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«Der Protektionismus funktioniert nicht»

Pascal Lamy: "Ein offenes System bringt mehr Reichtum als ein geschlossenes System." ocde

Die Globalisierung ist schuld an der weltweiten Wirtschaftskrise. Das weiss Pascal Lamy, der Generaldirektor der Welthandelsorganisation (WTO). Im Gespräch mit swissinfo.ch am OECD-Forum in Paris warnt er vor protektionistischen Tendenzen.

Die gegenwärtige Krise und deren Auswirkung auf den Welthandel ist vergleichbar mit jener von 1930 und 1931, welche den Beginn der grossen Weltwirtschaftskrise einläutete. Dies rief ein Redner am Runden Tisch zur Frage «Sollen die Märkte nach der Krise offen bleiben?» am Forum der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in Paris in Erinnerung.

Für Pascal Lamy ist die Antwort klar. Die Krise darf nicht dazu verleiten, dem Ruf nach Protektionismus nachzugeben.

swissinfo.ch: Die Globalisierung hat aus einer amerikanischen Krise eine weltweite Krise gemacht. Warum soll eigentlich nicht jeder für sich schauen, um möglichst gut davonzukommen?

Pascal Lamy: Dass die Globalisierung die Krise globalisiert hat, ist augenfällig. Aber die Globalisierung hat über mehrere Jahrzehnte hinweg auch das Wachstum globalisiert, was für hunderte Millionen Menschen den Ausstieg aus der Armut bedeutete.

Es stimmt, dass diese Krise global ist. Hätte sie nicht global sein können? Ich glaube nicht. Das bedeutet aber nicht, dass wieder jeder nur für sich schauen soll. Mittel- und längerfristig ist dieses Schema weniger wirksam in Sachen Wertschöpfung, als wenn – dort, wo gegenseitiges Interesse besteht -untereinander Handel betrieben wird,

Nehmen wir die Schweiz: Die Arbeitsstellen in den Exportsektoren sind besser qualifiziert und besser bezahlt als andere. Das ist kein Zufall, sondern so, weil die Schweiz dorthin exportiert, wo sie konkurrenzfähiger ist als andere. Dort macht sie Gewinne dank ihrer Innovation, Produktivität und Effizienz. Aus diesen Gründen kann sie die Leute besser bezahlen.

Die Erfahrungen aus mehreren Jahrhunderten beweisen, dass in einem offenen System die Wertschöpfung höher ist als in einem geschlossenen. Betrachten wir doch den heutigen Zustand jener Länder, die sich weiter verschliessen. Diesen geht es ehrlich gesagt am schlechtesten.

swissinfo.ch: Diese Argumente überzeugen nicht alle. Bekommen sie protektionistische Tendenzen zu spüren, von Regierungen oder politischen Kräften?

P.L.: Sicher. Und ich verstehe sie sehr gut. Wenn die Lage schwierig ist, braucht man Schutz. Die Frage ist nur, ob kommerzielle Protektion oder Protektion an der Grenze wirklich hilft. Oder eben nicht.

Wenn man beginnt, sich vor Importen abzuschirmen, wird der Nachbar dasselbe tun. Und die Importe ihres Nachbarn sind ihre Exporte. Sie machen vielleicht Gewinne bei den Importen, werden aber viel verlieren bei den Exporten.

Also das funktioniert nicht. Es geht hier nicht um gut oder schlecht, um tugendhaft oder um irgendwelche philosophisch-politische Prinzipien, sondern es funktioniert einfach nicht!

Sicherlich, ein gewisser Protektionismus ist notwendig. Dort wo es um Systeme der sozialen Sicherheit oder um soziale Mobilität geht, muss man sich dieser Werkzeuge bedienen. Und das ist im Fall eines Landes wie der Schweiz der Fall.

Man darf aber nicht vergessen, dass 80% der Menschen auf der Welt keinen Zugang zu einem Netz sozialer Sicherheit haben. Und für sie ist der freie Handel in gewisser Weise die einzige Chance.

