SBB-Cargo: Grossaufmarsch gegen den Abbau
Mehr als 5000 Menschen haben in Bern gegen die Abbaupläne von SBB Cargo demonstriert. Die Kundgebung war laut aber friedlich. Ein Grossteil der Demonstrierenden reiste mit Extrazügen aus dem Tessin an.
Im Nationalrat fand eine dringliche Debatte zu SBB Cargo statt. Bundesrat Moritz Leuenberger rief die Streikenden auf, die Arbeit wieder aufzunehmen.
«Hände weg von den SBB-Werkstätten in Bellinzona», skandierten die Kundgebungsteilnehmer schon am Berner Bahnhof lautstark. Einfahrende Züge grüssten die Demonstranten mit Hupsignalen.
Zahlreich und friedlich haben am Mittwoch über 5000 Menschen in Bern gegen die Abbaupläne von SBB Cargo demonstriert.
Das Gros der Demonstranten reiste aus dem Tessin mit Sonderzügen an.
Dem Kundgebungsaufruf der Gewerkschaften gefolgt waren auch viele Frauen, Kinder und ältere Leute.
SBB erhalten Rechnung
Die Familien der Arbeiter in Bellinzona brauchen eine Perspektive für die Zukunft, forderte der Streikführer der SBB Werke in Bellinzona, Gianni Frizzo, in seiner Ansprache.
Sprechchöre riefen «vergogna» (Schande) in Richtung Bundeshaus. Frizzo rief, man werde der SBB-Führung nicht nur die Rechnung zurückschicken, die sie wegen der Streikkosten angedroht habe. Die SBB erhielten auch eine zweite Rechnung «für die Kosten all jener Kolleginnen und Kollegen, die krank vor Sorge sind, weil sie ihren Arbeitsplatz verlieren sollen».
Entscheid bis Ostern
Paul Rechsteiner, Nationalrat der Sozialdemokratischen Partei (SP) und Präsident des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes, sprach von einer «eindrücklichen Kundgebung und einer eindrücklichen Streikbewegung». Die Solidarität mit den Streikenden SBB-Angestellten aus Bellinzona könne in Bern Berge versetzen.
Die SBB müsse den Abbau-Entscheid rückgängig machen, forderte er. Dieser Entscheid sei möglich, und er müsse bis Ostern fallen.
Pierre-Alain Gentil, Präsident des Schweizerischen Eisenbahn-und Verkehrspersonal-Verbandes (SEV), stiess ins gleiche Horn. Die Sistierung des Stellenabbaus reiche nicht, die SBB spiele damit lediglich auf Zeit.
Aufruf zu Wiederaufnahme der Arbeit
Am Mittwoch befasste sich auch das Parlament mit SBB Cargo: Im Nationalrat fand eine dringliche Debatte zu diesem Thema statt. Verkehrsminister Moritz Leuenberger rief die Streikenden von SBB Cargo dazu auf, ihre Arbeit wieder aufzunehmen. «Die SBB ist bereit, Alternativen in Betracht zu ziehen», versicherte er.
Er habe die Zustimmung von der SBB-Geschäftsleitung, dass diese bereit sei, je nach Ergebnis der Gespräche ihre Entscheide ganz oder teilweise zu revidieren. Sein Departement garantiere, dass die Spielregeln für einen fairen und offenen Dialog eingehalten würden, sagte Leuenberger. Im Vordergrund steht für ihn nun der Runde Tisch.
Der Verkehrsminister appellierte auch an die Politiker im Kanton Tessin und an die Gewerkschaften, ihre politische Verantwortung im Interesse des ganzen Landes wahrzunehmen und zur Deeskalation beizutragen.
Schuld und Zukunft
Die Debatte im Rat drehte sich vor allem um die Schuldfrage und die Frage nach der Zukunft von SBB Cargo. Was die Zukunft betrifft, wurde eine verstärkte Zusammenarbeit der SBB Cargo mit anderen Bahnen oder Transporteuren gefordert – bis hin zur Fusion.
Verkehrsminister Leuenberger wies den Vorwurf, der Bund habe seine Aufsicht über die SBB ungenügend wahrgenommen, energisch zurück. Der Bundesrat habe das Unternehmen jederzeit mit den übergeordneten politischen Zielvorgaben gesteuert.
Auch der Bund sei jedoch bereit, nach Fehlern zu suchen. Sobald der SBB-Verwaltungsrat die verlangten Auskünfte darüber vorgelegt habe, wie es zur unbefriedigenden Situation gekommen sei, werde der Bund seine Rolle als Eigner überdenken.
«Volksaufstand» im Tessin
Im Übrigen forderte die Rechte ein Ende des Streikes, während sich die Linke solidarisch mit den Streikenden zeigte. Der Streik sei nicht akzeptabel, die Zeiten der Arbeitsplatzgarantie seien vorbei, befanden die beiden SVP-Nationalräte Peter Föhn und Max Binder.
Der Tessiner SP-Nationalrat Fabio Pedrina sprach indes von einem «Volksaufstand» im Tessin, wo im letzten Jahrzehnt über 2000 Arbeitsplätze verloren gegangen seien.
swissinfo und Agenturen
SBB Cargo ist die für den Güterverkehr zuständige Tochter der Schweizerischen Bundesbahnen. Das Unternehmen mit Hauptsitz in Basel beschäftigt rund 4400 Mitarbeitende.
Für 2007 weist SBB Cargo einen Rekordverlust von 190,4 Mio. Franken aus. Auch im laufenden Jahr wird mit einem Verlust gerechnet. Am 7. März 2008 hat SBB Cargo einen Restrukturierungsplan vorgelegt.
In Freiburg sollen demnach 165 Stellen abgebaut werden: Der Restrukturierungsplan sieht vor, das Kunden Service Center von SBB Cargo zu schliessen, 51 Stellen zu streichen und 114 in die Zentrale von SBB Cargo nach Basel zu transferieren.
In Bellinzona sollen 114 der 142 Stellen beim Unterhaltsdienst für die Cargo-Loks verschwinden; die 28 anderen Stellen werden nach Yverdon und nach Chiasso verlegt.
Beim Güterwagen-Werk Bellinzona fallen 12 der 212 Stellen weg. Die restlichen 200 sollen in das neue dortige Unterhaltswerk für Güterwagen ausgelagert werden.
Die Finanzdelegation der Eidg. Räte (FinDel) lässt untersuchen, wie die SBB Cargo ihre grossen Verluste eingefahren hat. Sie hat die Eidg. Finanzkontrolle (EFK) mit einer vertieften Prüfung beauftragt.
Wie die für die Oberaufsicht zuständige FinDel am Mittwoch mitteilte, geht es darum, die Aussagekraft des Management-Accountings und des betrieblichen Rechnungswesen von SBB Cargo, die Subventionsströme im Güterverkehr und das Reporting der SBB gegenüber dem Eigner Bund zu beurteilen.
Nicht Gegenstand der Untersuchung sind die von der SBB eingeleiteten Sanierungsmassnahmen.
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