Zürcher Rechte gegen Koran-Schulen
Staat und Kirchen im Kanton Zürich wollen ihre Beziehungen auf eine neue Grundlage stellen. Die SVP bekämpft mit einer fremdenfeindlichen Kampagne drei entsprechende Abstimmungs-Vorlagen.
Religionsgemeinschaften werden kantonal ungleich behandelt.
Die neue Gesetzgebung, über die am 30. November abgestimmt wird, sieht unter anderem vor, dass der Regierungsrat andere Religionsgemeinschaften anerkennen kann, wenn sie ganz bestimmte Voraussetzungen erfüllen. Bisher sind im Kanton Zürich die evangelisch-reformierte Landeskirche, die römisch-katholische Körperschaft sowie die christkatholische Kirchgemeinde anerkannt.
Die Öffnung gegenüber anderen Religionsgemeinschaften wird von einem Nein-Komitee bekämpft, in dem Exponenten der kantonalen Schweizerischen Volkspartei (SVP) und auch Mitglieder der Freisinnig-demokratischen Partei (FDP) federführend sind.
Zielscheibe Muslime
«Steuergelder für Koranschulen?» fragt das Nein-Komitee provozierend auf Plakaten. Und eine Fotomontage im «Zürcher Bauer» (14.11.03) zeigt ein Bild des Zürcher Grossmünsters, wobei einer der markanten Türme durch ein Minarett ersetzt ist. Das sei «nur eine Frage der Zeit», heisst es dazu.
Solche Aussagen seien schlicht Lügen, kontern die Landeskirchen. «Die Behauptung wird nicht wahrer, wie oft sie auch wiederholt wird», heisst es in einer gemeinsamen Mitteilung.
Keine Kirche oder Religionsgemeinschaft erhalte staatliche Beiträge oder irgendwelche Steuergelder für den konfessionellen Unterricht, «heute nicht und auch künftig nicht». Dafür müssten die Angehörigen der verschiedenen Religionen selbst aufkommen.
Auch die Eidg. Kommission gegen Rassismus (EKR) kritisiert die Kampagne des Nein-Komitees. «Es ist sicher nicht angebracht, falsche Behauptungen zu publizieren wie jene, dass Koranschulen mit Steuergeldern finanziert würden und dadurch unsere Gesellschaft unterwandert werde», sagt Gioia Weber, Verantwortliche für die EKR-Öffentlichkeitsarbeit.
«Es grenzt an Diskriminierung, wenn ganze gesellschaftliche Gruppen einfach in einen Topf geschmissen und dazu noch falsch etikettiert werden. Das ist unlauter», so Weber zu swissinfo.
Schädlich für den religiösen Frieden
Seit Jahren pflegten die christlichen Kirchen in Zürich mit den jüdischen und islamischen Religionsgemeinschaften einen konstruktiven Dialog.
In diesem friedlichen Miteinander, auf das Zürich zu Recht stolz sei, machten nun die Gegner der Kirchenvorlage «in unverantwortbarer Weise Stimmung gegen den Islam». Damit riskierten sie, dass dem religiösen Frieden im Kanton grosser Schaden zugefügt werde, erklären die Landeskirchen.
Strenge Bedingungen
Wird eine Religionsgemeinschaft anerkannt, so erhält sie zwar staatliche Gelder. Dies aber ausdrücklich nur für «Leistungen im gesamtgesellschaftlichen Interesse», von denen auch Nicht-Mitglieder einen Nutzen haben.
Was die provozierende Frage «Steuergelder für Koranschulen?» des Nein-Komitees unterstelle, sei schlicht nicht wahr, sagt auch der Zürcher Regierungsrat Markus Notter, der als Direktor des Innern und der Justiz für die drei Vorlagen kämpft. Damit eine Religionsgemeinschaft anerkannt werden könne, müsse sie strenge Bedingungen erfüllen, betont Notter. Diese Regelung verhindere, dass Sekten, Splittergruppen oder totalitäre Organisationen Anerkennung finden können.
Gemäss dem Anerkennungsgesetz muss sich die Gemeinschaft unter anderem nachweislich mit der Sinnfrage befassen und karitativ tätig sein. Sie darf keine politischen oder wirtschaftlichen Zwecke verfolgen. Zudem muss sie seit 30 Jahren in der Schweiz gewirkt und eine gesellschaftliche Bedeutung haben. Und schliesslich muss sie demokratisch organisiert sein, die Schweizer Rechtsordnung und den religiösen Frieden anerkennen sowie ihre Finanzen transparent führen.
Gegen kirchliches Ausländer-Stimmrecht
Fremdenfeindliche Parolen des Nein-Komitees richten sich auch gegen das kirchliche Ausländer-Stimmrecht. Zürich ist der letzte Kanton der Schweiz, der es den Kirchen verbietet, ihren Mitgliedern ohne Schweizerpass das Stimmrecht zu gewähren.