Die soziale Sicherheit vieler Entwicklungsländer ist die Sicherheit eines offenen Handels. Und wir müssen auch an diesen Teil unseres Planeten denken, der sich weiter entwickeln muss, denn die Armut dort ist immer noch immens.

swissinfo.ch: Dieses Jahr wurde an der OECD-Tagung viel über Umwelt gesprochen. Der Welthandel, das sind auch beträchtliche Mengen transportierter Güter mit wichtigen Umweltkosten. Sollte da nicht ein Gleichgewicht gefunden werden zwischen Ausweitung des Handels und Schutz der Umwelt?

P. L.: Natürlich. Es ist wahr, dass der internationale Handel Verkehr verursacht. Man muss aber auch sehen, dass 90% der Transporte auf dem Meer erfolgen, was weit sauberer ist als auf dem Land- oder Luftweg.

Nehmen wir als Beispiel Saudiarabien: Das Land hat nicht genügend Wasser, oder will sein Wasser nicht zur Bewässerung seiner Getreidekulturen nutzen. Also wendet es sich an den internationalen Markt.

Wenn Saudiarabien Getreide anbaute, wäre das ein ökologischer Fehler. Da in anderen Ländern mit genügend Wasser Getreide produziert wird, welches Saudiarabien importieren kann, gibt es eine umweltverträgliche Lösung im internationalen Handel.

Es ist also nicht alles schwarz oder weiss und schlussendlich ist alles davon abhängig, ob in den Energiepreisen der Ausstoss von CO-2 korrekt einkalkuliert ist.

Diese Frage liegt in der Hand internationaler Unterhändler. Darüber sollten sie sich an der internationalen Klimakonferenz von kommendem Dezember in Kopenhagen einigen.

Marc-André Miserez, Paris, swissinfo.ch
(Übertragung aus dem Französischen und Adaption: Gaby Ochsenbein)

Für die Schweiz veröffentlichte die OECD im Frühjahr keine Zwischen-Prognose.

Der jüngste Ausblick der Konjunkturexperten für die Schweiz fällt viel schlechter aus als vor einem halben Jahr.

Das reale Bruttoinlandprodukt (BIP) 2009 wird in der Schweiz um 2,7% sinken. In der letzten Prognose war die OECD bloss von einer leichten Rezession um minus 0,2% ausgegangen.

Für 2010 wird ein Rückgang um 0,2% vorausgesagt. Im Laufe des nächsten Jahres könnte eine langsame Erholung einsetzen.

Die Arbeitslosigkeit dürfte in der Schweiz auf 4,5% in diesem und 5,1% im nächsten Jahr ansteigen.

Die Weltwirtschaft wird laut der OECD im kommenden Jahr fast doppelt so schnell wachsen wie bislang angenommen.

Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit hat ihre Prognose von 1,25 auf 2,3% angehoben.

Für dieses Jahr erwartet sie einen Rückgang der globalen Wirtschaftsleistung von 2,2%. Im März wurden noch minus 2,75% vorhergesagt.

Im OECD-Raum wird ein Rückgang der Wirtschaftsentwicklung von 4,1% erwartet.

Im Falle der USA ist es ein Minus von 2,8%, statt 4%.

Für die Eurozone haben sich die Aussichten nochmals verdüstert. Nun wird ein Einbruch von 4,8% erwartet.

Deutschlands muss mit einem Absturz von 6,1% rechnen – ein Punkt schlechter als im März.

Für 2010 wird im Schnitt aller 30 OECD-Staaten ein Wachstum von 0,7% erwartet, im März war ein Minus von 0,1% befürchtet worden.

Zur grossen Belastung wird hingegen die Arbeitslosigkeit. Sie wird sich im OECD-Mittel von 8,5% in diesem Jahr auf 9,8% im nächsten Jahr erhöhen.

In der Eurozone wird gar eine Quote von 12% befürchtet.

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