Wo Haiti zu helfen wäre
Haiti ist politisch zerrüttet und ökologisch zerstört. Dem Land kann trotzdem geholfen werden.
Schweizer Experten vor Ort suchen nach Mittel und Wegen, den Opfern von Überschwemmungen neue Perspektiven zu geben.
Wer mit dem Helikopter tief über die abgeholzten Bergmassive von Haiti fliegt, blickt auf steile und abgeholzte Berglandschaften. Kleinbauern versuchen, mit terrassierten Pflanzungen das spärliche Kulturland vor dem Abrutschen zu bewahren.
Meistens verlieren die Menschen in Haiti den erbitterten Kampf gegen die Natur. Erosion und Entwaldung erschweren die landwirtschaftliche Produktion und schmälern die Erträge.
Im Mai haben orkanartige Regenfälle im Südosten von Haiti zu schweren Überschwemmungen mit Tausenden von Toten und Obdachlosen geführt.
Von der Katastrophe war auch die benachbarte Dominikanische Republik betroffen. Die Katastrophenzone ist aus den Weltschlagzeilen verschwunden, das Leiden der Opfer geht jedoch weiter. Es fehlt an allem: Nahrung, Medizin, Kleider, Arbeit.
Schweizer Hilfe vor Ort
Die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) unterstützt in Haiti private Schweizer Hilfswerke wie Helvetas, HEKS, Caritas, Terre des Hommes, Fastenopfer, Enfants du Monde und andere, kleinere Nicht-Regierungsorganisationen.
Aufgrund der prekären Lage im Südosten von Haiti sind nach den Überschwemmungen bisher rund 2 Mio. Franken in Hilfsprojekte geflossen. Die Schweizer Hilfswerke greifen bei den Hilfsaktionen nach Möglichkeit auf das lokale Wissen und existierende Strukturen zurück.
Die DEZA entsandte nach der Überschwemmungs-Katastrophe ein Spezialistenteam in die Krisenregion. Die Experten klärten ab, wie den Menschen über den akuten Notfall hinaus geholfen werden kann.
Strasse als Lebensnerv
Es geht darum, verschüttete Strassen zu reparieren, vom Wasser zerstörte Häuser wieder aufzubauen und die Bewohner der Krisenregion in geeigneter Form in den Arbeitsprozess zurückzuführen.
Hans Stämpfli vom Schweizerischen Korps für humanitäre Hilfe (SKH) ist auf dem Landweg ins Katastrophen-Gebiet von Fond Verrettes und Mapou gereist.
«Ich fand erodierte Flussläufe vor, welche die Uferregionen wegfrassen. Nach den Überschwemmungen sitzen die Menschen da und wissen nicht, was sie tun sollen.»
Seit Monaten sind Tausende Familien isoliert und leben von Nahrungsmittel-Paketen, die hauptsächlich vom Welternährungsprogramm (WEP) per Helikopter oder auf dem Landweg ins Krisengebiet transportiert werden.
Die Versorgung kann aber nur nachhaltig gelöst werden, wenn die Region wieder über eine sichere Strassenverbindung verfügt: «Das Problem in Haiti umfasst den Strassenbau und den Flussbau», konstatiert Hans Stämpfli.
«Flüsse leben viel mehr als Strassen. Einen Fluss kann man nicht zähmen. Wir müssen erreichen, dass die Menschen in Haiti Massnahmen treffen, damit ihnen der Fluss wieder Schutz bietet», erklärt Hans Stämpfli vom SKH gegenüber swissinfo.
Arbeit gegen Lebensmittel
Während der Umgang mit den Flüssen in Haiti nur langfristig beeinflusst werden kann, könnte die Instandstellung der Zufahrtsstrasse ins Katastrophen-Gebiet bald realisiert werden:
«Das Projekt eignet sich für die Formel ‹Arbeit gegen Lebensmittel›, erklärt Hans Stämpfli. Damit fänden nicht nur viele Menschen ein neues Auskommen, sondern auch eine neue Motivation, die Geschicke ihrer Gemeinschaft wieder selbst an die Hand zu nehmen.
«Jetzt sind die Menschen am Verzweifeln, weil nichts mehr geht. Wenn die Bewohner im Krisengebiet sehen, dass die Strasse als Lebensnerv wieder funktioniert, wäre das für die Opfer der Überschwemmungs-Katastrophe auch psychologisch wichtig», betont der Experte des SKH.
Das Wasser im überschwemmten Talkessel von Mapou geht nur langsam zurück. Bereits ist der Agrar-Zyklus dieses Jahres verloren. Die Maispflanzungen sind im Hochwasser verrottet.
Erst mit der Zeit wird das wahre Ausmass der Katastrophe sichtbar werden; dann nämlich, wenn das versickerte Wasser den Blick auf die zerstörten Häuser und auf die überfluteten Felder wieder frei gibt.
Der schiefe Segen von Umsiedlungen
Internationale Experten debattieren in Haiti darüber, ob gegebenenfalls die Bewohner des Krisengebiets definitiv umgesiedelt werden müssen.
Sicher ist, dass sich Überschwemmungen auch in anderen Regionen, Tälern und Ebenen wiederholen könnten. Erosion und Landverlust sind in Haiti fast überall anzutreffen.
Hans Stämpfli vom Schweizerischen Korps für humanitäre Hilfe glaubt, eine Umsiedlung der bedrohten Menschen könnte sich jedoch als kontraproduktiv erweisen.
«Die Menschen haben eine Bindung zu ihrem Lebensraum. Wenn sie in die Stadt gehen, wird dort die Misere noch grösser und das ländliche Haiti entvölkert sich noch mehr.»
In der Karibik beginnt die Hurrikan-Saison. Die Menschen in den haitianischen Überschwemmungs-Gebieten schauen finster in die dunklen, schweren Wolken. Sie haben gelernt damit zu leben, dass die Natur exzessiv ist.
Während es in einigen Zonen der Inselrepublik während Jahren kaum regnet, bringt das kostbare Nass anderorts Tod, Blut, Schweiss und Tränen.
swissinfo, Erwin Dettling, Mapou, Haiti
Haiti ist eines der ärmsten Länder der Welt.
Politisch kommt die Insel seit Jahren nicht zur Ruhe.
Im Februar 2004 musste Präsident Jean-Bertrand Aristide das Land auf internationalen Druck hin verlassen.
Seither ist eine Übergangsregierung eingesetzt.
Im Mai 2004 wurde Haiti von schweren Überschwemmungen heimgesucht.
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