Altersheimen droht Engpass beim Pflegepersonal
Weil der Anteil der älteren Menschen auch in der Schweiz stark zunimmt, wird auch mehr Personal benötigt, das die Senioren pflegt. Genau hier zeichnet sich ein Engpass ab: In den nächsten 15 Jahren wird die Hälfte des Personals in der Altenpflege selber pensioniert.
Es ist Valentinstag. Ein Dutzend Senioren sitzen an einem Tisch, der mit Schokoladeherzen verziert ist. «Erinnert Ihr Euch, was Ihr für Geschenke gemacht habt, als Ihr verliebt wart?», fragt eine Pflegerin, die selbst nicht mehr die Jüngste ist.
Die Antworten kommen tröpfchenweise. «Eine Reise. Nach Paris?», sagt jemand. «Ein goldener Ring mit einem Diamanten», jemand anderer. «Blumen, aus dem Garten der Nachbarn stibitzt», sagt eine Frau, schelmisch lächelnd.
Die am Tisch versammelte Runde trifft sich jeden Freitag im Domicil Baumgarten, einem Altersheim in Bern. Die Anwesenden sind noch keine Bewohner, sondern sie kommen hierher, um der sozialen Isolation zu entfliehen. Oder damit sich die mit der Pflege betrauten Familienangehörigen eine Pause gönnen können.
Wachsende Nachfrage
Im Baumgarten werden jedes Jahr nur rund 25 Plätze frei, sagt Direktor Kurt Wegmüller. Sein Haus ist stets zu 98% belegt, die Warteliste für die Wohnabteilung der Bewohner, die noch nicht auf Pflege angewiesen sind, umfasst 300 Personen. Für die Pflegeabteilung führt Wegmüller keine Liste, müssen doch hier die Bewohner kurzfristig aufgenommen werden können.
Mit seinen 21 Häusern ist Domicil im Kanton Bern der grösste Betreiber von Betagtenheimen. Das Durchschnittsalter der Bewohner der Domicil-Heime ist 85 Jahre, deren Aufenthalt beträgt im Schnitt dreieinhalb Jahre. Von den insgesamt rund 1500 Domicil-Bewohnern sind etwa 1000 auf Pflege angewiesen, viele wegen Demenz.
Die Nachfrage nach Pflegeplätzen nimmt in der Schweiz zu. Die Zahl der Über-65-Jährigen werde zwischen 2005 und 2030 um 66% zunehmen, kam das Schweizerische Gesundheits-Observatorium in einer Studie zum Schluss. Allein diese Gruppe werde die Hälfte des gesamten Pflegepersonals in Anspruch nehmen. In einem Vierteljahrhundert wird sich laut der Studie die Zahl der Über-80-Jährigen verdoppeln.
Zum Glück mangelt es nicht an Interesse der Jungen für die Pflegeberufe. Pflegeassistentin oder Pflegeassistent ist bei Teenagern Wunschberuf Nummer 3. Für die 40 Ausbildungsplätze, die das Berner Uni-Spital jährlich anbietet, gehen 300 Bewerbungen ein.
«Junge Menschen zieht es tendenziell in Spitäler, ältere mit Lebenserfahrung eher Richtung Langzeit-Pflege», sagt Domicil-Chef Heinz Hänni.
Henriette Schmid, Leiterin der Abteilung Aus- und Weiterbildung am Berner Universitätsspital Insel, die früher selbst als Krankenpflegerin gearbeitet hatte, bestätigt: «Mit 20 war ich an der Medizinal-Technologie, an Operationen interessiert. Vielleicht ist es normal, dass man sich in jungen Jahren nicht notwendigerweise mit dem Alter und chronischen Krankheiten konfrontieren will.»
Gutes Personal nicht verlieren
Um qualifiziertes Personal im Beruf halten zu können, müssen gute Löhne bezahlt werden. Damit der mental und physisch anspruchsvolle Job den Ausübenden nicht verleide, brauche es aber auch eine gute Arbeitsatmosphäre, betont Schmid.
