Wieder Streit um Mitspracherecht im Bistum Chur
Im Bistum Chur ist ein Streit um die Person eines Weihbischofs entbrannt. Wenige Jahre nach dem Fall "Bischof Haas" wehrt sich die Kirchenbasis erneut gegen die Ernennung eines weiteren romtreuen Kirchenmannes.
Anders als die reformierte hat die katholische Kirche eine staatskirchenrechtliche und eine kanonische Struktur. Letztere ist nicht demokratisch aufgebaut.
Diese Doppelstruktur, die es nur in der Schweiz gibt, bedingt eine Abgrenzung der Kompetenzen. Diese wird in den Kantonen unterschiedlich geregelt. Im Bistum Chur sorgt sie einmal mehr für heftige Diskussionen.
Nach dem altershalben Rücktritt von Bischof Amadée Grab wird im Bistum Chur wieder um Personen gestritten. Der vor drei Jahren geweihte Bischof Vitus Huonder, vor seiner Wahl von der Presse als romtreu und Opus-Dei nahe kritisiert, will einen zweiten Weihbischof einsetzen.
Der erste Weihbischof, Marian Eleganti, wurde Anfang dieses Jahres geweiht. Auch über ihn äusserten sich gewisse Medien kritisch.
Bischof Vitus Huonder sei in der Absicht nach Rom zum Papst gereist, um diesem die Ernennung von Martin Grichting zum zweiten Weihbischof im Bistum Chur vorzuschlagen, vermutete die Biberbrugger Konferenz Ende Juli und sprach sich in einer Stellungnahme öffentlich dagegen aus.
Die Biberbrugger-Konferenz ist die Vereinigung der Kantonalkirchen des Bistums Chur. Sie hatte sich 1992 während des Konflikts um Bischof Wolfgang Haas gebildet.
Warnung der Biberbrugger Konferenz
Präsident Werner Inderbitzin, sagt gegenüber swissinfo.ch,, warum die Biberbrugger Konferenz an die Öffentlichkeit gelangt sei: «Unsere mündlichen und schriftlichen Meinungsäusserungen fanden kein Gehör.»
Wie damals Bischof Haas müsste ein Weihbischof Grichting damit rechnen, dass er in vielen Pfarreien nicht erwünscht wäre. «Solche Zustände wie zu Zeiten von Bischof Haas, der das Bistum gespalten hat, wollen wir verhindern.»
Grichting sei ein klarer Gegner der demokratischen Kirchenbehörden und plädiere für mehr Macht für das bischöfliche Ordinariat.
1997 hat Martin Grichting eine Dissertation verfasst, die unter dem Titel «Kirche oder Kirchenwesen?» die Fragen des Verhältnisses zwischen Kirche und Staat erörtert, am Beispiel des Kantons Zürich.
Laut seinem damaligen Verständnis stelle das Zürcher Staatskirchenrecht die vom katholischen Kirchenrecht vorgesehenen Rechtsverhältnisse auf den Kopf. Anstatt dass der Bischof von Beratungsgremien unterstützt werde, dürfe er via Generalvikar die staatsrechtliche Körperschaft beraten, schreibt Grichting. Dies widerspreche dem seit «den Zeiten der Urkiche gültigen Glaubensverständnis vom Bischofsamt».
Gegenüber swissinfo.ch wollte Martin Grichting keine Stellung nehmen. In einem Interview mit der Zeitung Südostschweiz sagt er aber, er sei ein Demokrat und stehe zum Rechtsstaat. «Was man von mir nicht verlangen kann, ist eine gesinnungsmässige Zustimmung zum bestehenden System.»
Hinter der Diskussion um das Staatskirchenrecht sieht Grichting letztlich eine theologische Frage, nämlich: «Was ist eigentlich die Aufgabe der Gläubigen in der Kirche?» In der Schweiz habe man den Eindruck, je mehr man mitbestimmen könne, desto mehr sei man Christ, so Grichting in diesem Interview.
«teamfähig und kompetent»
Auf die Medienmitteilung der Biberbrugger-Konferenz antwortete Bischof Huonder mit einem Schreiben, das auf der Homepage des Bistums veröffentlicht wurde. Er nimmt darin Martin Grichting in Schutz.
