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Besinnlichkeit aus Wachs

Schwarze Madonnen und Sinnsprüche auf Kerzen im Klosterladen. swissinfo.ch

In der Weihnachtszeit haben Kerzen Hochkonjunktur. Während die Massenware aus dem Ausland kommt, füllen Schweizer Produzenten die Nischen.

swissinfo versuchte im Wallfahrts-Ort Einsiedeln, dem Geheimnis der Kerzen auf den Grund zu gehen.

Die Schwarze Madonna steht in der üppigen Gnadenkapelle in der Kloster-Kirche. Auf ihrem Arm hält sie das schwarze Jesus-Kind. Gläubige sitzen und knien auf den Holz-Bänken. Die Orgelmusik endet, der Pater weit vorne im Chor und liest einen Psalm. Vor dem Gnadenbild brennen drei lange, schlanke, weisse Kerzen.

«Kerzen gehören einfach dazu. Sie sollen uns auf unserem Weg begleiten», sagt eine 24-jährige Kroatin, die auf der hintersten Bank-Reihe gebetet hat, nach dem Gottesdienst. Sie war heute zum ersten Mal in der Kirche des berühmten Wallfahrts-Ortes.

Kerzen stehen in der christlichen Kirche für Licht, Wärme und Hoffnung und gelten als symbolstarkes Element. Tauf- oder Weihnachtskerzen beispielsweise finden ihren Weg in viele – auch säkulare – Schweizer Haushalte.

Licht zur Sonnenwende

Die Kerzen vor der schwarzen Madonna werden am Dorfrand von Einsiedeln produziert: In einem langen, flachen Bau ist die Lienert Kerzen AG untergebracht.

«Ungefähr 200 Tonnen Wachs verarbeiten wir pro Jahr», sagt Otmar Lienert. Gegen Jahresende ist er regelmässig schon um sieben Uhr früh in seiner Fabrik. «Kerzenlicht fasziniert, es ist heute meist die einzige offene Flamme in unseren Häusern und Wohnungen.» Besonders im Winter, der Wendezeit, sei das warme Licht der Kerzen gefragt.

In der Weihnachtszeit laufen die Maschinen denn auch auf Hochtouren. Beispielsweise die Stempelpress-Maschine, die vier Kerzen gleichzeitig machen kann. «Mit roher Gewalt wird das kalte Wachs in die Röhren gepresst», sagt Lienert und schneidet mit dem Sackmesser den Docht einer Kerze ab und nimmt sie in die Hand: Zehn Zentimeter dick und ungefähr 20 hoch.

Werbung für Swisscom und Opel

Zwei Angestellte tauchen die Kerzen von Hand in farbiges Wachs. «Wir haben 35 Standardfarben», erklärt der Chef. Auch Spezialwünsche werden erfüllt. Sakralkerzen für Kirchen oder Kerzen für spezielle Anlässe wie Ostern werden kunstvoll mit Wachs verziert – auch das ist Handarbeit.

Seine Kunden kommen aber nicht nur aus dem kirchlichen Bereich: In der enormen Sammlung an einer Fabrikwand stehen auch die Friedens-Kerze von Amnesty International oder Werbe-Kerzen für Swisscom und Opel.

Der nahe Weg zum Kunden, die schnelle Reaktion auf Trends und die Konzentration auf Nischenprodukte sichern das Überleben des Familienbetriebs mit 22 Angestellten.

Im Massengeschäft kann Lienert nicht mithalten. Dieses haben ausländische Produzenten in der Hand. «Die haben Maschinen, die machen 75’000 Rechaud-Kerzen pro Stunde, unsere bringt es auf 3000 pro Stunde.»

Das Millionen-Geschäft

Im Coop neben dem Dorfzentrum haben die Verkäuferinnen neben dem Eingang ein Extra-Gestell mit Kerzen und Zubehör aufgebaut: 24 gezogene Leuchterkerzen kosten neun Franken neunzig, fertige Adventskränze mit vier Stumpenkerzen 24 Franken. Neben den Kränzen stapelt sich «Hakle Vlausch» im Aktions-Angebot.

«Die meisten Kerzen beziehen wir aus Deutschland und der Tschechei», sagt Coop-Sprecher Karl Weisskopf. Der Detailhändler Nummer zwei verkauft in der ganzen Schweiz während der Vorweihnachtszeit Kerzen für ungefähr 6 Mio. Franken.

Bei der Migros, der Nummer eins, werden noch mehr Kerzen verkauft: «Der Umsatz mit Weihnachtskerzen liegt bei rund 8 Mio. Franken pro Jahr», sagt Sprecherin Monika Weibel.

Mindestens ein Jahr lagern

Auch im Kloster-Laden sind Kerzen ein Renner. «Gerade in der grauen Jahreszeit verkaufen wir viele», sagt Verkäuferin Anny Theiler-Fässler. Vor über 50 Jahren hat sie selber in der Fabrik Kerzen verziert, mit Wachs und Gold-Plättchen. «Eine schöne Arbeit, die viel Freude macht», erinnert sie sich.

«Wir haben Spruchkerzen für Leute, die traurig sind, Schutzengel-Kerzen für Kinder oder Lichter für auf den Friedhof», rattert die rüstige Grossmutter durchs Sortiment. «Und natürlich gibt es Kerzen mit der schwarzen Madonna drauf.» Eine mittelgrosse kostet knapp 10 Franken. Sie kommt von der Lienert Kerzen AG, allerdings verkauft der Klosterladen auch Kerzen aus dem Ausland.

Theilers Empfehlung gilt aber für alle Kerze: «Mindestens ein Jahr lang lagern, sonst brennen sie nicht schön.»

swissinfo, Philippe Kropf, Einsiedeln

Gegen Jahresende werden in der Schweiz mit Weihnachts-Kerzen Millionen umgesetzt.
Die meisten verkauften Kerzen kommen aus dem Ausland, vor allem aus Deutschland.
Kleinere Schweizer Kerzen-Produzenten beliefern Markt-Nischen und produzieren kleine Serien.
Aufwändige Verzierungen für Sakral-Kerzen werden von Hand angebracht.

Kerzen sind in der christlichen Kirche das ganze Jahr über wichtig. Im Winter und vor allem an Weihnachten haben Kerzen auch in vielen säkularen Haushalten ihren Platz.

Die Lienert Kerzen AG in Einsiedeln produziert seit über 175 Jahren Kerzen. Hauptkunden sind Kirchen und Pfarreien, aber auch Hotels und Floristen.

In der Schweiz gibt es ungefähr acht Kerzen-Fabriken, viele davon sind KMU.

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