genf, kapitale der globalisierten welt
Viele Regierungs- und Nichtregierungs- Organisationen finden in Genf ein gutes Pflaster. Ein stetes diplomatisches Ballett prägt die Stadt.
Die Schweiz und ihre Diplomatie profitieren von diesem internationalen Pol, dessen Bedeutung seit dem Fall der Berliner Mauer spürbar gewachsen ist.
Genf ist nicht die Hauptstadt der Schweiz, auch wenn dies viele Fremde und Touristen meinen. Die wohl am besten bekannte Schweizer Stadt hat sich aber im Lauf der Zeit zur Kapitale der globalisierten Welt entwickelt.
«Die Schweiz, das ist für die ganze Welt Genf.» Diese lapidare Formel des früheren Schweizer Diplomaten Edouard Brunner umreisst den Bekanntheitsgrad der Stadt, die seit langem den Europa-Sitz der Vereinten Nationen (UNO) und mehrere ihrer Sonderorganisationen beherbergt.
Brunners Zitat illustriert die Bedeutung der Stadt für das Bild der Schweiz in der Welt. Auch für Präsenz Schweiz, die Promotions-Agentur für den Auftritt
der Schweiz im Ausland, ist Genf ein Schlüsselelement bei der Vermarktung des Landes.
Genf ohne Stereotypen
«Wir versuchen, von den Stereotypen wie Berge und Schokolade wegzukommen, um das Bild einer modernen, städtischen und innovativen Schweiz zu vermitteln. Und Genf ist ein hervorragendes Beispiel für diese Schweiz», unterstreicht Sabina Giannoussios, die Kommunikationsverantwortliche von Präsenz Schweiz.
Überzeugung notwendig? Dazu reicht es unter anderem, in Erinnerung zu rufen, dass das World Wide Web (Internet) in den frühen 1990er-Jahren in dieser
Stadt entwickelt wurde. Genauer am CERN, dem Europäischen Kernforschungs-Zentrum. Hinter der Entwicklung stand Tim Berners-Lerner, einer der damaligen CERN-Forscher.
Diese Entwicklung fiel übrigens zusammen mit der neuen Rolle, die Genf seit dem Fall der Berliner Mauer und dem Ende des Sowjet-Imperiums spielt, der Rolle eines Globalisierungs-Labors.
Befindet sich doch in Genf auch der Sitz des World Economic Forum (WEF), das jedes Jahr in Davos im Graubünden zum Globalisierungs-Stelldichein ruft.
Die Stadt am Genfersee beherbergt auch den «Gendarmen» des Freihandels, die
Welthandels-Organisation (WTO) – und deren arbeitsrechtlichen Gegenpart, die Internationale Arbeits-Organisation (ILO).
Nabel der Globalisierung
Eine weitere grosse Akteurin ist die Weltorganisation für geistiges Eigentum (Wipo), die sich in Genf mit dem Patent-Schutz befasst, einem Schlüssel-Dossier für Unternehmen in der ganzen Welt.
Der Finanzplatz Genf bleibt zudem auch einer der wichtigen Handelsplätze für Rohstoffe, angefangen beim Erdöl.
In und um Genf finden sich noch weitere Organisationen, die sich mit anderen Herausforderungen der Globalisierung befassen. Dazu
gehören die Weltgesundheits-Organisation (WHO), die Welt-Meteorologie-Organisation (WMO) und der internationale Sitz des WWF (World Wide Fund for Nature).
Und nicht zu vergessen: Genf als Sitz der humanitären Hilfe mit dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) und der Internationalen Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmond-Gesellschaften. Und dem neu geschaffenen Menschenrechts-Rat der UNO.
Neue Form der Partnerschaft
Kein Wunder also, dass Diplomaten aus aller Welt und Vertretungen von Nichtregierungs-Organisationen
(NGO) von diesem Verhandlungs- und Regulierungs-Pol der Globalisierung angezogen werden.
Genf gilt auch als eines der Labors der weltweiten Regierungsführung. Anders gesagt, hier entsteht eine neue Form der Partnerschaft, die Staaten, den Privatsektor und die Zivilgesellschaft zusammenführt.
Zusammenarbeit im Umfeld
«Im Umfeld jeder internationalen Organisation findet man heute eine Reihe privater und öffentlicher Organisationen, die damit beginnen, neue Arten der Zusammenarbeit einzurichten», sagt Jean Freymond, der Direktor des Zentrums für angewandte Studien
in internationaler Verhandlungsführung (CASIN).
«Sie tun dies, um sehr konkrete, gezielt angepeilte Probleme anzugehen», erläutert Freymond. «Auf diese Art und Weise wurde Genf zum Beispiel zu einem weltweiten Pol im Bereich Gesundheit.»
Die Schweiz sollte daher nach Ansicht von Freymond das Aufkommen dieser neuer Zusammenarbeit zwischen dem Privatsektor, den NGO, Universitäten und Staaten bewusst fördern.
In andern Worten: «Sie muss den neuen Einheiten, die aus diesen Partnerschaften hervorgehen, gute Rahmenbedingungen anbieten.»
Edouard Brunner, der ehemalige Diplomat, unterstreicht und ruft seinerseits die unzähligen Vorteile in Erinnerung, welche die Schweiz und ihre Regierung aus dem internationalen Genf ziehen können.
Ein Beispiel: «Unsere Minister können hier Kontakte mit ihren Amtskollegen aus der ganzen Welt knüpfen und die Mächtigen dieses Planeten treffen. Und unsere Diplomaten lernen hier viel über multilaterale Verhandlungen», unterstreicht Brunner.
swissinfo, Frédéric Burnand, Genf (Übertragung aus dem Französischen: Rita Emch)
Als zweite «Hauptstadt» der UNO nach New York gilt Genf als aktivstes Zentrum der multilateralen Diplomatie. 155 Staaten sind präsent.
Von den internationalen Organisationen in Genf gehören sieben zum UNO-System: Die Hochkommissariate für Menschenrechte und für Flüchtlinge, die Organisationen für Weltgesundheit, für geistiges Eigentum, für Welt-Meterologie, die Internationale Arbeits-Organisation und die Telekom-Union.
Zu den wichtigsten weiteren gehören das Europ. Kernforschungs-Zentrum (CERN), die Welthandels-Organisation (WTO), die Abrüstungskonferenz, die Int. Migrations-Organisation (IMO) und die Int. Flug-Transport-Vereinigung (IATA).
Im weiteren: Int. Komitee vom Roten Kreuz, die Int. Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmond-Gesellschaften, die Europ. Runkfunk-Union (EBU) und der Ökumenischen Kirchenrat.
22 der 30 in der Schweiz niedergelassenen internationalen Organisationen haben ihren Sitz in Genf.
Ingesamt befinden sich Vertretungen von mehr als 170 Nichtregierungs-Organisationen in der Stadt.
In Genf leben und arbeiten rund 35’000 Diplomaten und internationale Funktionäre sowie etwa 2400 NGO-Angestellte.
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch