Apartheid: Mea Culpa der Protestanten
Der Schweizerische Evangelische Kirchenbund (SEK) bedauert seine Politik während der Apartheid-Zeit in Südafrika.
Drei Studien arbeiten die Geschichte des SEK auf. Die Verteidiger der Opfer begrüssen zwar die neuen Fakten, kritisieren jedoch das Fehlen von Konsequenzen.
Der Schweizerische Evangelische Kirchenbund (SEK) bedauert, dass er zur Zeit der Apartheid in Südafrika «zu einseitig auf den Weg der guten Dienste und der Versöhnung setzte und den Menschen, die Opfer der Apartheid wurden, und jenen, die in unseren Kirchen ihre Stimme gegen dieses Unrecht erhoben, zu wenig Gehör und Unterstützung schenkte».
An der SEK-Medienkonferenz am Donnerstag in Bern bedauerte Thomas Wipf, Präsident des Rates SEK (Vorstand des Kirchenbunds), «gewisse Fehleinschätzungen».
Untersuchungen – und Ankündigen von Konsequenzen
Jede Generation habe die Aufgabe, die eigene Geschichte anzuschauen. Er sei froh, dass der Kirchenbund seine Aufgaben angepackt habe, so Wipf.
Vor zwei Jahren hatte Wipf sich in Südafrika für die SEK-Politik während der Apartheid entschuldigt. Daraufhin gab Kirchenbund drei Studien in Auftrag, um sein Verhältnis zum Apartheids-Regime zu durchleuchten.
Diese sind nun der Öffentlichkeit vorgestellt worden. Der Kirchenbund verspricht, daraus Konsequenzen für die Zukunft zu ziehen, und theologisch-ethische Leitlinien in seiner Aussenpolitik zu erarbeiten.
Erste Kritiken am Aufarbeitungsprozess: «Reines Déjà-vu»
Die «Kampagne für Entschuldigung und Entschädigung im Südlichen Afrika» (keesa) findet es zwar erfreulich, dass nun Fakten vorliegen. Doch «besonders gravierend ist es, dass die südafrikanischen Partnerkirchen (…) auch im Aufarbeitungsprozess wieder übergangen worden sind».
Die keesa fordert deshalb vom Kirchenbund, eine offene Debatte der aufgeworfenen Fragen zu ermöglichen. Sprecherin Mascha Madörin gegenüber swissinfo: «Neue Fakten sind zwar begrüssenswert. Die politischen Konsequenzen sind aber reines Déjà-vu.»
Zwischen Evangelium und Staatsraison
«Kein politisches Thema hat den Kirchenbund je so nachhaltig in Atem gehalten wie ‹Südafrika'», schreibt Gottfried Wilhelm Locher, Leiter Aussenbeziehungen des Kirchenbunds, im Bulletin der SEK. «In der protestantischen Schweiz gingen die Wogen hoch in jenen Jahren des Apartheidregimes.»
An der Frage, was denn nun moralisch richtig und dem Evangelium entsprechend sei, hätten sich die Geister geschieden, so Locher.
Es sei eine «sozialethische Herausforderung», in Zukunft am Wiederaufbau und an der Entwicklung einer gerechten, demokratischen und leistungsfähigen Gesellschaft im Land am Kap mitzuwirken, lautet zusammengefasst eine der Konsequenzen der Studie «Schweiz – Südafrika: Sozialethische Perspektiven».
«Gute Dienste in Südafrika»
Der Autor der Studie über die «Guten Dienste in Südafrika», Lukas Zürcher, erhielt uneingeschränkt Zugang zu allen Archiven. Er beschreibt das damalige Vorgehen des Kirchenbundes als «zögerlich».
«Der SEK entschied sich für den schmalen Grat zwischen Evangelium und Staatsraison und gegen eine vorgegebene, prophetische Position, die Wirtschaftskreise und Behörden hätte irritieren können.»
Der Autor glaubt, dass die Scheu des Kirchenbunds vor klaren Positionen mit dem Wunsch zusammengehangen haben, Wirtschaftsführern die wirtschaftsfreundliche Einstellung der (protestantischen) Kirche zu beweisen und die Mehrheit der Schweizer Bevölkerung zu vertreten.
Es sei sehr schwierig gewesen, sich über klare konservative Mehrheiten hinwegzusetzen.
Kirche und Gesellschaft tief gespalten
«Sowohl der SEK als auch die Gesellschaft waren tief gespalten», schreibt Zürcher. Schliesslich hatte der SEK den Auftrag, den Bund der Kirchen «um jeden Preis zusammenzuhalten».
