Kirchen werden leer
Jedes Jahr kehren in der Schweiz mehr als 30'000 Personen ihren christlichen Institutionen den Rücken. Übertritte in eine andere Glaubensgemeinschaft sind aber eher selten.
Was tun mit leeren Kirchen? Eine Umnutzung oder gar ein Abriss der Gebäude fällt in der Schweiz immer noch schwer.
Die evangelisch-reformierten Landeskirchen der Schweiz registrierten 2002 rund 12’500 Austritte. Dies bei knapp 2,5 Mio. Gläubigen. Zwischen 1998 und 2001 hatte die Zahl der Austritte jeweils zwischen 10’900 und 12’300 geschwankt.
Das Hauptargument für einen Austritt besteht laut Simon Weber vom Schweizerischen Evangelischen Kirchenbund (SEK) darin, dass man sich mit der Kirche nicht mehr verbunden fühlt. Es sei zwar ein grosses Interesse an Spiritualität vorhanden, aber die Kirche als Institution werde abgelehnt.
Kirchensteuer sparen?
Auch die Kirchensteuern spielen bei den Austritten eine Rolle. Allerdings nur eine geringe. Im Kanton Waadt beispielsweise ist es gemäss Weber finanziell kaum spürbar, ob man einer Landeskirche angehört oder nicht. In den Kantonen Neuenburg und Genf wird die Kirchensteuer auf freiwilliger Basis entrichtet.
Nur wenig Einfluss hat ein Kirchenaustritt auf die Kirchensteuer in den Kantonen Bern, Zürich und Aargau. Dort bezahlen die Steuerpflichtigen nur einen Teil ihrer Kirchensteuer direkt der jeweiligen Landeskirche. Der andere Teil wird vom Staat erhoben.
Draht nicht abreissen lassen
Bei den römisch-katholischen Landeskirchen geben gemäss Schätzung von Alfred Dubach, dem Leiter des Pastoralsoziologischen Instituts St. Gallen, jedes Jahr durchschnittlich 20’000 von insgesamt 3,1 Mio. Mitgliedern ihren Austritt. Genaue Zahlen werden auf katholischer Seite nicht systematisch erhoben.
Die Gründe für die Austritte sind laut Dubach unterschiedlich und hängen oft mit Jugenderlebnissen rund um Kirche und Religion zusammen. Für viele sei die Mitgliedschaft bei einer Kirche eine emotionale Angelegenheit. «Die meisten wollen den Draht zu Gott nicht einfach abreissen lassen», sagt Dubach.
Klein ist laut Dubach die Zahl der Konversionen in andere Religions-Gemeinschaften oder Sekten. «Hier ist absolut kein Boom feststellbar», sagt der Fachmann.
Wer aus der Kirche austrete, der bleibe konfessionslos. Rund zwei Drittel der Austrittswilligen stammen jeweils aus den fünf grössten Schweizer Städten.
Die 809’000 Konfessionslosen (Stand 2000) bilden hinter den Katholiken und den Reformierten die drittgrösste Gruppierung. Seit der Volkszählung 1990 hat sich diese Zahl fast verdoppelt. Der Grossteil gehörte früher einer Landeskirche an.
Kirchen umnutzen?
Wenn Kirchen leer stehen, was soll man mit den Gebäuden tun? Reformierte und katholische Kirchenvertreter in der Schweiz suchen nach Alternativen. Sie lehnen eine Umnutzung nicht generell ab, finden aber, die neue Bestimmung sollte aber weiterhin etwas mit dem christlichen Gedankengut zu tun haben.
Ein Beispiel über eine Umnutzung einer Kirche, die kaum mehr mit dem angesprochenen christlichen Gedankengut vereinbar ist, beschreibt die Berner Zeitung in ihrer Samstagsausgabe.
Der «Temple du Bas» im Bielersee-Städtchen La Neuveville ist heute ein «Café Theâtre. Weltliche Kultur und Gastronomie haben den Gottesdienst abgelöst.
Kirchen abreissen?
Oder sollen schlecht genutzte Kirchen gar verkauft oder abgerissen werden? Was in andern Ländern, etwa in Holland, England oder den USA kaum mehr für öffentliches Augsehen sorgt, ist in der Schweiz weitgehend noch ein Tabu. Die Kirche als Disco mag noch knapp angehen, doch das Gebäude bleibt im Besitz der Kirche.
Der Theologe Christoph Sigrist gibt in einem Gespräch mit dem «Tages Anzeiger» zu bedenken, dass Kirchen eben spezielle Gebäude seien. Gebäude, die ein «sakrales Empfinden» auslösten. In den Städten seien sie «Oasen». Doch schliesst Sigrist ein Abriss als allerletztes Mittel, wenn die Finanzen ausgehen, nicht aus.
Kirchen verkaufen sei eine andere Möglichkeit, aber in der Praxis schwer durchführbar. Die Gebäude seien aufwändig im Unterhalt und für viele Nutzungen ungeeignet.
Muslime: keine Kirchenaustritte
Unterschiedliche Zahlen kursieren über die Anzahl der Gläubigen, die sich in der Schweiz zum Islam bekennen. Bei der Volkszählung 2000 wurden 310’000 Muslime registriert, doch laut Ibrahim Salah von der Vereinigung der muslimischen Organisationen in der Schweiz schätzt die Bundespolizei die Zahl auf rund 500’000.
Austritte sind bei dieser Religion kein Thema. Es gebe Muslime, die ihre Religion vielleicht nicht ausüben, aber ein Austritt komme für diese Leute nicht in Frage, sagte Salah auf Anfrage.
swissinfo und Agenturen
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