Wieder mehr Reisen in die Schweiz
Im 1. Halbjahr 2004 hat der Tourismus in der Schweiz wieder aus dem Negativbereich herausgefunden.
Weltweit konnte sich der Fremdenverkehr nach dem schlechten Vorjahr wieder erholen, so der Global Travel Report der Forschungsfirma IPK International.
Noch im Vorjahr waren die Umsätze im weltweiten Tourismusgeschäft um 2,2% auf 607 Mrd. Franken zurückgefallen. Aus diesem Kuchen schneidet sich die Schweiz immer noch jährlich fast 13 Mrd. Franken ab.
Dabei geht es nur um den internationalen Bereich, also um die Umsätze mit den Gästen aus dem Ausland, nicht um den jeweiligen Inlandtourismus.
In den ersten acht Monaten des laufenden Jahres kann die Schweiz nach Jahren des Schrumpfens wieder ein leichtes Plus ausweisen, so IPK-Direktor Rolf Freitag von IPK International.
Die Einnahmen aus dem internationalen Tourismus stiegen um rund ein Prozent.
Die IPK gibt seit 1988 den European Travel Monitor und seit 1995 den World Travel Monitor heraus und ist Mitglied der World Travel Organisation (WTO).
Swissair und Billigflieger fehlen
«Die Schweizer glauben, ihr Wachstumseinbruch der letzten Jahre sei auf die üblichen Probleme wie den 11. September, SARS und Golfkrieg zurück zu führen», sagt Freitag gegenüber swissinfo. Doch das sei nur die Hälfte der Wahrheit.
«Mindestens so schwer wiegt auch das Verschwinden der Swissair.» Die nationale Fluggesellschaft hatte, wenig bemerkt von öffentlicher Meinung und Politik, während langen Jahren sehr viel Gäste in die Schweiz gebracht.
Die Schweiz habe, so Freitag, die Swissair nie richtig ersetzt. «Dazu kommt, dass sie zum Beispiel den Billigflug-Trend beim Reisen nicht ausnützen konnte.»
Fast ein Drittel aller Flüge innerhalb Europas entfielen bereits auf dieses Segment. Und der Trend gehe an der Schweiz vorbei – obwohl der Billigflieger easyJet Genf als eine Drehscheibe nutze.
Nicht genutztes Potenzial
Am World Travel Market in London, der internationalen Fachmesse für Tourismus, wo IPK International seinen Global Travel Report vorgestellt hat, sieht man im Billigflugbereich weiterhin viel Potenzial.
«Vor allem im Marktbereich ‹Reisende mit weniger Einkommen und tieferem Bildungsniveau› könnte die Nachfrage nach Billigflugreisen steigen.»
Dass sich die Nachfrage der Touristen ständig ändert, bestätigt in London auch Dawid de Villiers von der WTO. «Die Leute ändern ihr Verhalten, reisen aber weiterhin, wählten aber nähere statt fernere Ziele, oder buchen kurz- statt längerfristig.»
Dieses Verhalten habe man gerade in den letzten drei Jahren mitverfolgt. Die Jahre seit 2001 zählen wohl zu den schwierigsten, die die Reisebranche je erlebt habe.
Sicherheit kontra Globalisierung
Die spontane Art des Reisens sei durch die breite Nutzung des Internet noch zusätzlich unterstützt worden. «Die Sicherheitsfrage gilt heute nicht mehr als Schlüsselwort Nummer eins», sagt de Villiers.
«Nach dem Attentat in Madrid begannen die Leute einzusehen, dass sie auch zuhause im Verkehr Gefahren ausgesetzt sind, und nicht nur beim Reisen. Also reisen sie wieder.»
Dazu komme, so der Experte, dass statt verängstigter reicher US-Senioren heute immer mehr ‹robuste› Inder und Chinesen aus dem neuen Mittelstand um die Welt jetten.
China als spektakuläres Marktereignis
«Die Chinesen haben 2004 umsatzmässig erstmals das klassische asiatische Land der Reisenden, Japan, überholt», sagte Freitag.
Der Boom mit den Chinesen hat auch in der Schweiz viel Staub aufgewirbelt. Die Landeswerbeorganisation «Schweiz Tourismus» hat schon früh mit China den Status der Schweiz als «approved destination» vorgesehen. Chinesen brauchen seit einem Jahr für eine Reise in die Schweiz kein obligatorisches Ausreisevisum mehr.
Dennoch beklagen sich zahlreiche Schweizer Hoteliers hinter vorgehaltener Hand über die nun in Massen ankommenden Chinesen. Sie seien nicht kaufkräftig genug – ein einziger Individualgast aus Deutschland bringe gleichviel wie eine chinesische Reisegruppe.
Doch der Marktforscher Freitag lässt dies nicht gelten. «Für den Konsum im Hotel selber mag das stimmen», räumt Freitag gegenüber swissinfo ein, «doch heisst das nicht, die Chinesen hätten keine Kaufkraft. Sie geben ihr Geld einfach anders aus.»
Abfluss aus der Hotellerie und den Reisebüros
Sie shoppen mehr und verzichten im Hotel dafür auf Luxus. «Das Geld kommt bei dieser neuen Art von Touristen nun vermehrt dem Detailhandel zugute.»
Von solchen strukturellen Änderungen der Reiseströme und des Reiseverhaltens seien in Europa neben den Hoteliers auch die Reisebüros betroffen. So buchen und informieren sich die Reisenden vermehrt direkt, und nicht mehr über das Reisebüro.
Laut IPK buchen beispielsweise bereits 70% aller Briten ihre Flüge selbst. Die Deutschen hingegen buchen 50% aller Übernachtungen direkt beim Hotel.
Gute Aussichten für das kommende Jahr
IPK schätzt das Wachstum der internationalen Ankünfte für 2005 auf 4 bis 5%. Bei den Ankünften von Arabern, Amerikanern und Asiaten jedoch werden die Raten über 10% liegen.
Allein die Anzahl der Auslandreisen von Chinesen wachsen jährlich um 70%. Dies entspricht rund 30 Mio. chinesischen Auslandreisen, wovon 80% zum Vergnügen und 20% geschäftlich unternommen werden.
swissinfo, Alexander Künzle, London
Weltweit erbrachten Umsätze und Ankünfte im Tourismus bis 2000 jährliche Wachstumsraten zwischen 3 und 10%.
2001 kam der Zusammenbruch.
Allein das Reiseziel Amerika verlor 2003 über 12%.
Dafür verzeichnete der Naher Osten einen Zuwachs von über 18%.
Auf Europa, den touristisch ältesten Kontinent, entfallen immer noch 56% sämtlicher weltweiten touristischen Ankünfte.
Weitweit setzt der internationale Tourismus jährlich über 600 Mrd. Franken um.
Darin sind die jeweiligen Inland-Tourismusumsätze der Länder nicht enthalten.
Die Schweiz schneidet sich aus diesem Kuchen rund 13 Mrd. Franken.
Nach Jahren des Rückgangs zeichnet sich 2004 für die Schweiz erstmals wieder eine Stabilisierung bei den Einnahmen ab.
Hoffnungen löst der stürmische Wachstums-Markt China aus.
Die Anzahl der Auslandreisen aus China wächst gegenwärtig jährlich um 70%.
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch