Zwei Drittel für die freie Meinungsäusserung
Die Schweizer Bevölkerung ist für die Meinungsfreiheit, findet jedoch, die Mohammed-Karikaturen hätten in Dänemark nicht veröffenticht werden sollen.
Während rund tausend Moslems am Samstag in Bern friedlich demonstrierten, rief die Schweizer Aussenministerin Micheline Calmy-Rey zum Dialog auf.
In einer vom SonntagsBlick in Auftrag gegebenen Umfrage sprachen sich zwei von drei Schweizerinnen und Schweizern (66%) für ein Recht auf freie Meinungsäusserung in religiösen Fragen aus. Am stärksten befürworteten dies die Reformierten (70% Ja-Anteil).
Bei den Katholiken lag der Ja-Anteil bei 59% und bei den Muslimen bei 26%. Die Publikation der Karikaturen in Dänemark fanden 60% aller Befragten für nicht angebracht, 30% hielten sie für richtig.
Deutschschweizer, Frauen und Ältere kritisierten das Vorgehen der dänischen Zeitung «Jyllands-Posten» besonders häufig.
Friedliche muslimische Demonstration
Rund 1000 Muslime protestierten am Samstagnachmittag auf dem Berner Bundesplatz friedlich gegen die Karikaturen des Propheten Mohammed in europäischen Zeitungen.
Ihre Botschaft: «Meinungsfreiheit darf kein Vorwand sein für Beleidigungen!»
Die bewilligte Kundgebung hatte eine Vereinigung von Muslimen aus Biel organisiert. Mehrere Redner wandten sich zunächst auf Arabisch und Türkisch an die Versammelten. Zum Ende der Veranstaltung beteten die Demonstrierenden auf den Knien, gegen Mekka gewandt.
Die Kundgebung war in muslimischen Kreisen umstritten. So hatte die Koordination Islamischer Organisationen Schweiz (KIOS) ihre Mitgliederorganisationen aufgerufen, nicht zu demonstrieren.
Es sei nun Zeit für den Dialog und die Bemühung aller Seiten um Deeskalation, begründete KIOS-Präsident Farhad Afshar in der «Tagesschau» des Schweizer Fernsehens diese Haltung.
Calmy-Rey: Mehr Respekt!
Im Streit um die Mohammed-Karikaturen hat Bundesrätin Micheline Calmy-Rey alle Beteiligten zu mehr Respekt aufgerufen. Gleichzeitig erinnerte sie an die Grenzen der Meinungsäusserungsfreiheit.
Die Schweizer Aussenministerin nahm in einem Gastkommentar für den SonntagsBlick und in einem Interview mit der SonntagsZeitung Stellung zum Karikaturen-Streit.
Dialog unerlässlich
Meinungs- und Pressefreiheit seien zwar Grundrechte, gab Calmy-Rey zu verstehen. Doch es gebe «nicht nur rechtliche, sondern auch ethische» Grenzen. Diese lägen «dort, wo sie die Würde anderer Menschen zu verletzen beginnen», sagte sie der SonntagsZeitung.
Nun seien Dialog und die Bereitschaft zum Zuhören nötig. Nur dies ermögliche Respekt und Verständnis zwischen den Gesellschaften und Kulturen, sagte sie im SonntagsBlick.
Die Karikaturen böten Scharfmachern die Möglichkeit, gegen den Westen zu hetzen. Die Empörung lenke von den wirtschaftlichen und sozialen Problemen ab. Als neutrales Land, Depositarstaat der Genfer Konventionen und Wiege des Roten Kreuzes habe die Schweiz in der internationalen Gemeinschaft eine besondere Rolle.
swissinfo und Agenturen
Im September 2005 veröffentlicht die regierungsnahe rechtsbürgerliche dänische Zeitung Jyllands Posten zwölf satirische Karikaturen des Propheten Mohammed.
Diplomatische Vertreter mehrerer arabischer Länder protestieren darauf bei der Regierung Rasmussen und verlangen eine Entschuldigung, was der Ministerpräsident vorerst ablehnt.
Als nächstes druckt am 10. Januar 2006 ein norwegisches Magazin und später weitere europäische Zeitungen, auch in der Schweiz, einzelne der Karikaturen nach.
Anfang Februar eskalieren die muslimischen Proteste, richten sich gegen weitere europäische Länder und haben bereits mehrere Todesopfer gefordert.
Gemäss der Volkszählung 2000 leben in der Schweiz 311’000 Muslime.
Die meisten von ihnen stammen aus dem Balkan oder der Türkei.
Ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung ist von 2,2% im Jahr 1990 auf 4,3% im Jahr 2000 gestiegen.
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