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“DIE ZEIT” und Deutschland in der Alpenschule Schweiz

swissinfo.ch

Am 4. Dezember ist DIE ZEIT erstmals mit einer eigenen Schweiz-Ausgabe erschienen. Zum Auftakt publiziert die Hamburger Wochenzeitung ein Dossier zum Thema "Was die Deutschen von den Schweizern lernen können" – in 12 Lektionen.

“Bauen, wirtschaften, lernen, diskutieren – was die Schweizer besser können als die Deutschen”. Unter diesem Titel preist DIE ZEIT ihr neustes Produkt an. Eine Art Hommage an die Schweiz, welche, wie Chefredaktor Giovanni di Lorenzo in seinem Editorial schreibt, mit ihren vielen Gesichtern und ihrer grossen Unabhängigkeit “eine Besonderheit in Europa ist”.

Ziel der Schweizer ZEIT sei es, das gegenseitige Verständnis zu verbessern. “Gute Nachbarschaft zeichnet sich besonders durch eine Eigenschaft aus: Den Willen, voneinander zu lernen”, so di Lorenzo.

Und dazulernen könnten die Deutschen in Sachen Demokratie, Bankgeheimnis, Diskussionsstil, Universitäten, Verkehrspolitik, Architektur und vielem mehr. So zu lesen in den Beträgen von ZEIT– und anderen Journalisten sowie prominenten Gastautoren wie Verkehrsminister Moritz Leuenberger oder Geschichtsprofessor Jakob Tanner.

Demokratie

Unter dem Titel “Die Alpenschule” beschreiben die beiden ZEIT-Korrespondenten Peer Teuwsen und Urs Willmann den Staat Schweiz als “gut funktionierendes internationales Konsortium”, das es verstehe, sich jeweils die besten Hilfsmittel zusammenzusuchen, auch im Ausland. “Der Erfolg der Schweizer liegt nicht nur darin, gut zu arbeiten, sondern auch gut arbeiten zu lassen.”

Ein Paradies der Wohlanständigkeit sei die Schweiz nicht. “Genauso wie ausländische Arbeiter, arbeitet ausländisches Kapital in Schweizer Händen.” Der Schweizer, “ein notfalls bauernschlauer Kompromissler”, mit vielen Rechten: Während die Regierenden anderer europäischer Länder Angst vor dem eigenen Volk hätten, könne der Schweizer zu fast allem Wichtigen (und Unwichtigen) Ja oder Nein sagen. Aber eben nur fast.

Denn obwohl die Schweiz den Dauerweltredkord in direkter Demokratie beanspruche, würden zentrale Entscheidungen ausgelagert, schreibt der Historiker Jakob Tanner. Beispiel: das Massnahmenpaket zur Stabilisierung der in Schieflage geratenen Grossbank UBS. “Von Volksrechten ist hier schon gar nicht mehr die Rede. Und das Parlament konnte nur noch durchwinken.”

Als positiv bezeichnet Tanner aber, dass die direkt-demokratischen Instrumente seit jeher als Katalysatoren für politische Lernprozesse fungiert hätten. Die Drogen- und Umweltpolitik seien Beispiele dafür, dass auch “überbremste Systeme” zu Resultaten führen könnten. “Davon könnten sich Deutschland und die EU, deren Demokratie-Defizit eklatant ist, inspirieren lassen.”

Bankgeheimnis

Thema ist natürlich auch das Bankgeheimnis, dieses “zwielichtige Schlupfloch für Steuersünder”, das laut dem Journalisten Ralph Pöhner die Staatsauffassung verkörpert, dass der Bürger nicht Untertan, der Staat nicht Obrigkeit ist und Kontrolle gut, Vertrauen aber besser ist. “Und es funktioniert.”

In der Schweiz würden weniger Steuern hinterzogen als in Deutschland. Das Alpenland sei zum Tresor der Welt geworden, wegen der stabilen Währung, der politischen Unerschütterlichkeit, der niedrigen Inflation – und auch wegen des Bankgeheimnisses, welches die Botschaft verkünde: “Die Swiss Banks sind Bastionen, diskret, verschwiegen.”

