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Das Wasser wird aus dem Brunnen hochgepumpt

Der Pferdewagen ist ein Kennzeichen der Amischen in Adams County. swissinfo.ch

Sie leben ein einfaches Leben ohne jeglichen Komfort der Moderne, die Amischen in Adams County in Indiana. Als Nachfahren von Schweizer Täufern sprechen sie noch heute eine Art Schweizerdeutsch.

Im 19. Jahrhundert sind sie in die Region im Mittleren Westen der USA gezogen.

Ihre weissen Bauernhäuser mit den Windrädern zieren die Landschaft im Hinterland des Städtchens Berne. Sie führen ein Leben, das an Gotthelfs Zeiten erinnert.

Maisfelder, Weiden, Kühe und Pferde, sanft geschwungene Hügel, die Szenerie ähnelt dem heutigen Schweizer Mittelland. Wären da nicht die Pferdekutschen.

Sprache der alten Heimat

Ein Grossteil der etwa 5000 Amischen, die hier auf ihren einfachen Höfen leben, haben Schweizer Vorfahren – und bis heute sprechen sie eine Art Schweizerdeutsch, wenn auch leicht verfremdet, ab und zu vermischt mit einem englischen Wort. «Kannst Du uns verstehn», fangen denn auch viele der Gespräche an.

Ein Sonntagnachmittag im Mai, neben dem Hof der Familie Schwartz stehen Pferdekutschen. Heute war Gottesdienst. Der findet jeweils auf einem Hof statt, Gotteshäuser gibt es bei den Amischen keine, die Bibel lesen sie in Deutsch.

In der Wiese hinter den Pferdekutschen tollen ein Dutzend Jungen herum, in schwarzen Hosen und – da Sonntag ist – weissem Hemd.

Vor dem Haupthaus stehen Gruppen von Männern, auch sie schwarz gewandet und im weissen Hemd, den Strohhut im Nacken, die Hände um die Hosenträger geklammert. Sie diskutieren, über das Wetter, die Aussaat und anderes mehr.

«Gibt es in der Schweiz noch Milchbauern? Und wieviel Boden braucht ein Bauer, um zu überleben?», will Dan Schwartz wissen. Und ein anderer: «Eure Bauern nutzen heute Traktoren, oder?» Etwas, das die Amischen hier ablehnen, die Äcker werden mit Hilfe von Pferden gepflügt.

Einfachste Einrichtungen

Eine Gruppe Frauen, ebenfalls dunkel gekleidet und mit Häubchen auf dem Kopf, sitzt vor dem Haus. Dans Schwiegertochter lädt mich ein, das Haus zu besichtigen.

Die Inneneinrichtung ist ganz einfach, an den Fenstern weisse Vorhänge, helle Holzmöbel, die Amischen sind bekannt für ihr Schreinertalent. Auffallend sind die Schaukelstühle, in jeder Grösse, auch für ganz kleine Kinder schon. «So leben wir hier, das ist alles, was wir brauchen.»

Hinter uns füllt sich das Haus. Zahlreiche Kinder drängen sich um uns, vorwitzige, aber auch scheue, die sich hinter dem Rockzipfel älterer Frauen und Mädchen verstecken.

Gekocht wird mit Kerosen. Fliessend Wasser gibt es nicht, das muss im Brunnen vor dem Haus hochgepumpt werden. «So ist das bei uns.» Bevor ich mich wieder auf den Weg mache, gibt es ein «Zvieri» (Imbiss), Brot mit hausgemachtem Käseaufstrich.

Milch für Käsefabrik

Früher verkauften die Amischen in den Läden, die sie hier betreiben, auch Käse. Das können sie heute wegen der Hygienevorschriften nicht mehr tun. Überschüssige Milch geht daher an die Käsefabrik in Berne.

Die Sonne versinkt langsam am Horizont, wo Windräder in die Höhe ragen. «Machs guet», tönts zum Abschied.

Die Hebamme

Am nächsten Morgen besuche ich Lydienne, die Hebamme. Die resolute Frau führt eine amische Geburtsklinik. Am Vortag hatten wir uns über Haus- und Hebammengeburten in der Schweiz unterhalten.

Wie die Wohnhäuser ist Lydiennes Klinik sehr einfach eingerichtet. Anders als in den Wohnhäusern gibt es Wasserpumpen im Zimmer. Medikamente werden in einer Eisbox kühl gehalten.

Um für einen Notfall gerüstet zu sein, hat Lydienne auch Sauerstoff-Flaschen. «Das brauche ich.» Ebenso wie ein modernes Gerät zum Abhören der Herztöne. Das Gerät kostete einige hundert Dollar. «Aber es war die Investition wert.»

Lydienne betreut nur amische Schwangere. «Ich kann es mir wegen der Gefahr, vor Gericht gezogen zu werden, nicht leisten, andere Frauen zu betreuen.» Bei den Amischen bestehe diese Gefahr schlicht nicht.

Wenn ihr eine Geburt sehr riskant erscheint, schaut sie, dass ein Arzt gewillt ist, beizustehen. Im letzten Jahr brachten Lydienne und eine zweite Hebamme 375 Kinder zur Welt.

Da die Amischen sich nicht fotografieren lassen, gibt es statt Babyfotos Fussabdrücke der Kleinen – mit Namen, Zeit der Geburt, Grösse, Länge und Gewicht. Die Abdrücke zieren die Wände im Wartsaal.

Und wie schätzt Lydienne die Zukunft ihrer Religions-Gemeinschaft inmitten einer Welt moderner Versuchungen ein? «Wir sind zufrieden mit unserem Leben, auch die jüngere Generation. In den letzten Jahren haben nur ganz wenige die Gemeinschaft verlassen.»

swissinfo, Rita Emch, Adams County

Die Amischen gehören zur Glaubensgemeinschaft der Täufer, der auch die Mennoniten angehören. Die Amischen, deren Namen auf den Simmentaler Simon Amman zurückgeht, spalteten sich um 1700 von den Mennoniten ab.

Heute leben die Amischen vor allem in den Bundesstaaten Pennsylvania, Ohio und Indiana. Unter den schätzungsweise 150’000 Amischen gibt es konservativere und modernere Ausrichtungen.

Die Amischen von Adams County gehören zu den Konservativen, den Old Order Amish.

Dennoch stehen sie im Austausch mit ihrer modernen Umwelt. Viele Amische arbeiten als Schreiner in Möbelfabriken oder im Häuserbau.

Daneben führen sie in und um Berne herum eine Vielzahl von Läden, in denen sie ihre Produkte absetzen: Pflanzen, Gemüse, Kräuter, aber auch Quilts und Möbel. Vor allem als Schreiner haben sie sich einen guten Ruf geschaffen.

Die Amischen und ihre Pferdewagen, Buggys, gehören zum Bild von Adams County, sie fahren regelmässig ins nahegelegene Berne, man trifft sie auch im lokalen McDonalds, wo für die Buggys ein extra Standplatz eingerichtet wurde.

Oder am Sonntag-Nachmittag im Park, wo die Jugendlichen – in gemischten Gruppen, die Mädchen in ihren langen Röcken – Baseball spielen, während sich die jüngeren Kinder auf dem Spielplatz vergnügen.

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