Amir, ein radikaler Siedler ohne Illusionen
Amir Weitman, israelisch-schweizerischer Doppelbürger, lebt mit seiner Familie in Har Homa, einer jüdischen Siedlung in der Nähe von Jerusalem.
Zwar verfolgt er das politische Geschehen in der Schweiz, sein wirkliches Anliegen aber ist Israel. Porträt eines strikten Siedlers ohne Illusionen.
Mit einer Kippa auf dem Kopf und einer kleinen Brille auf der Nase empfängt uns Amir Weitman im ersten Stock seiner Wohnung in Har Homa, hebräisch für «Berg der Mauer». Ein symbolträchtiger Name für eine der umstrittensten jüdischen Siedlungen.
1997 wurde sie oberhalb von Bethlehem in Abu Ghnaim errichtet, auf einem mit Zitrusbäumen überwachsenen, vormals palästinensischen Hügel.
Vom Balkon der Familie Weitman hat man einen guten Blick auf den Verlauf der so genannten «Sicherheitsmauer», an der weiter unten gebaut wird. Bald dürfte sie die umliegenden Siedlungen verbinden, die in den letzten Jahre wie Pilze aus dem Boden geschossen sind.
Mit leichtem Genfer Akzent
Amir ist Doppelbürger, Schweizer und Israeli. «Gerade gestern assen wir mit Freunden ein Fondue», sagt er, als ob er uns beweisen wollte, dass er seine Verbindung zur Schweiz pflegt. Im Verlauf unseres Gesprächs schleicht sich nach und nach ein leichter Genfer Akzent in seine hebräische Sprachmelodie ein.
Im Alter von zwei Jahren ist der in Israel geborene Amir mit seinen Eltern in die Calvinstadt gezogen. «Ich war in der ersten Klasse der soeben eröffneten Jüdischen Schule in Genf.»
Nach der Mittelschule Claparède besuchte er das Institut de hautes études internationales (IUHEI) in Genf und schloss seine Studien mit einem Lizentiat ab. Er beschloss dann, sich in Israel niederzulassen, wo er ein Jahr lang eine Talmud-Schule besuchte.
«Ich bin ein orthodoxer Jude», bestätigt Amir. Seine Familie habe den jüdischen Glauben zwar nicht ausgeübt, sie sei aber zionistisch gewesen. «Für uns war Israel immer sehr wichtig.»
Amirs religiösen Ansichten prägen auch seine politische Haltung. Im Gespräch ist er oft radikal und unerbittlich. Egal ob es um die Palästinenser oder um die Genfer Initiative geht.
Neben, nicht mit Palästinensern leben
Ein Zusammenleben mit Palästinensern lehnt Amir entschieden ab: «Von aussen betrachtet ist das wohl ein schöner Gedanke. In Wirklichkeit aber sind die Juden und die Araber zwei Völker mit unterschiedlichen Kulturen und Bedürfnissen. Nicht zu Vergleichen mit den Spaniern und Portugiesen in Genf. Wir sind hier gezwungen, neben den anderen, nicht aber mit ihnen zu leben.»
Amirs Positionen sind rechts vom rechten Flügel des politischen Spektrums in Israel angesiedelt. Für ihn gibt es denn auch nur eine Lösung: «Die Araber müssen die jüdische Herrschaft auf israelischem Boden akzeptieren.»
«Es ist mir bewusst, dass das illusorisch ist. Und ich gehöre mit meiner Ansicht zu einer Minderheit von etwa 15 bis 20% der Bevölkerung», stellt Amir fest.
Obwohl eine Mehrheit der israelischen Bevölkerung sich mit der Idee eines Kompromisses mit den Palästinensern angefreundet hat, hält Amir an seiner radikalen Lösung fest, wonach das israelische Territorium unter keinen Umständen aufgeteilt werden darf.
An einen Frieden mit dem palästinensischen Volk glaubt er nicht. Er sieht nur einen möglichen Weg, um die Koexistenz von Israelis und Palästinensern «ohne offenen Krieg» zu regeln: Mit langfristigen Zwischenabkommen nämlich, wie sie der israelische Ministerpräsident Ariel Scharon zurzeit anstrebt.
Eine Position ohne Mehrheit
«Damit Friede einkehrt, müssten beide Parteien die Existenz der anderen akzeptieren. Theoretisch wäre das möglich. Aber die Araber, die Palästinenser im Besonderen, beharren auf ihren maximalen Positionen», sagt Amir.
Laut Amir müssten die Palästinenser folgende Konzessionen eingehen, damit es Frieden geben könnte: «Sie müssen auf das Rückkehrrecht von Flüchtlingen und auf ihre Territorialansprüche auf Jerusalem und den Tempelberg verzichten.»
«Die Realität» ist ein wiederkehrendes Schlagwort in Amirs Argumentation, und darin zeigt er sich durchaus fatalistisch: Die Realität werde verhindern, dass sich seine ideologischen Positionen lange halten können. Ihnen werde er nachgeben müssen, weil er zu einer Minderheit gehöre.
Auf die Frage, ob er im Falle eines Kompromisses mit den Palästinensern einen inner-israelischen Bürgerkrieg in Kauf nehmen würde, antwortet Amir sehr klar: «Ausgeschlossen. Ein Krieg könnte eine Vertreibung der Juden aus Israel provozieren.»
Er glaube nicht, dass ein allfälliger Kompromiss grössere Konflikte nach sich zöge: «Gott bewahre uns davor», ergänzt er und gesteht: «Ausserdem haben wir nicht die geringste Chance mit unseren Positionen.»
Ein Fehlentscheid der Schweiz
Die Genfer Initiative verurteilt Amir mit harten Worten. Er bezeichnet sie als ein «Abkommen, das von der extremen Linken Israels in die Wege geleitet wurde» und nichts mit der Zivilgesellschaft zu tun habe. Diese Initiative komme von Politikern wie Yossi Beilin, «der nur seine persönliche politische Karriere vorantreiben will».
«Aus diesem Grund halte ich es auch für einen Fehler, dass Aussenministerin Micheline Calmy-Rey und die Schweiz ein solches Vorhaben unterstützen, das zudem überhaupt keine demokratische Basis hat.»
Als Schweizer Bürger kommt Amir Weitman seinen demokratischen Pflichten regelmässig nach: Seien es nationale oder kantonale Fragen, bei jeder Abstimmung und Wahl schickt er seine Stimme per Post.
Auf die Frage, welche Schweizer Partei er denn unterstütze, zögert er einen Moment und bricht dann in Lachen aus.
Er sei nicht sicher, ob sich diese Partei darüber freuen würde, wenn er sich als israelischer Fundamentalist zu ihr bekennen würde, erklärt er. Schliesslich sagt er doch: «Ich wähle liberal.»
swissinfo, Jugurtha Aït-Ahmed, Jerusalem
(Übertragung aus dem Französischen: Nicole Aeby)
Der ehemalige Premierminister Benjamin Netanjahu hatte mit dem Bau von Har Homa im besetzten Teil von Ost-Jerusalem begonnen.
Damals war der Friedensprozess von Oslo in vollem Gang.
Die UNO, die EU, die USA und die palästinensischen Behörden verurteilten die Errichtung dieser Siedlung.
Einige jüdische Siedlungen rund um Jerusalem: Gilo, Givat Hamatos, Har Homa, East Talpiyot, Maale Addummim, Pisgat Zeev, Neve Yaakov.
In Har Homa leben heute rund 7000 Menschen – in einem Jahrzehnt sollen es 40’000 sein.
Bis zu 10’000 Schweizer leben laut Amir Weitmann in Israel.
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