Wenn das Öl knapp wird
Der drohende Irak-Krieg sensibilisiert die Öffentlichkeit für die Auswirkungen einer möglichen Erdölknappheit auf die Weltwirtschaft.
Die Schweiz befindet sich in einer relativ komfortablen Lage: Sie hat weit mehr Reserven als viele andere Länder.
Bei der schweizerischen Erdöl-Vereinigung (EV) herrscht keine Aufregung. Rolf Hartl, EV-Geschäftsführer in Zürich, gegenüber swissinfo: «Die Schweiz hat Pflichtreserven an Heizöl und Benzin, die für vier Monate reichen. Die Reserven für (Flug-)Kerosin reichen für drei Monate.»
Damit seien die Reserven höher als in den meisten anderen Industrienationen. Denn der internationale Standard beträgt laut Hartl 90 Tage.
Sicherheitsdenken
«Die hohen Reserven haben mit dem typisch schweizerischen Bedürfnis nach Sicherheit zu tun. In den letzten Jahrzehnten hatten wir, im Zusammenhang mit dem Kalten Krieg, noch mehr Reserven: Die Lager vor 10 oder 15 Jahren deckten etwa den Bedarf von einem Jahr», so Hartl.
Dennoch bleiben auch der Schweizer Erdöl-Markt und die Schweizer Wirtschaft laut Experten von einem Krieg, ungeachtet seiner Länge, nicht unversehrt.
Etwa ein Drittel der Schweizer Erdölnachfrage wird von Rohimporten aus Libyen, Nigeria und Algerien gedeckt, die anderen zwei Drittel durch Importe aus umliegenden europäischen Ländern. Ob Erdöl aus Irak via die europäischen Länder in die Schweiz gelange, sei schwierig zu sagen, sagt Hartl.
«Wir können darüber nichts sagen, weil diese Importe statistisch gesehen aus europäischen Länder kommen. Aber wir wissen, dass 15-20 % der europäischen Importe aus dem Nahen Osten stammen.»
Furcht vor höheren Öl-Preisen
Hartl sagt gegenüber swissinfo, er erwarte bei jeglicher Nachricht über eine Konfrontation einen signifikanten Preisanstieg: «Ich glaube, dass der Preis stark ansteigen und davon abhängen wird, wie sich der Konflikt entwickelt und wie lange er andauern wird.»
Der Geschäftsführer der EV: «Ich glaube nicht, dass es zu einer physischen Knappheit an Öl kommen wird. Der Irak produziert pro Tag ’nur› 2 Mio. Barrel.»
Bei einer weltweiten Tagesproduktion von 72 Mio. Barrel falle also der Output Iraks nicht so stark ins Gewicht.
In der Schweiz stiegen am Dienstag die Preise für Benzin und Diesel um 3 Rappen. Grund dafür ist der Rohölpreis, der seit November 2000 nicht mehr so hoch war.
Konsequenzen schwer abzuschätzen
Dennoch warnt Hartl vor einem «Worst-Case-Szenario», bei dem sich der Konflikt auf die erdölexportierenden Nachbarländer des Iraks ausbreiten könne.
«Die Auswirkungen auf den Erdöl-Markt wären schwerwiegend. Ein Drittel der weltweiten Erdölproduktion stammt aus der Nahost-Region», so sein Kommentar.
Das «Best-Case-Szenario» – auch wenn dies zynisch klinge – sei vom wirtschaftlichen Standpunkt ein kurzer Krieg und eine neue Regierung im Irak, die zuverlässig und vertrauenswürdig sei.
Die Auswirkungen auf die Schweizer Wirtschaft sind schwer abzuschätzen. Die Konjunkturforschungsstelle (KOF) der Eidgenössischen Technischen Hoschschule (ETH) Zürich hat im Dezember einige Hochrechnungen dazu gemacht.
Bei einem angenommenen Öl-Preis von 40 Dollar/Barrel im ersten Quartal 2003 und einem sukzessive auf 27.60 Dollar herabsinkenden Preis läge der Durchschnittspreis für 2003 bei 36 Dollar.
Einbussen beschränkt
KOF-Mitarbeiter Erdal Atukeren beurteilt die Auswirkung eines stark steigenden Ölpreises und einer Abschwächung der Weltwirtschaft auf die Schweizer Wirtschaft als relativ beschränkt.
Dazu Atukeren: «Wir schätzen für das Jahr 2003 einen Rückgang des Bruttosozialprodukts von 0,1% und für 2004 einen Rückgang von 0,3%.»
Die stärkere Reaktion 2004 resultiert laut Atukeren aus einer verzögerten Reaktion der einzelnen Wirtschaftssektoren.
Exporte in den Irak
Die Schweiz importierte zwar 2002 keine Güter aus dem Irak, gleichzeitig gibt es aber ein zunehmendes Interesse an Schweizer Exporten in den Irak.
Trotz UNO-Embargo betrug der Wert der Schweizer Exporte in den Irak im vergangenen Jahr knapp 124 Mio. Franken, 66% mehr als noch 2001.
«Dabei handelt es sich hauptsächlich um humanitäre Güter im Rahmen des UNO-Programms Öl für Nahrungsmittel», erklärt Othmar Wyss vom Staatssekretariat für Wirtschaft (seco).
«Seit Mitte 2002 exportieren wir jedoch auch andere Güter», so Wyss. Er ist zuständig für Exportkontrollen und Sanktionen.
Fehlende Kontrolle
Laut Wyss hat die Schweiz keine Kontrolle über die Verteilung der Schweizer Exporte im Irak: «Natürlich sind die humanitären Güter für die Bevölkerung gedacht.»
Ausserdem gebe es Firmen, die das UNO-Embargo umgingen und Geschäfte mit dem Irak tätigten. Dazu Wyss: «Einige Unternehmen und Privatpersonen führen zudem irakische Devisen illegal in die Schweiz ein.»
Die Schweiz würde zur Zeit in einem Fall ermitteln, bei dem es um eine illegale Zahlung an den Irak ginge.
Laut Wyss weiss die Schweiz nicht, ob Schweizer Exporte an Irak’s Nachbarländer, zum Beispiel Jordanien oder die Türkei, am Ende in den Irak gelangen würden.
Bei einem Verstoss gegen das UNO-Embargo drohen bis zu fünf Jahren Gefängnis und eine Busse bis zu 1 Mio. Franken.
Steigender Export von Kriegsgütern
Der Trend bei der Ausfuhr von Schweizer Kriegsgütern ist steigend. Es gibt jedoch ein Export-Verbot für Länder, die sich im Krieg befinden.
Othmar Wyss: «Diese Exporte stiegen 2002 um 7,6% auf knapp 280 Mio. Franken. Zum Vergleich: 1987 befand sich der Wert der ausgeführten Kriegsgüter mit 580 Mio. Franken auf einem historischen Hoch.»
Dass Schweizer Kriegsgüter über Umwege doch in den Irak gelangen, ist laut Wyss schwer zu kontrollieren oder zu verhindern.
swissinfo, Robert Brookes
(Übertragung aus dem Englischen: Anita Hugi und Elvira Wiegers)
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