Dieser habe in den letzten zwei Jahren als Generalvikar bewiesen, dass er «teamfähig und kompetent» sei. Im Übrigen habe Grichting jahrelang mit den staatskirchenrechtlichen Organen zusammengearbeitet und sei als Vertreter des Bischöflichen Ordinariats Mitglied des Parlaments der Katholischen Landeskirche von Graubünden.
Werner Inderbitzin meint dazu: «Die Zürcher hätten Josef Annen, ein engagierter und geliebter Priester, den man von seiner früheren seelsorgerischen Tätigkeit her gut kennt und schätzt, gerne als ihren Weihbischof gehabt.»
Vitus Huonder habe aber Josef Annen als Leiter des Priesterseminars abberufen und als Generalvikar nach Zürich gesandt. «Annen war für Huonder wohl zu offen.» Und: «Es gibt auch im Bereich der Priesterausbildung klare Anzeichen, dass das Rad zurück gedreht werden soll.»
In seinem Brief schreibt Bischof Huonder, er sei allen Gläubigen dankbar, die in der guten Absicht, der Kirche zu dienen, in den staatskirchenrechtlichen Institutionen mitarbeiteten. Es gebe in der Kirche allerdings die «Einheit der Sendung», aber auch eine «Verschiedenheit des Dienstes».
Der Bischof meine damit, dass in pastoralen Fragen, zu denen er auch die Personalentscheide zähle, die staatskirchlichen Organe -«man kann auch sagen, die Laien»- zu schweigen haben, erklärt der Präsident der Vereinigung der Kantonalkirchen des Bistums Chur.
«Es geht um die Frage des Kirchenverständnisses und um die Frage der Macht. Der Bischof bestimmt und die engagierten Laien haben für die finanziellen Bedürfnisse der Kirche zu sorgen.» Seines Wissens spreche das 2. Vatikanische Konzil über die Stellung der Laien aber eine andere Sprache, sagt Inderbitzin.
Demarche von Couchepin?
Es ist nicht das erste Mal, dass die vermutete Ernennung Martin Grichtings zum Weihbischof Wellen wirft. DerTages-Anzeiger berichtete vor rund einem Jahr, dass die Ernennung 2008 von Grichting zum Weihbischof mit einer Demarche von höchste Stelle gestoppt worden sei.
Der damalige Bundespräsident Pascal Couchepin sei 2008 via den päpstlichen Gesandten in Bern an den Vatikan gelangt. Er habe sich besorgt gezeigt, dass die Ernennung Grichtings den religiösen Frieden im Bistum Chur gefährden könnte.
Eveline Kobler, swissinfo.ch
2007 wurde Vitus Huonder als Nachfolger von Bischof Amadée Grab zum Bischof des Bistums Chur geweiht.
Sein Wahlspruch war: «Alles in Christus erneuern».
Im Juli 2010 forderte der Dekan Zürcher Oberland, Vitus Schmid, seinen Rücktritt.
Es herrsche Unruhe im Volk Gottes, hat Schimd laut der Katholischen Internationalen Presseagentur (kipa) geschrieben, und diese Unruhe werde von der Kirchenleitung veursacht.
Huonder solle demissionieren und fähigeren Kräften den Weg frei machen.
Er war im Bistum Chur eine eher unbekannte Persönlichkeit.
Seit dem Jahr 2000 lebte er im Kloster Uzwil, dessen Abt er 2009 wurde.
Der Tages-Anzeiger recherchierte, er habe 15 Jahre lang in einer kirchlich verbotenen Gemeinschaft in Österreich gelebt, zusammen mit einem wegen sexuellen Übergriffen verurteilten Straftäter.
2008 wurde der Priester Martin Grichting zum Generalvikar im Bistum Chur ernannt.
1997 doktorierte er mit der Dissertation «Kirche oder Kirchenwesen?» und habiliterte sich an der Ludwig-Maximilian-Universität.
Er unterrichtet an der Santa Croce Universität, die als Universität der Personalprälatur Opus Dei gilt.
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