliche Staubwolken produzierte. Denn die Strassen waren noch nicht geteert. Und die Automobilisten wurden oft als Raser tituliert.
In der Romandie dagegen entwickelte sich eine Leidenschaft für das Auto, obwohl es auch dort Ängste hervorrief. Aber wie die Zeitungen jener Epoche bezeugen, merkt man dort, dass das Auto den Fortschritt bringt.
Und in Genf, wo 1889 der Automobil Club der Schweiz (ACS) gegründet wurde, beschlossen Leute wie der Schweizer Michelin-Vertreter Paul Buchet, der junge Genfer Konstrukteur Jules Mégevet und der Präsident des ACS, Charles-Louis Empeyta, eine Ausstellung rund um das Automobil auf die Beine zu stellen. Und zwar gleich nach dem Pariser Salon von 1898.
Der Salon von 1905 war also eine der ersten reinen Automobilausstellungen.
swissinfo: Der 3. Schweizer Autosalon fand aber in der Deutschschweiz statt. Warum?
J. de S.: In der Deutschschweiz gab es immer mehr Autokonstrukteure und Karrosseriebauer. Diesen gelang es dank dem Automobil Club der Schweiz, den Salon zum grossen Missmut der Genfer nach Zürich zu holen.
Aber er fand nur ein einziges Mal dort statt. Denn die Fahrzeugindustrie ging gerade durch eine grosse Krise. In den folgenden Jahren gibt es deshalb in der Schweiz keinen Autosalon. Und dann kam der Erste Weltkrieg.
1923 kehrte der Salon nach Genf zurück. Und zwar dank der Hartnäckigkeit einer Person – Robert Marchand. Dieser stellte fest, dass sich die Deutschschweiz in den Startblöcken befand: Es war eine Ausstellung in Basel vorgesehen.
Mit Hilfe der Internationalen Automobilkammer ging er daran, den Titel eines Internationalen Salons zu erhalten. Und es gelang ihm in nur zwei Monaten, den Genfer Salon vorzubereiten, der ein Riesenerfolg wurde.
swissinfo: Waren zu dieser Zeit die Ängste in der Bevölkerung verschwunden?
J.de S.: Die Leute realisierten, dass das Auto nicht mehr nur ein Spielzeug der Reichen war, sondern für sehr viele von Nutzen sein konnte. So durften während der Epidemie der Spanischen Grippe 1918 nur die Autos der Ärzte zirkulieren. Viele Leute, vor allem auf dem Land, stellten fest, dass sie ohne Auto nicht rechtzeitig hätten medizinisch versorgt werden können.
Und dann kamen nach dem Krieg zahlreiche Occasionen auf den Markt. Fahrzeuge, die im Krieg von der Armee eingezogen worden waren.
In Europa brachte Citroën die ersten Autos auf den Markt, die man als Ganzes kaufen konnte. Vorher wurden die Autos in Einzelteilen verkauft (Chassis und Motor), die dann von den Karrossiers zusammengesetzt wurden.
swissinfo: Gab es unter den Herstellern auch Schweizer?
J. de S.: Bis etwa 1925 gab es einige Autokonstrukteure. Überlebt haben nur ein paar Lastwagenhersteller. Auch einige berühmte Karrossiers produzierten in der Schweiz.
Aber die Schweizer Autoindustrie fand den Weg in die Massenproduktion nicht. Es war eine Industrie für Luxusfahrzeuge wie den berühmten Piccard-Pictet (Pic-Pic), Autos nach Mass, sehr gepflegt und solid.
swissinfo: Aber es gelang ihnen nicht, sich dauerhaft in dieser Marktnische zu behaupten?
J. de S: Genau. Die Genfer Marke Stella hatte Kontakte mit Rolls-Royce. Aber daraus wurde nie etwas.
swissinfo: Wurde Genf als Ausstellungsort für den Autosalon von der Deutschschweiz weiter in Frage gestellt?
J. de G.: Heute macht in der Schweiz niemand mehr Genf den Platz streitig. Aber früher versuchte die Deutschschweiz mehrmals, die Ausstellung zurückzuholen. Zum Beispiel 1975.
Eigentlich ist das logisch, denn die grossen Fahrzeugimporteure befinden sich im Grossraum Zürich.
swissinfo: Der Salon ist aber trotzdem eine wichtige Verbindung zwischen Deutsch- und Westschweiz.
J. de S.: Das ist richtig. Für viele Deutschschweizer war der Besuch des Salons lange Zeit der wichtigste, wenn nicht gar der einzige Grund, in die Romandie zu fahren.
Jahrelang feierten ganze Scharen von Freunden dank dem Salon ein freies Wochenende in Genf. Und das ist noch heute so.
Cars und ganze Sonderzüge fahren aus der übrigen Schweiz Richtung Genf. Und die Plakate, die den Salon ankündigen, sind in den Deutschschweizer Städten überall zu sehen. Man könnte fast von einem Deutschschweizer Anlass in der Romandie sprechen.
Interview swissinfo: Frédéric Burnand in Genf
(Übertragung aus dem Französischen: Charlotte Egger)
Eine Ausstellung zum 100. Geburtstag des Salons, in Zusammenarbeit mit der Télévision suisse romande konzipiert, widmet sich dem Thema «100 Jahre Automobiler Fortschritt».
Der 75. Internationale Autosalon findet vom 3. bis 23. März in Genf statt.
1905: «Um das Auto werden wir nicht herumkommen. Es wird den Reisenden Unabhängigkeit geben und sie von Fahrplänen befreien. Es kommt ein Tag, da es so erfolgreich sein wird wie die Eisenbahn und die Fahrräder, und allen gehört.» (Ludwig Forrer, Bundesrat, am Tag der Eröffnung des ersten Genfer Autosalons 1905).
2005: «Meine wichtigste Aufgabe ist es, in Genf für Lebensqualität zu sorgen. All die Pendler, die mit ihren Privatwagen hin- und herfahren, das ist ein Unsinn. Genf muss sich gegen das exponentielle Wachstum der Zahl der Autos wehren.» Christian Ferrazino, Bürgermeister von Genf, nimmt an den offiziellen Feierlichkeiten des Autosalons 2004 nicht teil.
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