Nationalbank: «Vernünftig und risikoreich»
Die Schweizer Presse begrüsst mehrheitlich die Entscheidung der Nationalbank, den Franken mit einer Kursuntergrenze von 1,20 Franken an den Euro zu binden. Unisono weist sie aber auch auf das Risiko einer solchen Massnahme hin.
«Natürlich kann man versuchen, einen Sturm auszusitzen. Wenn das Unwetter aber – wie jetzt auf dem Devisenmarkt – nicht mehr bloss an den Fensterläden rüttelt, sondern Stücke des Fundaments wegreisst, wird es tatsächlich ungemütlich», beschreibt das St. Galler Tagblatt die Lage, in der sich die Nationalbank vor der Verkündigung ihrer Massnahmen gegen den starken Franken befunden hat. «Nur wenige haben dann noch die Nerven oder die Leidensfähigkeit, ein solches Szenario durchzustehen.»
Das Boulevardblatt Blick äussert auch Bewunderung für den Schritt der Währungshüter: «Der Nationalbankpräsident wird oft als achter Bundesrat bezeichnet. Aber wann hat ein Bundesrat zuletzt einen solchen Entscheid fällen müssen? Welch eine Last, welch eine Verantwortung, welch ein Mut.»
Auch die Mittelland Zeitung windet der Nationalbank ein Kränzchen: «Dass sie nun ganz ohne ideologische Scheuklappen in den seit den 1970er-Jahren eingestaubten Giftschrank des geldpolitischen Interventionismus gegriffen hat, ist richtig und konsequent.» Die Nationalbank gehe aufs Ganze, ohne sich und ihre Möglichkeiten zu überschätzen. «Sie hat dem Euro eine realistische und vernünftige Untergrenze gesetzt. Realistisch, weil sie den Frankenkurs nur verteidigen kann, wenn er deutlich überbewertet ist. Vernünftig, weil eine höhere Untergrenze zwangsläufig zu massiver Inflation führen würde.»
Unabschätzbare Risiken
«Gefährliches und spätes Glücksspiel der Nationalbank,» titelt La Regione ihren Beitrag. Dieser Schritt berge auch viele Risiken. Für die Tessiner Zeitung muss etwas getan werden, um «ein starkes Signal an den Markt zu senden. Man muss klarmachen, dass der Schweizer Franken nicht Gold ist.»
«Wir sind allein gegen alle, gegen den Markt, der unsere Entschlossenheit testen wird und gegen den es nicht einfach sein wird, sich zu halten», schreibt Le Temps. Niemand könne das Ergebnis dieser Auseinandersetzung voraussagen bei der es um das Misstrauens gegenüber den Währungen der grossen Volkswirtschaften gehe «und um das Vertrauen in die Währung eines kleinen, finanziell soliden, stabilen und berechenbare Landes.»
Und der Tages Anzeiger weist auf eine weitere Gefahrenquelle hin: «Kurzfristige Gewinnaussichten zählen an den Märkten mehr als die Meinung von Experten. Das staatlich garantierte Angebot der Schweizer Nationalbank, Euros in unbeschränkter Menge zu einem Franken zwanzig entgegenzunehmen, ist verlockender als die ungewisse Aussicht auf wirtschaftliche Erholung im Euroraum.»
Die Wirksamkeit der Strategie der Nationalbank wird laut der Tribune de Genève weitgehend von der äusseren Situation abhängen: «Der Kurs des Euro ist durch die enormen Defizite in der Eurozone betroffen.» Die Frage sei, «ob die Euro-Länder dem Schweizer System einen Gefallen erweisen wollen, wenn sie um ihre Selbsterhaltung kämpfen?»
Ein weiterer Blickwinkel kommt von der Finanz und Wirtschaft: «So überzeugend die Wirkung am Dienstag auch ausgefallen ist, darf doch nicht vergessen werden, dass die SNB aus der Defensive handelt. Ihre bisherigen Aktionen gegen die Frankenaufwertung sind wirkungslos geblieben. Die Eurokäufe zwischen März 2009 und Mai 2010 ebenso wie die Flutung des Frankengeldmarkts mit Liquidität letzten Monat.»
Die Neue Luzerner Zeitung berichtet von einer weiteren Gefahrenquelle, die sie bei der Politik und Unternehmen ausmacht: «Sie fordern jetzt weitere Interventionen der Nationalbank und sind erst bei Kursen um 1.40 zufrieden. Weil es für die Notenbank um nichts weniger als um die eigene Glaubwürdigkeit geht, darf sie sich nicht von der Politik einschüchtern lassen. Nur wenn sie die Märkte überraschen kann, wirken die Massnahmen. «
Wie 1978?
Dass die Nationalbank den Franken an eine andere Währung bindet, kommt nicht oft vor. «Die Nationalbank hat zum ersten Mal seit Oktober 1978 ein formelles Wechselkursziel deklariert. Damals wie heute war der Franken für die Wirtschaft auf sehr unangenehme Höhen gestiegen, und die Rufe nach Massnahmen der Währungshüter waren unüberhörbar geworden», schreibt die Neue Zürcher Zeitung.
Der Tages-Anzeiger präszisiert: «Erleichtert hat der Nationalbank den Griff zu diesem Instrument die Tatsache, dass es 1978 in einer ähnlichen Situation gegen die Schwäche der D-Mark wirkte. Aber die spekulativen Gelder bewegten sich damals noch längst nicht in der aktuellen Grössenordnung.»
Inflation?
Diese Geldpolitik könnte tatsächlich die Inflation anheizen, befürchtet Le Matin und zitiert einen Experten: «Wenn sich die Wirtschaft im Euroraum weiter verschlechtert, wird der Franken auch weiterhin ein sicherer Hafen für Investoren bleiben.» Und so könnte die Nationalbank gezwungen sein, die Notenpresse anzuwerfen, und die riesige Geldmenge könnte eine deutliche Steigerung der Preise bewirken. Dies sei auch 1978 passiert. Der Franken sei zwar schnell auf ein akzeptables Niveau gesunken, aber es sei eine Inflation ausgebrochen.
Der Corriere del Ticino schreibt, «Die Nationalbank könnte gezwungen sein, sehr viel Geld einzuschiessen, um das Inflationsrisiko einzudämmen. In vielerlei Hinsicht wäre es wohl besser, den Weg der Reduzierung der Preise auf dem Inlandmarkt weiter zu beschreiten (vor allem bei eingeführten Waren). So könnten die Vorteile eines starken Frankens ausgespielt werden, ohne dass durch gezielte Interventionen die Liquidität der Nationalbank auf Spiel gesetzt werden muss.»
Die Bindung des Frankens an den Eurokurs ist auch für die ausländische Presse ein Thema: «Der Schritt der Schweiz weist weit über die Schweiz hinaus», schreibt etwa die Financial Times Deutschland (FTD). «Mit dem Schritt positioniert sich die SNB sehr klar und sendet den Märkten ein deutliches Signal.» Laut FTD haben Experten kaum Zweifel an dem Durchsetzungswillen der SNB. «Die Aktion der Schweizer könnte vor allem die Japaner in Zugzwang bringen, verbleiben sie doch damit als einzige wichtige Sichere-Hafen-Währung.»
Die Süddeutsche Zeitung konstatiert: «Sogar Christoph Blocher von der rechtspopulistischen SVP, der Marktinterventionen der Nationalbank bisher scharf kritisiert hatte, nannte den Mindestkurs eine sinnvolle Massnahme.» Sie fragt sich jedoch, «ob die SNB einem erneuten Ansturm der Märkte auf den Franken standhalten kann».
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