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«Beim Thema Sterbehilfe braucht es viel Bedacht»

Kerzen und Blumen für Eulana Englaro. Keystone

Der Fall der Italienerin Eluana Englaro, die nach 17 Jahren Koma durch das Einstellen der künstlichen Ernährung verstarb, hat die Debatte über Sterbehilfe neu entfacht. Der Schweizer Theologe Alberto Bondolfi äussert sich zu dieser delikaten Frage.

Der Fall Eluana hat ganz Italien aufgewühlt. Der Vater der 38-Jährigen hatte sich über alle Justizinstanzen das Recht erstritten, seine Tochter nach einem 17-jährigen Koma in Folge eines Unfalls sterben zu lassen.

Die Regierung von Ministerpräsident Silvio Berlusconi wollte eine Fortsetzung der lebenserhaltenden Massnahmen per Gesetz erzwingen. Es kam zu einer institutionellen Krise. Eluana starb just während der Beratungen zum Gesetzesentwurf gegen Sterbehilfe.

Die Sterbehilfe gehört zu den kontroversen Themen unserer Gesellschaft. Der Schweizer Theologe Alberto Bondolfi ist überzeugt, dass man nur durch tiefgreifende Überlegungen diesem Thema gerecht wird. Genau dies ist in Italien im Fall Eluana nicht geschehen.

swissinfo: Wie haben Sie persönlich den Fall Eluana erlebt?

Alberto Bondolfi: Die Geschichte von Eluana hat schon vor vielen Jahren eine schlechte Wendung genommen, gleich nach dem Unfall, als man nicht merkte, dass ihr vegetatives Koma ein Dauerzustand werden sollte.

Nach 17 Jahren in einem solchen Zustand ist die Wahrscheinlichkeit eines Wiedererwachens so gering, dass jede lebensverlängernde Massnahme als ungerechtfertigt erscheint.

swissinfo: Welche Lehren lassen sich aus diesem Fall ziehen?

A.B.: Dieser Fall ist nicht nur hilfreich in Bezug auf die Problematik von Personen, die durch künstliche Ernährung in einem Koma leben, sondern auch wegen der Art und Weise, wie über solche Probleme diskutiert wird.

Was wir in den italienischen Medien erlebt haben, war häufig unangebracht und gelegentlich sogar fanatisch. Statt eines gesunden Austauschs von Meinungen und Positionen haben wir in Italien vor allem gegenseitige Beschimpfungen erlebt. Der letzte Wille von Eluana ist von mehreren Gerichten bis zur obersten Instanz rekonstruiert worden.

Ein solcher Entscheid ist nicht unfehlbar, sollte aber immer mit Respekt vor den Justizbehörden diskutiert werden. Der Versuch der italienischen Regierung, die Entscheide der Gerichte zuerst durch eine Notverordnung und dann durch einen Gesetzentwurf auszuhebeln, wurde glücklicherweise verhindert.

In einer derart heiklen Sache muss mit viel Bedacht und mit guten Argumenten legiferiert werden, um einen breiten gesellschaftlichen Konsens zu erarbeiten. Die Regierung Berlusconi wollte das Gesetz hingegen auf Grund von politischen Mehrheitsverhältnissen vom Zaun brechen.

swissinfo: An welchem Punkt steht die Debatte in der Schweiz?

A.B.: In der Schweiz wird die Debatte seit Jahren geführt. Es gibt ein garantiertes und angewandtes Recht, lebensverlängernde Therapien einzustellen. In Italien gibt es dieses Recht sogar in der Verfassung, doch es wird durch eine Reihe anderer Verordnungen zu Nichte gemacht.

Bei uns gibt es eine Reihe anderer Streitfälle, die von der Situation in Italien abweichen: Dazu gehört insbesondere die Frage der Beihilfe zum Suizid. Eine Hilfestellung zum Freitod ist nicht strafbar, insofern keine eigennützigen Motive vorliegen. In Italien wäre eine solche Beihilfe in jedem Falle strafbar.

