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«Ich lebe wie ein Gefangener»

Youssef Nada in seinem Haus am Luganersee. Emanuele Gagliardi

Trotz Einstellung des Schweizer Verfahrens bleibt Youssef Nada weiter auf der Terrorliste der UNO und der Schweiz. Darüber ist der 76-jährige Italiener ägyptischer Herkunft verbittert.

Nada will nun den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anrufen und auch ein Buch über seine Geschichte schreiben. swissinfo hat Nada in seiner Villa in Campione besucht.

Die Villa von Youssef Nada liegt hoch über Campione, der italienischen Enklave am Luganersee. Der Ort ist nur via Schweiz erreichbar. Nada lebt bereits seit 1970 hier. Damals eröffnete er seinen Geschäftssitz im benachbarten Lugano. Ein Schild mit der Aufschrift «Villa Nada» am Sportplatz weist den Weg. Kurz darauf steht man vor einem schweren Eisengatter.

Nada persönlich öffnet die Tür. Der 76-Jährige ist elegant gekleidet, sein Auftreten ist ausgesprochen distinguiert und höflich, aber auch zurückhaltend. Im Gespräch zieht er Englisch dem Italienischen vor.

Die grosszügige Villa ist elegant, das Interieur in arabischem Stil gehalten, die Möbel massgefertigt. Eine historische Ausgabe des Koran liegt auf einem Holzständer.

Nada führt uns durchs Entrée und den Speisesaal ins Wohnzimmer. Durch die Fensterfront geniesst man einen herrlichen Blick auf den Luganersee und den gegenüberliegenden Monte San Salvatore.

Doch Nada kann diese Aussicht nicht mehr geniessen. «Die ganze Geschichte ist eine Katastrophe», sagt er wiederholt. Er fühle sich hier eingeschlossen wie ein Gefangener: «Das ist mein Guantanamo.»

Bush erwähnt Nada

Die Geschichte begann am 7. November 2001 – wenige Wochen nach den Attentaten vom 11. September in den USA. US-Präsident George W. Bush hatte in einer Rede im Finanzministerium einige Firmen genannt, die unter dem Verdacht standen, den internationalen Terrorismus und das Al-Kaida-Netzwerk von Osama Bin Laden zu finanzieren.

Namentlich erwähnt wurde auch Youssef Nada, der Chef der Al Taqwa Management Organisation in Lugano, die kurz zuvor in Nada Management umbenannt worden war.

In der Presse tauchte schnell die Bezeichnung von Nada als «Kassier von Osama Bin Laden» auf, zumal der Geschäftsmann seit seinem 17. Lebensjahr ein bekennendes Mitglied der in Ägypten verbotenen islamischen Bruderschaft war.

Nada erinnert sich noch bestens an jenen 7. November 2001. Denn gleichentags durchwühlte die Schweizer Bundesanwaltschaft seine Büros in Lugano; die italienischen Carabinieri stürmten seine Villa in Campione.

Der stellvertretende Bundesanwalt Claude Nicati verhörte ihn wegen Verdachts auf Terrorismus-Finanzierung. Auszüge des Verhörs hat Nada auf seiner Homepage veröffentlicht.

Verfahren eingestellt

Nada hat den Vorwurf der Terrorfinanzierung stets bestritten. Die terroristischen Anschläge verurteilt er auf Schärfste. Und de facto konnten die Ermittler bis heute keinerlei Beweise für illegale Machenschaften erbringen.

Die Bundesanwaltschaft stellte das Verfahren 2005 mangels Beweisen ein – allerdings erst, nachdem sie vom Bundesstrafgericht dazu gezwungen worden war. Auch in Italien wurde ein Verfahren im September 2007 eingestellt.

Trotzdem ist Nada stets auf der «schwarzen Liste» der UNO als mutmasslicher Terrorfinanzierer geblieben. Und damit steht er auch auf der vom Staatssekretariats für Wirtschaft Seco veröffentlichten Schweizer Terror-Liste.

Die Listen bezwecken, den Hintermännern des Terrors den Garaus zu machen. Denn ohne konsistente Finanzierung sind Attentate und Selbstmordanschläge nicht durchführbar.

Nada bleibt auf Schwarzen Listen

Das Bundesgericht erklärte indes vor kurzem, es könne Nada trotz Verfahrenseinstellung nicht von der Seco-Liste streichen. Die Sanktionsbeschlüsse des Sicherheitsrates seien für UNO-Mitgliedstaaten verbindlich.

Deshalb sind die Vermögenswerte von Nada nach wie vor blockiert, er ist in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt – eine Art Hausarrest. «Verbot der Einreise in und der Durchreise durch die Schweiz» schreibt das Seco als Sanktionsmassnahme auf seiner Homepage.

