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Karten­ge­heim­nis­se

Ein General
Swisstopo / Schweizerisches Nationalmuseum

Geheime Karten, Verkaufsverbote und Retuschen: Um Militärgeheimnisse zu schützen, wurden in der Schweizer Kartografie unterschiedliche Massnahmen ergriffen.

SWI swissinfo.ch publiziert regelmässig Artikel aus dem Blog des NationalmuseumsExterner Link, die historischen Themen gewidmet sind. Die Artikel sind immer in deutscher und meistens auch in französischer und englischer Sprache verfasst.

Seit jeher schützte die Schweizer Armee ihre wichtigsten Anlagen vor unerwünschten Blicken. Munitionsdepots wurden in Felswänden verborgen, Artilleriestellungen als Chalets getarnt, Rüstungsfabriken waren von dichtem Wald umgeben und Militärflugplätze wurden mit Stacheldraht abgeschirmt.

In der Kartografie führte diese Geheimhaltung zu einem Zielkonflikt: Topografische Karten sollen die Erdoberfläche so wahrheitsgetreu wie möglich darstellen, gleichzeitig aber keine Militärgeheimnisse verraten.

Im Lauf der Jahrzehnte fand die Eidgenössische Landestopografie (heute: Swisstopo) immer wieder neue Wege, um mit diesem Dilemma umzugehen.

Altes Schweizer Kampfflugzeug
Wo die Schweizer Militärflugzeuge starteten, sollte vor dem Feind geheim gehalten werden. Schweizerisches Nationalmuseum

Eine geheime und eine öffent­li­che Kartografie

Seit dem späten 19. Jahrhundert war die staatliche Kartenproduktion der Schweiz in einen öffentlichen und einen geheimen Zweig geteilt.

Auf der einen Seite produzierte die Landestopografie das damalige amtliche Kartenwerk, die SiegfriedkarteExterner Link, in den Massstäben 1:50’000 zum Alpenraum und 1:25’000 zum Rest des Landes. Diese Karten waren im Verkauf frei erhältlich.

Auf der anderen Seite erstellte das Eidgenössische Militärdepartement (EMD) zwischen 1888 und 1952 streng geheime Festungskarten im Massstab 1:10’000. Im Gegensatz zur Siegfriedkarte deckten sie nicht das gesamte Land ab, sondern beschränkten sich auf strategisch besonders wichtige Räume wie das Gotthardgebiet oder das Rhoneknie.

In den dortigen Festungsanlagen der Armee wurden die geheimen Karten dringend benötigt, denn für die präzise Berechnung von Artillerie-Schussbahnen war ihr Massstab von 1:10’000 unverzichtbar.

Die akute Gefahrenlage des Ersten Weltkriegs bewegte das Militärdepartement dazu, auch die zuvor frei zugängliche Siegfriedkarte nur noch gegen Vorweisen einer Sonderbewilligung abzugeben.

So wollte man es ausländischen Spionen erschwerenExterner Link, an aktuelles Schweizer Kartenmaterial zu gelangen. Die Verkaufsrestriktionen wurden 1919 zwar aufgehoben, 20 Jahre später mussten sie aber in noch schärferer Form wiederbelebt werden.

Kurz nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs im September 1939 stellte der Oberbefehlshaber der Schweizer Armee Henri Guisan fest, «dass von gewisser Seite für schweizerische Kartenwerke […] ein Interesse besteht, das zum Aufsehen mahnt».

Diese Beobachtung kam nicht von Ungefähr: Bereits im Mai 1939 hatte der schweizerische Generalstab die deutsche Wehrmacht verdächtigt, über eine Berliner Tarnadresse gezielt Schweizer Kartenwerke zu bestellen.

Ausserdem bemängelte Guisan, dass die Schweizer Kartenvorräte «für ausserordentliche Bedürfnisse des Nachschubs nicht genügen, nicht einmal für die Abgabe einer zweiten Garnitur neuer Karten an die berechtigten Stäbe und Einheiten».

Kriegführung war ohne Raumwissen unmöglich – im Sinne der Verteidigungsbereitschaft sollte deshalb jede verfügbare Karte eingezogen und der Armee übergeben werden.

Im Oktober 1939 reagierte der Bundesrat auf die Kartenknappheit und das Geheimhaltungsproblem, indem er den Verkauf und die Ausfuhr von Karten der Schweiz mit einem Massstab von 1:1’000’000 oder grösser vollständig untersagte.

