Schengen ist für Tourismusbranche vital
Ein Beitritt der Schweiz zum Schengen-Abkommen ist für den Tourismus sehr wichtig. Im Falle eines Neins erwartet die Branche erhebliche Nachteile.
Entscheidend ist die geltende Visa-Regelung, die für Tour-Operators aus dem Fernen Osten abschreckend wirkt. Ein Beitritt würde dieses Hindernis beseitigen.
Die Spitzen der Schweizer Tourismusbranche verteidigen vehement den Beitritt zum Schengen-Abkommen, über den das Stimmvolk am 5.Juni an der Urne entscheiden muss. Ein Nein hätte ihrer Meinung nach fatale Konsequenzen für den helvetischen Tourismus.
Die Tourismusbranche setzt sich aktiv für das Schengen-Ja ein. Der Auftakt zur Kampagne begann symbolisch mit einem Reisebus vor dem Bundeshaus.
«Im Gegensatz zur SVP und ihren Schengen-Gegnern führen wir keine politische Kampagne», stellte Christian Rey, Präsident des Schweizer Hoteliervereins hotelleriesuisse, klar. Das Ja beruhe auf praktischen Erfahrungen und der Sorge um die Arbeitsplätze.
Visafrage entscheidend
Für den Tourismus ist das Abkommen insbesondere wegen der Visa-Bestimmungen von entscheidender Bedeutung. Viele Touristen – beispielsweise Inder oder Chinesen – brauchen heute zwei Visa, wenn sie auf einer Europareise auch die Schweiz besuchen wollen: ein Visum für den Schengen-Raum und ein Visum für die Schweiz.
«Nicht die Zusatzkosten für das Schweiz-Visum, sondern der zusätzliche bürokratische Aufwand wirkt abschreckend», stellt Christian Rey klar. In China verfüge die Schweiz nur über drei konsularische Vertretungen. Die 13 EU-Länder, die dem Schengen-Abkommen beigetreten sind, hätten hingegen heute bereits 35 Konsulate.
«In einigen Jahren könnten Reisende mit einem Schengen-Visum 27 europäische Länder besuchen (25 EU-Staaten sowie Norwegen und Island), aber nicht die Schweiz», warnt der Präsident von Hotelleriesuisse. Ein Beitritt zum Schengen-Abkommen räume dieses Hindernis aus dem Weg.
Der Hotelierverein ist überzeugt, dass ein Nein des Volkes zur Schengen-Vorlage gravierende Konsequenzen hätte. Wegen der Visa-Komplikationen verzichteten bereits heute viele chinesische Tour-Operatoren auf einen Besuch der Schweiz. Ohne eine Änderung werde es in Zukunft noch schwieriger, Chinesen in die Schweiz zu bringen.
Multiple-Visum löst die Probleme nicht
Die Schengen-Gegner halten nichts von dieser Argumentation. Ihrer Meinung nach wäre es ausreichend, dass die Schweiz einseitig das Schengen-Visum anerkennt. Touristen mit einem Schengen-Visum könnten so ohne weitere Formalitäten in die Schweiz einreisen.
Dies erscheint auf den ersten Blick einleuchtend, doch die Verantwortlichen der Tourismusbranche sehen darin eine Scheinlösung. Denn das Schengen-Visum erlaubt nur die einmalige Einreise in den Schengenraum. Touristen, die nach einem Besuch Frankreichs beispielsweise in die Schweiz und dann nach Italien wollten, können dies mit einem einfachen Schengen-Visum nicht tun.
Sie bräuchten ein Multiple-Visum, das zur mehrfachen Einreise in den Schengen-Raum berechtigt und in der Regel Geschäftsleuten vorbehalten ist. China hat ausdrücklich darum gebeten, dass diese Multiple-Visa nicht an Touristen ausgestellt werden.
Grosses Marktpotential
Der ungewöhnlich energische Einsatz der Tourismusbranche in einer Abstimmungsdebatte ist leicht zu erklären. Es geht um wichtige Schwellenmärkte (China, Indien, Russland und einige lateinamerikanische Staaten). Die Welttourismus-Organisation rechnet bis 2020 mit einer Zunahme von 4% an Touristen aus diesen Ländern.
«Im Jahr 2003 verzeichneten wir bereits 120’000 Logiernächte chinesischer Gäste. Die Zahl wird sich bis Ende 2006 verdoppeln», sagt Walter Steuri, Präsident der Jungfraubahn im Berner Oberland. Bis zum Jahr 2015 erwarten Experten sogar 800’000 Chinesen jährlich.
Feriengäste aus dem Fernen Osten geben zudem auf ihren Reisen besonders viel Geld aus. «Ein chinesischer Tourist gibt pro Tag zirka 450 Franken aus und kauft dabei gerne Markenartikel wie Uhren ein», so Steuri.
Die Tourismusbranche will sich diese Schwellenmärkte nicht entgehen lassen. Vor allem aber will sie wegen der Visafrage nicht länger im Nachteil gegenüber der Konkurrenz in anderen europäischen Ländern sein.
swissinfo, Daniele Mariani
(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)
Jahresumsatz 2004 der Schweizer Tourismus-Branche: 31 Milliarden Franken.
60% der Einkünfte stammen von Ausländern.
Rund 30’000 Unternehmen sind im Tourismus tätig.
Zwischen 255’000 und 280’000 Personen arbeiten in der Tourismusbranche.
Der Vertrag von Schengen regelt den Personenverkehr in den Unterzeichner-Staaten, insbesondere die Abschaffung systematischer Personenkontrollen an den Binnengrenzen dieser Staaten.
Polizeieinheiten und Grenzwachtkorps arbeiten eng zusammen, vor allem über das Schengen-Informationssystem (SIS), einer Datenbank der Polizei- und Ermittlungsbehörden.
Die Schengen-Staaten haben eine gemeinsame Visa-Regelung für Touristen aus Nicht-Schengen-Ländern.
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