Internet-Kontrolle: Schweizer an der Spitze
Die UNO hat den Schweizer Diplomaten Markus Kummer zum Leiter des Sekretariats für die Internet-Verwaltung ernannt.
Kummer wird eine Arbeitsgruppe ernennen, welche Lösungen für die Kontrolle des World Wide Web erarbeiten soll – eines der umstrittensten Themen am Info-Gipfel Ende letzten Jahres in Genf.
Es geht um nichts weniger als die Zukunft des Internet. Im Vordergrund stehen heikle Fragen wie die Definition der Internet-Verwaltung (Internet Governance) sowie des Konsumenten- und Datenschutzes. Ebenfalls diskutiert werden sollen die Netzwerk-Sicherheit und der Kampf gegen unerwünschte elektronische Massensendungen, die so genannten Spam-Mails.
Die Situation ist politisch und emotional sehr geladen, wie sich beim UNO-Informationsgipfel (WSIS) in Genf deutlich gezeigt hat. Das Sekretariat, das Kummer nun leitet, ist ein Resultat des Genfer Gipfels.
Als weiteren Schritt beschlossen die Delegierten die Einsetzung einer Arbeitsgruppe. Diese soll bis zum zweiten Teil des UNO-Informationsgipfels in Tunis im November 2005 Lösungsansätze finden und einen entsprechenden Bericht vorlegen.
Vergangene Woche hat nun UNO-Generalsekretär Kofi Annan einen ersten Pflock eingeschlagen und den Schweizer Markus Kummer mit der Leitung des Sekretariats beauftragt. Kummers erste Aufgabe wird die Zusammenstellung der Arbeitsgruppe sein.
Kontrolle unter Fittichen der USA
Bisher befasst sich nur die ICANN (Internet Corporation for Assigned Names and Numbers) mit der Verwaltung der Domains und Adressen im Internet. Seit 1998 wird die in den USA ansässige Organisation von der Regierung in Washington finanziell unterstützt.
Die ICANN – und durch die Verknüpfung mit Washington somit die USA – kontrollieren damit unter kalifornischem Recht in gewisser Weise das Netz der Netze. Dagegen wurden in der jüngsten Zeit vermehrt Klagen laut, vor allem aus Ländern des Südens, die das System als unausgewogen kritisierten. Sie befürchten, dass die USA die Kontrolle über das Internet ganz an sich reissen wollen.
Markus Kummer hat also eine schwierige Aufgabe zu bewältigen.
swissinfo: Wie wird sich die Arbeitsgruppe zusammensetzen?
Markus Kummer: Es ist noch viel zu früh, um dazu etwas zu sagen. Immerhin kann ich einige Prinzipien nennen: Die Zusammensetzung muss ausgewogen sein, mit Vertretern aus allen Erdteilen. Die Arbeitsgruppe muss aber auch die Regierungen, die Zivilgesellschaften und die Privatwirtschaft repräsentieren.
In diesen drei Bereichen, also Staaten, Nichtregierungs-Organisationen und Wirtschaft, müssen die Entwicklungsländer gerecht vertreten sein. Das wird eine grosse Herausforderung sein. Denn bisher sind es die Länder des Nordens, welche das Internet dominieren. Auch sind sie es, welche die Debatte zur Zukunft des Web bestimmen. Das sorgt in den Ländern des Südens für grosse Frustrationen.
swissinfo: Was sind die Aufgaben dieser Arbeitsgruppe?
M.K.: Deren einzige Aufgabe wird es sein, das Aufgabenfeld abzustecken. Eine weiter gefasste Definition des Tätigkeitsbereichs würde alle Fragen rund um das Internet beinhalten. Eine engere Definition hiesse die Beschränkung auf die Infrastruktur sowie die Adressen-Verwaltung.
Die meisten staatlichen Akteure sind dafür, dass man über die Vergabe von Web-Adressen (Domainnamen) hinaus auch die Internet-Sicherheit, den Datenschutz, den Schutz der Konsumenten und die Spamflut angehen sollte.
Diese Fragen müssen aber noch vertieft werden. Die Arbeitsgruppe definiert ja ihr Mandat selber. Sicher ist, dass eine Verbreiterung der Diskussion den Dialog entschärfen könnte. Bleibt er hingegen auf die Adressen und die Organisation fokussiert, welche diese verwaltet (die ICANN), droht eine noch stärkere Polarisierung.
swissinfo: Die USA stemmen sich gegen jede Lösung, bei welcher die ICANN umgangen wird. Sind trotzdem Kompromisse möglich?
M.K.: Die Arbeitsgruppe muss die gegenwärtige Struktur des Internets analysieren und die Frage stellen, wer was tut. Dann muss sie eine Reihe von Empfehlungen abgeben. Theoretisch könnte die Arbeitsgruppe erklären, dass die aktuelle Situation befriedigend sei und dass lediglich die Koordination optimiert werden müsste. Das Gremium ist sicher nicht verpflichtet, radikale Reformen vorzuschlagen.
Die Länder des Südens plädieren für eine Reform, welche eine stärkere Kontrolle durch die Regierungen umfasst. Sie wollen weiter, dass die Verwaltung des Internet der UNO unterstellt wird. ICANN-Chef Paul Twomey hat mir gegenüber erklärt, er wolle konstruktiv an diesem Dialog teilnehmen.
Die Europäische Union (EU) hat in der Frage noch keine gemeinsame Position, da ist die Bandbreite der Meinungen noch zu gross. Einige sind mit der momentanen Situation zufrieden, andere möchten eine stärkere Kontrolle durch die Regierungen.
swissinfo: Wirtschaftskreise, besonders die Internationale Handelskammer, befürchten, dass die Einbindung der UNO eine grössere Bürokratie zur Folge hätte. Dies wiederum könnte die Zukunft des Internet lähmen. Besteht dazu kein Risiko?
M.K.: Man muss sehen, dass das Internet mit dem jetzigen System gut funktioniert. Bevor man etwas ändert, muss man sicher sein, dass das Web als neue Informations-Infrastruktur dadurch keinen Schaden erleidet.
Es ist zudem davon auszugehen, dass sich das Web nicht derart entwickelt hätte, wenn es von einer inter-gouvernementalen Behörde beaufsichtigt worden wäre. Man muss umgekehrt aber auch anerkennen, dass das Internet keine rechtsfreie Zone bleiben kann.
Zusammenfassend heisst das, dass es in der Frage der Kontrolle und der Sicherheit des Web eine Vielzahl von möglichen Antworten gibt. Eine zentrale Organisation ist überhaupt nicht zwingend. Nötig ist aber eine internationale Zusammenarbeit, denn niemand hat an einem Nord-Süd-Graben Interesse.
Interview swissinfo, Frédéric Burnand, Genève
(Übersetzung aus dem Französischen: Rita Emch und Renat Künzi)
Seit April 2002 ist Markus Kummer beim Schweizer Aussenministerium (EDA) zuständig für den Bereich Informations- und Kommunikations- Technologien (ICT).
In der Schlussphase des UNO-Informationsgipfels in Genf hatte Kummer im Dezember den Vorsitz der Verhandlungsgruppe, die sich mit der Internet-Verwaltung, der Rolle der Medien und den Menschenrechts-Fragen befasste.
Markus Kummer ist auch Mitglied einer departements-übergreifenden Arbeitsgruppe, die sich mit der Umsetzung der Strategie des Bundesrates zur Informations-Gesellschaft befasst.
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