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Zürich lanciert erste Studie über Muslime

Sind muslimische Kinder akzeptiert oder werden sie diskriminiert? Keystone

Der Kanton Zürich will mehr Substanz in die emotionale Debatte um die Religionsausübung von Muslimen bringen. Er lässt deshalb untersuchen, inwiefern seine Dienstleistungen den Bedüfnissen der Muslime gerecht werden.

Vor dem Hintergrund der umstrittenen Minarett-Initiative will die Studie Fakten zusammentragen und Erkenntnisse gewinnen, um die politische Diskussion zu versachlichen.

Im vergangenen Sommer bemühte sich der Zürcher Flügel der rechtskonservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP), den Bau von «provokativen» Minaretten bei islamischen Sakralbauten zu verbieten.

Dem folgte Anfang Jahr auf nationaler Ebene eine ähnlich lautende Initiative der SVP, die bei etlichen Regierungsmitgliedern (Bundesräten) auf Ablehnung stiess.

Nun hat Thomas Widmer vom Institut für Politische Wissenschaften der Universität Zürich den Auftrag erhalten, zu klären, inwiefern kantonale Dienstleistungen im Gesundheits- und Erziehungswesen, im sozialen Bereich und im Strafvollzug für die muslimische Bevölkerung angemessen sind.

«Wir möchten wissen, ob die kantonalen Dienstleistungen die Religionsfreiheit der Muslime zulassen, und auch, ob dieses religiöse Praktizieren andere Nutzer dieser Dienstleistungen stört», sagt Widmer gegenüber swissinfo.

«Die Verfassung garantiert die Religionsfreiheit, und am Kanton liegt die Überwachung dieses Prinzips.»

Widmer möchte Experten aus allen vier Dienstleistungsbereichen des Kantons befragen, bevor er die Daten zusammenträgt. Ende nächstes Jahr möchte er dann die Vorschläge und Empfehlungen liefern.

Minarett-Debatte war ausschlaggebend

Den Ausschlag zur Studie gab die laufende Minarett-Debatte. «Man hört zur Zeit viel ideologisch Gefärbtes rund um Minarette und islamischen Extremismus», sagt Widmer.

Ziel der Studie sei es, ein klareres Bild der Situation zu erhalten, um entsprechend reagieren zu können. Es bestehe der Wunsch, mehr Substanz in die politische Diskussion zu bringen, die bisher von Ideologien dominiert worden sei.

Der Präsident der Vereinigung Islamischer Organisationen in der Schweiz, Hisham Maizar, begrüsst die Studie unter der Voraussetzung, dass sie auf einem echten Dialog mit der Zürcher Muslim-Gemeinschaft beruhen.

«Die Studie ist eine gute Idee, falls die Muslime als gleichwertige Partner von Beginn an einbezogen werden», sagt er gegenüber swissinfo.

Das Verständnis der Beschwerden

«Die Methode, eine Studie zu machen und den Leuten zu sagen, ‹das ist es, was wir denken, und ihr müsst es akzeptieren›, ist höchst fraglich», so Maizar. «Man muss den Leuten die Gelegenheit geben, ihre Beschwerden von Beginn weg zu erklären.»

Er begrüsse die Studie im Prinzip, denn es sei wichtig, an solche Informationen heranzukommen. Bisher habe sich niemand an das Thema gewagt, aus Furcht, andere Religionen zu verletzen.

Laut Maizar ist das Verhältnis zwischen den Zürcher Behörden und den Muslimen gut, auch wenn es zum Vorschlag eines Minarett-Verbots gekommen sei.

Er verweist auf den muslimischen Friedhof in Zürich als Zeichen einer guten Zusammenarbeit.

«Ich sehe keine Muslime in Zürich, die leiden, weil sie nicht akzeptiert werden. Alle, die sich um Integration in die Gesellschaft bemühen, fühlen sich nicht unwillkommen.»

swissinfo, Matthew Allen in Zürich
(Übertragung aus dem Englischen: Alexander P. Künzle)

In der Schweiz leben rund 340’000 Muslime.
Rund 12% sind Schweizer Staatsbürger.
Die meisten Muslime in der Schweiz kommen aus Südosteuropa, auch in der Folge des Jugoslawien-Kriegs, oder aus der Türkei.
Ihre Zahl hat in den letzten Jahren zugenommen. Ihr Anteil an der Bevölkerung stieg von 2,2% 1990 auf 4,3% im Jahr 2000.
In der Schweiz sind drei Viertel der Bevölkerung Christen. Davon sind 42% Katholiken, 35% Protestanten und 2,2% andere christliche Bekenntnisse.

Ein Minarett ist ein Turm mit einem Balkon, von dem der Muezzin die Muslime zum Gebet aufruft. Das Minarett ist traditionsgemäss Teil einer Moschee.

In der Schweiz haben lediglich die Moscheen von Genf und Zürich ein Minarett. Zum Gebet aufgerufen wird von dort aber nicht.

Letztes Jahr sind Baugesuche für Minarette in Wangen und in Langenthal, Kanton Bern, zurückgewiesen worden. Doch kürzlich hat die höchste rechtliche Instanz, das Bundesgericht, das Wangener Projekt bewilligt.

Mit ihrer im Mai lancierten Volksinitiative «Gegen den Bau von Minaretten» wollen Politiker der Rechtsaussen-Parteien Schweizerischen Volkspartei (SVP) und Eidgenössisch-Demokratische Union (EDU) den «religiös-politischen Machtanspruch» des Islams zurückweisen.

Bis November 2008 müssen 100’000 Unterschriften gesammelt sein, damit über die Initiative abgestimmt werden kann.

Pläne für den Bau eines islamischen Zentrums in Bern, des grössten in Europa, sind von der Stadtbehörde zurückgewiesen worden.

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