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Steuerstreit Schweiz-EU schwelt weiter

Schweiz-EU: In Steuerfragen herrscht keine Harmonie. Keystone

Bern und Brüssel haben sich über Steuerprivilegien, die Schweizer Kantone ausländischen Firmen gewähren, erneut nicht geeinigt.

Die Europäische Union (EU) kritisiert die Erleichterungen als Verzerrung des Freihandels. Die Schweiz bestreitet dies.

Beide Seiten konnten nur feststellen, dass sie uneinig sind. Somit werden sich die 25 EU-Kommissare mit dem Steuerstreit befassen müssen.

Für die Fachbeamten der EU-Kommission handelt es sich bei den Steuerprivilegien um unfairen Steuerwettbewerb, der den Freihandel zwischen der Schweiz und der EU verzerre.

Die Schweiz weist diese Vorwürfe als grundlos zurück. Die Steuerprivilegien und das bilaterale Abkommen, das den Handel regle, hätten nichts miteinander zu tun, so die offizielle Haltung Berns.

Schweiz markiert Gelassenheit

Die Uneinigkeit ist deshalb brisant, weil im Freihandelsvertrag kein neutrales Schiedsgericht vorgesehen ist. Bei Uneinigkeit kann die unzufriedene Partei einseitige «Schutzmassnahmen» ergreifen. Laut Artikel 27 des Vertrags kann sie «insbesondere Zollzugeständnisse zurücknehmen».

Über einen solchen Schritt der EU wollte Botschafter Bernhard Marfurt, der Chef der Schweizer Mission in Brüssel, am Freitag nicht spekulieren. «Die EU hat keinen Beweis oder auch nur Hinweis vorlegen können, dass die kantonalen Steuerregeln den bilateralen Handel verzerren», betonte er vor Schweizer Medien.

«Ich glaube nicht, dass sich das Thema der Schutzmassnahmen in den kommenden Monaten stellt», sagte Marfurt weiter.

Grobes Geschütz auffahren?

Die Mühlen der EU mahlen langsam. Mittelfristig spuren die Fachabteilungen der EU-Kommission aber auf einen Kurs ein, in dem Handelssanktionen gegen die Schweiz «eine potenzielle Möglichkeit» sind, wie in Brüssel bereits vor der gestrigen Sitzung erklärt wurde.

Demnach soll die EU-Kommission noch vor der Sommerpause formell erklären, dass die kantonalen Steuerregime ein Verstoss gegen das Freihandelsabkommen sind. Der logische nächste Schritt wäre dann, dass die EU «Schutzmassnahmen» beschliesst.

Solche Handelssanktionen gegen die Schweiz müssten die Mehrheit der EU-Kommissare und eine qualifizierte Mehrheit der EU-Staaten ausdrücklich beschliessen.

Druckmittel wahrscheinlicher

Ob es je dazu kommen wird, lässt sich gegenwärtig nicht abschätzen. «Wir stellen uns auf einen langen Konflikt ein», sagte ein EU-Diplomat. Wahrscheinlich ist, dass Brüssel dabei die Drohung mit Sanktionen zumindest als Druckmittel einsetzen wird.

Bereits dies wäre für Brüssel allerdings ein riskantes Spiel mit unkontrollierbaren politischen Nebenwirkungen. So ist nur schwer vorstellbar, dass das Schweizer Volk dereinst der Solidaritäts- oder Kohäsionsmilliarde für die neuen EU-Länder in Osteuropa zustimmen würde, falls Brüssel gleichzeitig Sanktionen androht.

Und auch in Zukunft hat Brüssel gewichtige Anliegen an Bern: Ebenfalls am Freitag beschloss der EU-Ministerrat ein Mandat für Verhandlungen mit der Schweiz über die Ausdehnung der Personenfreizügigkeit auf Rumänien und Bulgarien.

swissinfo, Simon Thönen, Brüssel

Bei den Differenzen zwischen der Schweiz und der EU geht es um die Frage, ob vorteilhafte kantonale Steuersätze den Freihandels-Vertrag von 1972 verletzen.

Im September 2005 hatte die EU-Kommission in einem Brief an die Schweiz die Steuerpraktiken in den Kantonen Zug und Schwyz verurteilt.

Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hat das Steuersystem dieser Kantone nicht als schädlich befunden.

Seit langem betont die Schweiz , dass der Steuerwettbewerb zwischen den 26 Kantonen gesund sei und ausländische Investoren anlocke.

So hätten tiefe Steuern einigen Kantonen geholfen, besonders Zug und Schwyz, neue Investoren anzuziehen.

Das Freihandels-Abkommen zwischen der Schweiz und der EU-Vorgängerin, der Europäischen Wirtschafts Gemeinschaft EWG, von 1972 ist einer der tragenden Pfeiler der Beziehungen Bern–Brüssel.
Das im Dezember 1972 vom Schweizer Stimmvolk angenommene Abkommen war ein politisches Nebenprodukt des Übertritts Grossbritanniens und Dänemarks von der kleinen Europäischen Freihandels-Assoziation (EFTA) zur grossen Zollunion EWG.
Der Deckungsbereich des Abkommens umfasst nur Industrie-Produkte.

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