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Steuerstreit: Schwieriger Dialog Bern-Brüssel

Beim Treffen mit Micheline Calmy-Rey im Oktober machte EU-Kommissionspräsident Barroso klar, dass er vom Dialog Ergebnisse erwartet. Keystone

Am Montag beginnt in Bern ein Dialog zwischen der Schweiz und der EU zur Entspannung des Steuerstreits. Die Erwartungen beider Seiten liegen aber weit auseinander.

Brüssel will erfahren, wann die Schweiz die umstrittenen kantonalen Steuerregime abschafft. Für Bern geht es bloss um eine unverbindliche Fachdebatte.

Als Vorbereitung auf den Dialog, der am Montag in Bern stattfindet, präsentierte der Schweizer Finanzminister Hans-Rudolf Merz letzte Woche eine Studie über staatliche Beihilfen in der EU: Firmen würden mit 75 Milliarden Franken Subventionen und Steuerrabatten unterstützt, lautete das Fazit.

Der Bericht ist eine Antwort auf den Vorwurf der EU, dass kantonale Steuervergünstigungen den Freihandel zwischen der Schweiz und der EU verfälschen.

In Brüssel zeigt man sich von der Fleissarbeit wenig beeindruckt. Man rede mit der Schweiz nicht allgemein über Beihilfen, sondern über drei konkrete kantonale Steuerregime, heisst es hinter den Kulissen. Falls Bern solche Regime in EU-Staaten kenne, sei man für Hinweise dankbar. Die EU-Kommission würde dann Verfahren zu ihrer Abschaffung einleiten.

Zurückhaltung angebracht

Bern dürfte sich allerdings davor hüten, EU-Staaten in Brüssel anzuschwärzen. Denn damit würde sie die letzten potenziellen Freunde in der EU verärgern – der Bericht ist eine stumpfe Waffe.

Die EU erwartet vom Dialog Ergebnisse: «Ohne Zweifel wird es da Resultate geben», betonte EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso Anfang Oktober beim Besuch von Bundespräsidentin Micheline Calmy-Rey in Brüssel.

Konkret will die EU weiterhin, dass die Kantone die ausländischen Erträge von gewissen Firmen gleich besteuern wie die inländischen Erträge. Es geht um Holdings, gemischte Gesellschaften und Verwaltungsgesellschaften.

Aus Schweizer Sicht soll der Dialog lediglich «einen Austausch der Standpunkte zu verschiedenen offenen Fragen auf Expertenebene ermöglichen». So formulierte es Alexander Karrer, Leiter der Abteilung für internationale Finanzfragen und Währungspolitik im Finanzdepartement, im Vorfeld des Besuchs von Calmy-Rey gegenüber swissinfo. Karrer leitet am Montag die Schweizer Delegation.

Offene Fragen

Als konkretes Beispiel für eine ungeklärte Frage nannte er damals die Holdingbesteuerung: «Entgegen der Auffassung der EU-Kommission werden ausländische und inländische Erträge von Holdings nicht unterschiedlich besteuert», betonte er. Gelingt es Bern, Brüssel in diesem Punkt zu überzeugen, dann fiele zumindest ein gewichtiger Streitpunkt weg.

Offen bliebe aber auch dann die Frage, ob und wie die Schweiz die Steuerregime für gemischte Gesellschaften und Verwaltungsgesellschaften abschafft. Finanzminister Merz hat seit April wiederholt angedeutet, aber nie ausdrücklich bestätigt, dass die Schweiz dies im Rahmen einer weiteren Unternehmenssteuerreform tun könnte.

Merz die Hände gebunden

Bern könnte sich dabei an EU-Staaten orientieren, die auf Druck von Brüssel ähnliche Steuerregime abschaffen mussten. Irland zum Beispiel senkte den Steuersatz für alle Firmen massiv – beinahe auf das Niveau der früher privilegierten Firmenkonstrukte herunter. Sollte die Schweiz Irland nacheifern, dann würde dies jedoch zu erheblichen Steuerausfällen für die öffentliche Hand führen.

Eine Debatte über solche Steuersenkungen kann Merz im Moment schlecht gebrauchen: Sie würde der Linken Munition für ihren Abstimmungskampf gegen die Unternehmenssteuerreform II liefern, über die das Volk am 24. Februar 2008 abstimmen wird. Merz dürfte seine Pläne deshalb erst nach der Volksabstimmung offen legen.

swissinfo, Simon Thönen in Brüssel

Diskutieren Sie mit im Dialog-Blog. Wie soll sich die Schweiz im Steuerstreit verhalten?

In der Schweiz sind mehr als 13’000 Holdings niedergelassen.

Die meisten Holdings hat der Kanton Zug (6000), gefolgt von den Kantonen Tessin (2200), Freiburg (2000), Glarus (1000), Genf (675) und Zürich (550).

Auch andere europäische Länder, namentlich Spanien, Luxemburg und England locken so genannte «Briefkastenfirmen» mit Steuerprivilegien an.

Das Steuersubstrat aller Holding-Gesellschaften in der Schweiz beläuft sich auf jährlich 3 Mrd. Franken (Bund und Kantone).

Im September 2005 beanstandet die EU-Kommission in einem Brief die Steuerpraktiken in den Kantonen Zug und Schwyz.

Im Juli 2006 verschärft Kommissionspräsident José Manuel Barroso den Ton.

Im November 2006, nach der Zustimmung des Schweizer Volkes zur Kohäsionsmilliarde für die neuen EU-Staaten, droht der Generaldirektor für Aussenbeziehungen der EU, die Kommission werde ein Dokument an alle EU-Staaten verschicken, das die Schweiz auffordert, sich den EU-Regeln anzupassen.

Ende April 2007 kündigt Finanzminister Hans-Rudolf Merz eine Reform der Unternehmensbesteuerung an, mit dem Ziel, die Gewinnsteuern zu senken.

Am 14. Mai 2007 verabschiedet der EU-Ministerrat ein Verhandlungsmandat.

Am 16. Mai reagiert die Landesregierung auf das inzwischen in Bern eingetroffene Mandat und stellt sich auf die Position: «Verhandlungen Nein, Dialog Ja». Dieser Dialog startet nun am Montag 12. November 2007 in Bern.

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