Erheblicher Schaden

«Es ist eine Katastrophe», wiederholt Nada. «Und das in meinem Alter.» Im Mai wird er 77 Jahr alt und hat mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen. Immerhin unterstütze ihn seine Familie tatkräftig. Er hat elf Geschwister, seine Ehefrau acht. Das Paar hat zusammen vier Kinder im Alter zwischen 24 und 32 Jahren. «Ich verhungere nicht», sagt er.

Trotzdem ist ihm die Verbitterung anzumerken: «Man hat mein Lebenswerk zerstört.» Auf 200 Mio. Franken schätzt er den finanziellen Schaden, der ihm seit 2001 entstanden ist. Seine Firmen wurden liquidiert, aufgegleiste Projekte mussten eingestellt werden. Umfangreiche Schadenersatzforderungen hat das Bundesgericht abgewiesen.

«Dabei habe ich in meinem Leben nie irgendetwas Unrechtes getan habe», beteuert der Unternehmer, der 1959 sein Heimatland Ägypten verlassen hat und dann ein Jahrzehnt in Österreich lebte.

Von Ägypten nach Österreich

Mit dem Verschiffen von Orangen, Tomaten und Erdnüssen nach Europa war er zuerst im internationalen Handel tätig. Später baute der Ingenieur sein Finanzdienstleistungs-Unternehmen mitsamt Al Taqwa Bank auf und war in Dutzenden Ländern der Erde tätig, von Indonesien bis Deutschland.. «Ich war 180 Tage im Jahr unterwegs», erinnert er sich.

Sein Engagement in der Muslimbruderschaft liess ihn auch politisch aktiv werden, etwa in der Vermittlung zwischen Irak und Iran. In diesem Zusammenhang traf er auch den früheren irakischen Diktator Saddam Hussein.

Die Wichtigkeit seiner Religion verhehlt Nada nicht. Er hat auch keine Mühe, sich als «Islamist» zu bezeichnen. Doch dieses Wort würde mittlerweile falsch gebraucht: «Denn der wahre Islamist ist ein Gegner des Terrorismus.» Die heutige «Islamophobie» hält er für bedenklich. Am wichtigsten ist ihm aber die folgende Regel: «Zuerst sind wir Menschen, danach Christen oder Muslims.»

Lob für Dick Marty

Nur gute Worte hat er für den Tessiner Ständerat Dick Marty übrig. Dieser setzt sich seit Jahren dafür ein, dass Nada von der Terrorliste gestrichen wird.

In Martys Berichten an den Europarat nimmt der Fall Nada stets einen prominenten Stellenwert ein. Marty vergleicht die Einträge in die schwarzen Liste mit einer «zivilen Todesstrafe», da keine Rechtsmittel dagegen erhoben werden können.

Trotzdem hat Nada seine Hoffnung noch nicht ganz aufgegeben. Er will nun den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg anrufen. Zudem will er seine Geschichte in Buchform niederschreiben. Denn: «Was mir widerfahren ist, kann jedem passieren.»

Dass Youssef Nada und seine Firmen überhaupt ins Visier der Ermittler gerieten, dürfte die Folge eines Artikels sein, der am 20. Oktober 1997 im «Corriere della Sera» erschien.

Der Journalist Guido Olimpio, ein Terrorismusexperte, behauptete darin, die von Nada mitgegründete Bank Al Taqwa habe 60 Mio. Dollar an die Hamas und andere islamistische Organisationen gespendet.

Der Artikel wurde von Agence France Presse aufgegriffen und über die ganze Welt verbreitet. Nada reagierte mit einer Gegendarstellung und verklagte den Journalisten. Dieser wurde im Juni 2005 von einem Mailänder Gericht verurteilt.

Gleichwohl ist davon auszugehen, dass insbesondere US-Ermittler sich auf Informationen des besagten Artikels berufen haben, um Nada als Teil des Finanzierungsnetzes von Al-Kaida an den Pranger zu stellen.

Die Muslimbrüder oder Muslimbruderschaft ist eine der einflussreichsten islamisch-fundamentalistischen Bewegungen im Nahen Osten, die 1928 von Hasan al-Banna in Ägypten gegründet wurde.

Seitdem hat sich die Muslimbruderschaft in andere Länder, inklusive Syriens und Jordaniens, ausgebreitet. Sie gilt als die erste revolutionäre islamische Bewegung. Neben gemässigten gibt es auch militante Gruppierungen.

In Deutschland gab das 2007 erschienene Buch von Udo Ulfkotte «Heiliger Krieg in Europa: Wie die radikale Muslimbruderschaft unserer Gesellschaft bedroht» (Eichborn-Verlag) zu hitzigen Diskussionen Anlass.

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