Zürcher schliesst mit der Empfehlung, nicht immer hartnäckig an einem scheinbar neutralen Vermittlerstatus und am volkskirchlichen Anspruch festzuhalten. Im Fall von Südafrika habe sich der SEK mit dieser Haltung die Chance verbaut, an einem notwendigen Gesellschaftswandel mitzuwirken.
«Bankengespräche» 1986 – 1989: Instrumentalisierte Kirchen?
Zwischen 1986 und 1989 hatte eine ökumenische Delegation, darunter auch der SEK-Vertreter, mit Bankenvertretern «Bankengespräche» über das Verhältnis zwischen den Schweizer Banken und Südafrika geführt.
Eine der Studien gibt nun auch darüber mehr Auskunft. «Die kirchliche Seite, sowohl protestantisch wie katholisch, wollte keine Umschuldung», so das Fazit. Dennoch kam sie zwischen Südafrika und den internationalen Gläubigerbanken zustande.
Die Kirchen hätten die Banken davon überzeugen wollen, dass Apartheid mit Christsein unvereinbar sei, und dass nur Sanktionen eine friedliche Vereinbarung in Südafrika herbeiführen könnten.
Die keesa meint dazu in ihrer Mitteilung, dass diese Bankengespräche «nicht nur zum Scheitern verurteilt waren, sondern den Banken als zu dem Zeitpunkt dringend notwendige und daher höchst willkommene Imagepflege dienten».
Isolierter Kirchenbund
Die keesa kritisiert, dass auch in diesem Bereich der Meinung der südafrikanischen Partnerkirchen wenig Bedeutung eingeräumt werde: Sie würden mehr als Störfaktor denn als Partner und Partnerinnen dargestellt. Ihre Einschätzung bezüglich Dringlichkeit eines klaren Positionsbezugs der Schweizer Kirchen sei ganz anders gewesen als die der Teilnehmenden der Bankengespräche.
Mascha Madörin: «Der Kirchenbund ignoriert, was die südafrikanische Zivilgesellschaft zur Problematik sagt, auch im Bezug zu den aktuellen Klagen.»
Madörin betont, der Reformierte Weltbund habe schon 1982 klargestellt, dass die Apartheid eine Sünde sei. Paul Schneider, Vizepräsident des SEK, sagt gegenüber swissinfo, man habe festgestellt, dass der SEK damals zu isoliert agiert hatte. «In Zukunft werden wir uns vermehrt im Reformierten Weltbund engagieren.»
Schweizer Strukturen
Eric Morier-Genoud, der beim Nationalfonds-Projekt «Schweiz-Südafrika» mitgearbeitet hatte, sieht einen Teil des Problems bei den Strukturen der evangelisch-reformierten Kirchen in der Schweiz. «Während die Katholiken national organisiert sind, sind die Protestanten lokal aufgeteilt.»
So hätten sich unterschiedliche Standpunkte ergeben: In Neuenburg seien die Leute gegen die Apartheid gewesen, in Zürich hingegen habe man den Dialog gewollt, wohl weil man näher bei den Banken und der Wirtschaft liegt.
Kritiker würden dies den Kirchen nun vorwerfen, so Genoud. Sie hätten mit ihrem Vorgehen in die Hände des Apartheid-Regimes gespielt, und diesem ermöglicht, den Wandel hinauszuschieben.
«Aber», ergänzt Genoud, «es ist ein positiver Schritt zuzugeben, dass man die Sache anders und besser hätte angehen können.»
swissinfo
Der Schweizerische Evangelische Kirchenbund (SEK) bedauert seine Politik während der Apartheid-Zeit in Südafrika.
Er hat seine Rolle wissenschaftlich mit drei Studien aufarbeiten lassen.
Diese wurden am Donnerstag der Öffentlichkeit vorgestellt.
Es geht erstens um die Südafrika-Politik zwischen 1970 und 1990.
Zweitens wird die Haltung des SEK während den so genannten «Bankengesprächen» untersucht.
Drittens geht es um die «Sozialethischen Perspektiven», das heisst die Konsequenzen für die Zukunft.
Kritiker des SEK erklären, der Aufarbeitungsprozess sei zumindest von den politischen Konsequenzen her ein «Déjà-vu».
Zu Zeiten der südafrikanischen Apartheid waren die protestantischen Kirchen wie die Gesellschaft tief gespalten.
Der Kirchenbund scheute sich vor klaren Positionsbezügen.
Es gab klare konservative Mehrheiten, laut der Studie «Gute Dienste in Südafrika».
Während der «Bankengespräche 1986 bis 1989» seien die Kirchen von den Banken instrumentalisiert worden.
Der Reformierte Weltbund stellte sich schon 1982 klar gegen Apartheid.
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