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Schweizer Multis ohne Moral?

Das best- und das schlechtest-qualifizierte Schweizer Unternehmen 2005. Keystone

Die Genfer Firma Covalence beurteilt multinationale Unternehmen in Bezug auf Nachhaltigkeit. In den Top Ten des Jahres 2005 figuriert keine Schweizer Firma.

Defensive Kommunikation könnte laut Covalence-Direktor Antoine Mach ein Grund für das schlechte Abschneiden von Schweizer Unternehmen sein.

Multinationale Unternehmen aus der Schweiz stehen in Bezug auf ihre ethische Reputation im internationalen Vergleich nicht an oberster Stelle. Zu diesem Schluss kommt eine Studie der Genfer Firma Covalence.

In der Studie wurden die 20 wichtigsten börsenkotierten Unternehmen in 10 Wirtschaftszweigen unter die Lupe genommen. Insgesamt wurden 207 Unternehmungen analysiert. Am Besten schnitt der britische Pharma-Koloss GlaxoSmithkline ab, vor seinen US-Konkurrenten Merck und Bristol Meyers Squibb.

Von den Schweizer Unternehmen platzierte sich die Basler Pharma-Firma Roche auf Rang 16 am Besten, gefolgt vom Pharma-Giganten Novartis (42.Rang). Die beiden Schweizer Grossbanken Credit Suisse und UBS belegen die Plätze 92 und 100. Der Agrochemiekonzern Syngenta auf Rang 198 und der Nahrungsmittelkonzern Nestlé auf Rang 200 bilden die Schlusslichter.

Börsenkurs der Nachhaltigkeit

Das Genfer Unternehmen Covalence wurde 2001 von sechs lokalen Unternehmern gegründet. Es hat sich zur Aufgabe gemacht, den Ruf multinationaler Unternehmlungen weltweit zu untersuchen. Zu diesem Zwecke werden alle Daten ausgewertet, die via Internet verfügbar sind.

Die Informationen stammen von Zeitungen, Zeitschriften, Nicht-Regierungsorganisationen, Universitäten, Gewerkschaften und natürlich von den Unternehmen selber.

Für jede positive Information erhalten die Unternehmungen einen Punkt. Für jede negative Information wird ihnen ein Punkt abgezogen. Die Gesamtpunktzahl wird ständig à jour gebracht und wie bei einem Börsenkurs publiziert.

Bei der Bewertung werden 45 Kriterien angewendet, welche den Rahmen internationaler Gesetze berücksichtigen. Beispielsweise: Die allgemeine Menschenrechtserklärung oder die Erklärung von Rio zur Umwelt und Entwicklung.

Die Kriterien teilen sich in vier Gruppen auf: Die Arbeitsbedingungen sowie die institutionellen Folgen und Umweltauswirkungen von Produktion und Produkten.

Kommunikationsprobleme

Aber was bedeutet die Rangliste genau? Haben Schweizer Unternehmen keine Moral? Gemäss Covalence-Direktor Antoine Mach gibt es unterschiedliche Erklärungen für deren mittelmässiges Abschneiden.

Er nennt beispielsweise die typisch schweizerische Mentalität zu Diskretion und Understatement: «Viele Schweizer Unternehmen leisten Hervorragendes in den untersuchten Gebieten, doch wollen oder können sie dies nicht kommunizieren.»

Es zeige sich daher häufig ein grosses Gefälle zwischen dem, was tatsächlich gemacht werde, und dem Image eines Unternehmens.

Mach nennt auch einen historisch-wirtschaftlichen Grund für diese Situation: «Das Image eines Landes färbt auf das Image der einzelnen Unternehmen ab.» Beispielsweise die Debatte um die nachrichtenlosen Vermögen, in welche die Grossbanken UBS und Credit Suisse verwickelt waren, oder die Diskussion um den Zugang zu Arzneimitteln in der Dritten Welt, bei der Roche und Novartis ins Blickfeld der Öffentlichkeit gerieten.

Schliesslich gibt es laut Mach rein technische Gründe für das Ranking: «Im Internet stammen die meisten Daten aus dem angelsächsischen Raum und dies spiegelt sich in unserer Datenbank.» Englische und amerikanische Unternehmungen können so leichter im Index nach oben rutschen. «Das ist ein Limit unserer Erhebung, wir wissen das», räumt Antoine Mach ein.

Tendenz zu Verbesserung

Gemäss der Covalence-Studie bildet Nestlé das Schlusslicht unter den Schweizer Firmen. Auf Anfrage von swissinfo rät der multinationale Konzern mit Sitz in Vevey, der Studie keine allzu grosse Bedeutung zuzumessen.

«Ehrlich gesagt: Ich kenne die Firma Covalence überhaupt nicht», sagt Nestlé-Sprecher François-Xavier Perroud. Er könne daher auch nicht beurteilen, wie zuverlässig die Ergebnisse der Studie seien.

«Aber ich weiss, dass vor kurzem eine Publikation erschienen ist, laut der kein Schweizer Unternehmen in der Welt mehr respektiert wird als Nestlé», fügt Perroud an. Seiner Meinung nach messen auch die Konsumenten solchen Studien keine allzu grosse Bedeutung zu.

Auch wenn die Schweizer Unternehmen im Ranking 2005 nicht brillieren, darf nicht übersehen werden, dass sie in der Regel eine positive Tendenz beim ebenfalls bewerteten ethischen Fortschritt («Best ethical progress») aufweisen.

Roche, Novartis, UBS und Nestlé schneiden da wesentlich besser ab als in der Gesamtrangliste; Credit Suisse und Syngenta hinken ein wenig hinterher.

swissinfo, Michel de Marchi
(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)

Die «ethische Rangliste», bzw. der Nachhaltigkeitsindex von Unternehmen gemäss Covalence:1. GlaxoSmithkline (GB, Pharma), 2. Merck (USA, Pharma), 3. Bristol Myers Squibb (USA, Pharma)

Schweizer Unternehmen: 16. Roche, 42. Novartis, 92. Credit Suisse, 198. Syngenta, 200. Nestlé.

Covalence wurde 2001 gegründet. Die Firma in der Nähe Genfs unterhält unter dem Namen EthicalQuote ein System für die Beurteilung multinationaler Unternehmungen in Hinblick auf ihr Verhalten und ihr Image.

Dabei werden 45 Kriterien angewendet, die unter anderem den Beitrag der Unternehmen zur nachhaltigen Entwicklung der Menschheit oder in Bezug auf Umweltverträglichkeit messen.

Die Informationen über die beurteilten Unternehmen beruhen auf 11’000 ausgewerteten Dokumenten, die aus 2000 unterschiedlichen, im Internet aufgefunden Quellen stammen.

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