Zur Zeit diskutieren wir in der Schweiz vor allem zwei Punkte: Zum einen, ob eine solche Beihilfe auch in öffentlichen Einrichtungen wie Altersheimen oder Spitälern zulässig ist. Zum zweiten wird von vielen Seiten gefordert, die so genannten Sterbehilfe-Organisationen einer stärkeren Aufsicht durch den Bund zu unterstellen.

Die Eidgenossenschaft will im übrigen die so genannte Palliativ-Medizin stärker fördern. Man ist überzeugt, dadurch die Nachfrage nach Suizidbeihilfen zu drosseln. Das Innendepartement hat kürzlich eine Arbeitsgruppe zu dieser Frage gegründet.

swissinfo: Auf welchen Prinzipien werden Fragen zur Bioethik und Euthanasie in der Schweiz diskutiert?

A.B.: Es gibt meiner Ansicht nach drei fundamentale Prinzipien: Autonomie des Patienten, Kampf gegen Schmerzen und der Wert des Lebens. Zu diesen drei Werten gibt es einen breiten Konsens in der Schweiz. Die Meinungen gehen auseinander, wenn diese Werte gewichtet und in eine Hierarchie gebracht werden.

Es gibt beispielsweise Personen, die denken, dass ein Recht auf Suizidbeihilfe bestehe. Das ist aber falsch. De facto ist die Beihilfe nur nicht strafbar. Einigkeit herrscht hingegen in Bezug auf die Achtung des Willens eines Patienten, der bestimmte medizinische Behandlungen ablehnt. Niemand kann gegen seinen Willen dazu gezwungen werden, so lange wie möglich zu leben.

swissinfo: Wie schwierig ist für Sie als Theologe die Gratwanderung zwischen Ethik und Menschenrechten?

A.B.: Es ist schwierig für mich, genauso wie für eine Person ohne Glauben. Das Vertrauen in Gott, der uns nach unserem irdischen Leben aufnimmt, befreit uns nicht davon, schwierige, teils tragische Entscheide fällen zu müssen.

Der christliche Glaube erinnert uns ständig daran, dass nicht alles in unseren Händen liegt, doch wir müssen so handeln, als ob es in unseren Händen läge.

swissinfo-Interview: Françoise Gehring
(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)

Alberto Bondolfi wird 1946 im Tessin geboren. Er studiert Philosophie und Theologie an der Universität Freiburg.

Von 1971 bis 1977 ist er Assistent am Institut für Moraltheologie der Universität Freiburg.

Bondolfi ist heute in unterschiedlichen Funktionen an mehreren Universitäten tätig, unter anderem seit 2001 als Professor für Bioethik an der Universität Luzern.

Er ist Mitglied der Nationalen Ethikkommission im Bereich Humanmedizin, der Akademie Ethik in der Medizin, im Verband italienischer Moraltheologen oder in der Gruppe «Stammzellen und Embryonenforschung» bei Science et Cité.

Heute unterscheidet man unterschiedliche Fälle von Sterbehilfe:

Aktive Sterbehilfe: Wenn der Tod einer anderen Person bewusst herbeigeführt wird, etwa durch Verabreichung einer Injektion mit tödlicher Giftdosis.

Passive Sterbehilfe: Wenn der Tod durch das Aussetzen medizinischer Massnahmen herbeigeführt wird (Beendigung des Einsatzes der Herz-Lungen-Maschine).

Beihilfe zum Suizid: Wenn auf Verlangen einer Person Mittel abgegeben werden, damit diese dem eigenen Leben ein Ende setzen kann, z. B. durch Medikamente

Patientenverfügung: Das ist eine Erklärung, die den eigenen Willen beinhaltet, ob lebensverlängernde Therapien weiter verabreicht werden sollen, wenn man sich dazu selber nicht mehr äussern kann.

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