Nach den Kirchenvorlagen würde diese Bevormundung aufgehoben. Die Kirchen könnten selber entscheiden, ob und unter welchen Bedingungen sie das Ausländer-Stimmrecht einführen wollen.
Kantonale Ungleichheiten
Eine Studie im Auftrag der Eidg. Kommission gegen Rassismus zeigt auf, dass es die Kantone sind, die das Verhältnis zwischen den Religionsgemeinschaften bzw. der Kirche und dem Staat regeln. Das bedeutet, dass in der Schweiz 26 verschiedene Modelle dieses Verhältnisses existieren. «Bei der Kleinräumigkeit der Schweiz kann dies zu Problemen führen», sagt Gioia Weber von der EKR.
Es sind nicht alle Religionsgemeinschaften gleich stark in allen Regionen vertreten. So werden zum Beispiel in den Kantonen Bern, Basel-Stadt, St. Gallen und Freiburg die israelitischen Gemeinden schon länger anerkannt, während sie es im Kanton Zürich beispielsweise nicht sind.
Zu dieser föderalen Struktur könne die EKR wenig Stellung beziehen. «Aber die EKR schlägt generell vor, dass Religionsgemeinschaften in der Schweiz grundsätzlich gleich behandelt werden müssten, und zwar alle», so Gioia Weber. «Und das ist bis jetzt nicht der Fall.»
Es zeige sich auch, dass es in einzelnen Kantonen nicht einmal vorgesehen sei, dass andere als die etablierten christlichen Kirchen irgend eine öffentlich rechtliche Anerkennung haben könnten. «Das müsste man vielleicht ändern.»
Trennung von Kirche und Staat?
Während in den Kantonen Genf und Neuenburg eine weitgehende Trennung von Kirche und Staat existiert, wurde eine solche in anderen Kantonen, auch in Zürich, abgelehnt.
Für die EKR ist eine Trennung von Kirche und Staat kein Modell. Gioia Weber: «Das würde bedeuten, dass zum Teil verschiedene Leistungen, die Religionsgemeinschaften zum Beispiel im Sozialbereich erbringen, privatisiert und dadurch vielleicht auch einer gewissen Kontrolle entzogen würden.»
Zur Zeit werden in verschiedenen Kantonen die Verfassungen revidiert. Das tangiert nicht nur das Verhältnis zu den etablierten Kirchen, sondern ist auch für die Anerkennung «neuer» Religionsgemeinschaften bedeutsam, wie das Beispiel Zürich zeigt. Die meisten anderen Kantone gehen auch in diese Richtung.
Folgen für die heute anerkannten Kirchen
Die Neuregelung des Verhältnisses von Kirche und Staat, über die im Kanton Zürich abgestimmt wird, wurde nach der dritten Ablehnung einer Trennung von Kirche und Staat 1995 von Vertretern der Landeskirchen und des Staates erarbeitet. Regierungsrat Markus Notter war massgeblich daran beteiligt.
Eine Ablehnung am 30. November, befürchtet er, hätte wohl unvermeidlich zur Folge, dass die heutige Anerkennung der reformierten, der römisch-katholischen und der christkatholischen Kirche in Frage gestellt würde – aus Gründen der Rechtsgleichheit. Und damit wäre das Thema vollständige Trennung von Kirche und Staat erneut auf dem Tisch.
swissinfo, Jean-Michel Berthoud
Volkszählung 2000: ¾ der Wohnbevölkerung in der Schweiz gehören den beiden Landeskirchen an
10% (rund 700’000) sind Angehörige einer anderen Religionsgemeinschaft
Kanton Zürich: Staatliche Finanzierung der Kirchen jährlich 50 Mio. Fr., Aufteilung soll nach den Vorlagen gemäss Mitgliederzahlen erfolgen
Den Stimmberechtigten des Kantons Zürich werden am 30. November eine Verfassungsänderung und zwei Gesetze vorgelegt, die drei grundlegende Neuerungen bringen sollen.
Neu hält die Verfassung fest, dass neben den bisher vom Staat anerkannten Kirchen, der evangelisch-reformierten, der römisch-katholischen und der christkatholischen, auch andere Religionsgemeinschaften anerkannt werden können. Die sehr rigiden Voraussetzungen dafür sind in einem der beiden Gesetze, dem Anerkennungsgesetz, geregelt.
Neu gewährt die Verfassung den anerkannten Kirchen nicht nur Autonomie im Rahmen des kantonalen Rechts, sondern räumt ihnen auch die Kompetenz ein, das Stimm- und Wahlrecht ihrer Mitglieder selber zu regeln, also Ausländern oder Jugendlichen das Stimmrecht zu geben.
Neu wird erstmals auf Verfassungsstufe geregelt, wie die Kirchen sich finanzieren. Sie können ihre Mitglieder besteuern, sie können Firmen besteuern und sie haben Anrecht auf staatliche Beiträge. Auch hier werden die Einzelheiten in einem der beiden Gesetze, dem Kirchengesetz, geregelt.
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