Auch in Büchern, Zeitungen und sogar auf Postkarten wurde die Wiedergabe von Geländeinformationen verboten. Diese Massnahmen kamen einer umfassenden Kartenzensur gleich. Sie wurden erst nach Kriegsende im Sommer 1945 wieder aufgehoben.

Ein General
General Guisan veranlasste, dass Landkarten während des Zweiten Weltkriegs nicht mehr verkauft wurden. Militärpostkartensammlung der Bibliothek am Guisanplatz, Bern

Geheim­hal­tung durch Weglas­sung im Kalten Krieg

Nach dem Zweiten Weltkrieg veränderte sich der Umgang mit sensiblen raumbezogenen Daten. Die Produktion der geheimen Festungskarten wurde 1952 eingestellt und es erfolgten keine neuen Verkaufsverbote für öffentliche Kartenwerke: Die Siegfriedkarte und ihr Nachfolgerwerk, die seit 1938 erscheinende Landeskarte, waren ab 1945 für alle vollständig und frei erhältlich.

Das war nicht nur dem Frieden in Europa geschuldet – es hatte sich auch die Erkenntnis breitgemacht, dass Verkaufsverbote andere Staaten kaum daran hindern konnten, an das gewünschte Kartenmaterial zu gelangen.

Die kartografische Geheimhaltungsstrategie nach 1945 fokussierte sich vielmehr darauf, wichtige militärische Anlagen im Kartenbild gezielt zu verbergen. Militärflugplätze, Panzersperren, Rüstungsfabriken und viele weitere strategisch relevante Objekte verschwanden aus den Karten.

Mit oder ohne Chalet?

Indem sensible Objekte aus den Karten verschwanden, schien die Geheimhaltungsfrage fürs Erste geklärt. Doch schon bald entbrannten Diskussionen darüber, was genau zu verbergen sei und was nicht.

Eine Objektgruppe sorgte in den 1970er-Jahren für besonderes Kopfzerbrechen: Bei zivil getarnten militärischen Anlagen, beispielsweise einer Artilleriestellung im Gewand eines Chalets, konnte die kartografische Geheimhaltung das Gegenteil dessen erreichen, was sie eigentlich beabsichtigte.

War das Chalet für einen Spion vor Ort sichtbar, fehlte aber in der Landeskarte, war es erst recht als militärisches Objekt markiert. Ab 1978 wurden solche Anlagen deshalb wieder in die Karte eingezeichnet.

Das Jahr 1978 war aber nicht nur für das Auftauchen, sondern auch für das Abtauchen eines Kartenelements verantwortlich. In den 1970er-Jahren war die Terrorgefahr in der Schweiz markant gestiegen.

Druckstollen von Wasserkraftwerken wurden deshalb aus den Karten getilgt – ihre Einzeichnung sollte Sabotageakte nicht unnötig erleichtern. Die Geheimhaltung von Druckstollen im Kartenbild wurde bis zur Jahrtausendwende aufrechterhalten.

Bereits während des Kalten KriegsExterner Link wurden Stimmen laut, die die Wirksamkeit kartografischer Geheimhaltung anzweifelten. Den entscheidenden Impuls für eine Anpassung der Praxis gab schliesslich der technische Fortschritt: Die Fernerkundung mittels Satelliten war um 1990 so ausgereift, dass das Verbergen von Objekten in Karten immer weniger Sinn machte.

Das weitere Verbergen hätte sogar einen gegenteiligen Effekt gehabt und die Aufmerksamkeit genau auf diejenigen Objekte gelenkt, die in der Karte fehlten.

Entsprechend wurden ab 1991 neue Verordnungen und Richtlinien geschaffen, die sich am sogenannten Wahrnehmungsprinzip orientierten.

Es besagt, dass Anlagen, die an der Erdoberfläche wahrnehmbar sind, auch in der Karte erscheinen sollen. Diese Regelung erwies sich als tragfähig: Das Wahrnehmungsprinzip gilt bis heute.

Felix Frey ist historischer Fachexperte beim Bundesamt für Landestopografie Swisstopo.

Dieser ArtikelExterner Link wurde erstmals auf der Webseite «Raum und Zeit»Externer Link des Bundesamts für Landestopografie Swisstopo veröffentlicht. Dort gibt es regelmässig spannende Kapitel der Kartengeschichte zu entdecken.

Der Artikel im Blog des Schweizerischen NationalmuseumsExterner Link

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