Domicil bietet seinen Angestellten fünf Wochen Ferien, sechs Wochen für Mitarbeiter über 45 sowie eine grosszügige Pension.
Grosse Zufriedenheit ist ein Pluspunkt für die Pflegeheime, die bei ihrer Suche auf dem Arbeitsmarkt auf gutes Personal angewiesen sind. Eine Studie der Universität Basel, in der über 5000 Pflegerinnen und Pfleger aus der ganzen Schweiz befragt wurden, bescheinigten die Autoren diesen eine generelle Zufriedenheit mit ihrer Arbeitssituation. Dazu wurde die Qualität ihrer Pflegearbeit als hoch eingestuft.
«Werden aber Stellen gestrichen, während der Arbeitsumfang derselbe bleibt oder gar steigt, verliert man nach einiger Zeit die guten Mitarbeiter», weiss Henriette Schmid.
Die Basler Studie biete allen teilnehmenden Institutionen den Vorteil, von der Erfahrung der anderen Teilnehmer zu lernen, sagt Hauptautor René Schwendimann.
Mittels Einsicht in eine Datenbank können die Einrichtungen ihr eigenes Abschneiden einsehen und mit dem der anderen vergleichen.
Die Autoren gaben den Verantwortlichen der Pflegeinstitutionen in Gesprächen auch Hinweise für die Interpretation der Resultate.
Aus diesen informellen Gesprächsrunden, an denen gleichzeitig mehrere Betreiber von Pflegeinstitutionen teilgenommen hätten, könnten vielleicht neue Zusammenarbeiten entstehen, hofft René Schwendimann.
Ohne Ausländer geht nichts
In der Basler Studie gaben 90% der Heimverantwortlichen an, dass die Rekrutierung von Personal schwierig sei. Die Institutionen müssen sich neue Ideen einfallen lassen, um Personal finden und dann auch behalten zu können.
Erst recht nach der Abstimmung vom 9. Februar, als die Schweizer Stimmbürger an der Urne die Wiedereinführung von Kontingenten für Zuwanderer aus der EU beschlossen. Werde die Zuwanderung eingeschränkt, könnten Spitäler und Heime in der Schweiz den aktuellen Standard ihrer Pflege nicht weiter gewährleisten, warnten die Gesundheitsdirektoren der Kantone in einer Mitteilung vom 20. Februar.
Domicil beschäftigt total 1350 Mitarbeitende, ein Viertel davon sind Ausländer. «Wir ziehen keine Ausländer vor, aber wir finden für unsere Stellen kaum Schweizer», sagt Heinz Hänni.
Franziska Honegger, Leiterin der Personalabteilung bei Domicil, hofft, dass die Firma die Kontingente erhalten werde, die sie benötigt. Honegger fährt bei der Personalsuche mehrgleisig. Eine Strategie zielt auf Wiedereinsteiger, für Auszubildende bietet Domicil 141 Lehrstellen an, und für die Rekrutierung in EU-Ländern besteht eine Zusammenarbeit mit Partnern.
Die verstärkte Altenpflege verlange Neuerungen auf mehreren Ebenen, sagt Sabina De Geest, Ko-Autorin der Basler Studie. So in der Ausbildung, in den Institutionen selber, der klinischen Behandlung sowie der Zusammenarbeit mit Spitälern, Familienärzten und der Forschung. Die Ansätze reichten vom Design für Senioren-gerechte Möbel und Einrichtungen bis zum Befragen der Bewohner zu ihren Wünschen und Bedürfnissen.
Die Hauptsache aber bestehe in der Erkenntnis, «dass Menschen älter und abhängiger werden», hält De Geest fest. Beim Einsatz aller Technologie in der Pflege älterer Menschen komme es letztlich aber immer auf die Pflege durch das Personal an, ist sie überzeugt.
(Übertragung aus dem Englischen: Renat Kuenzi)
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