Diskussionsstil

Eine amüsante Lektion in Sachen Diskussionsstil erteilt Iris Radisch, Moderatorin des “Literaturclubs” im Schweizer Fernsehen. Die nach 25 Jahren beim deutschen Fernsehen “eingeübte Gewohnheit, die Zunge als Waffe und die Stimmbänder als Argumentenverstärker zu verwenden, prallte in der Schweiz gegen eine freundliche Mauer höflichen Unverständnisses.”

Der Schweizer scheine nicht von der Gewissheit beseelt zu sein, dass er umso glaubwürdiger sei, je länger er rede und je häufiger er seinem Nebenschreier das Gebrüll abschneide, schreibt Radisch. Natürlich sei in der Schweiz nicht alles besser. “Aber immerhin ein bisschen leiser.”

Bunderatswahl

Etwas weniger überzeugend als das Dossier wirken die zwei Schweiz-Seiten, auf welchen ab jetzt wöchentlich über Schweizer Themen berichtet wird.

Das Interview mit Pierre Mirabaud, dem Präsidenten der Schweizerischen Bankiervereinigung, zur Schweizer Finanzpolitik und den düsteren Zukunftsaussichten ist zwar interessant. Und der Kommentar über einen möglichen Bundesrat Ueli Maurer, die persönliche Tragik von Christoph Blocher und das Phänomen SVP liest sich gut.

Allerdings lässt sich kaum voraussetzen, dass die durchschnittliche ZEIT-Leserschaft alles über die Abwahl von Christoph Blocher weiss. Eine Situationsanalyse und ein Erklärstück zur bevorstehenden Bundesratswahl vom 10. Dezember wäre kein Luxus gewesen. Das ist schliesslich Schweiz pur.

Rekordklein, aber fein

Ein Bijou ist die auf der Frontseite angekündigte Kolumne von Roger de Weck, dem ehemaligen ZEIT-Chefredaktor, zum Satz der Woche. Sie entpuppt sich als Ein-Satz-Kolumne – ein Kontrast zum gewohnt überdimensionalen Format der ZEIT, die sich in einem überfüllten Zug oder an einem windigen Strand nach wie vor nur beschwerlich lesen lässt.

swissinfo Gaby Ochsenbein, Zürich

Gegründet 1946 in Hamburg
Druckauflage: 600’000
Erreichte Leserschaft pro Woche: 2 Mio.
Bisher pro Woche in der Schweiz verkaufte Exemplare: 6000 – 7000
Druckauflage Schweiz-Ausgabe: rund 18’000
DIE ZEIT erscheint wöchentlich, jeweils am Donnerstag
DIE ZEIT ONLINE existiert seit 1996.

Die Wochenzeitung DIE ZEIT tritt mit Themen aus Politik, Wirtschaft, Kultur, Wissenschaft, Bildung, Gesellschaft, Reisen und Geschichte nach eigenen Angaben für freiheitliche, demokratische und soziale Prinzipien ein.

Mit Hintergrundberichten, Kommentaren und Reportagen will sie nicht nur eine wichtige Informationsquelle, sondern auch ein Orientierungsmedium für ihre Leserschaft sein.

Damit vertritt sie nach wie vor die Devise der im Jahr 2002 verstorbenen Chefredaktorin und Herausgeberin Marion Gräfin Dönhoff: “Wir wollen dem Leser Material bieten, damit er sich selber eine Meinung bilden kann, wir wollen nicht indoktrinieren.”

Herausgeber von DIE ZEIT ist u.a. der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt, Chefredaktor ist Giovanni di Lorenzo.

Seit 1996 gehört DIE ZEIT zur Stuttgarter Verlagsgruppe Georg von Holtzbrinck.

Verantwortlich für die Schweiz-Ausgabe ist der ehemalige Weltwoche– und Magazin-Journalist Peer Teuwsen. Kolumnisten sind Roger de Weck, ehemaliger ZEIT-Chefredaktor, Silvano Cerutti, Mathias Plüss.

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