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Brauchen Klima-Proteste den zivilen Ungehorsam?

Roter Handschuh mit dem Symbol von Extinction Rebellion
Das Symbol der Extinction Rebellion Bewegung steht stellvertretend für spektakuläre Aktionen, die Aufmerksamkeit für das Thema Klimawandel erzeugen sollen und dabei auch nicht davor zurückschrecken zu illegalen Mitteln zu greifen. Keystone / Valentin Flauraud

Die Umweltbewegung greift in letzter Zeit immer öfter auf radikalere Mittel zurück. Dieses Vorgehen hat eine lebhafte Debatte ausgelöst über die Rechtmässigkeit der Aktionen und ihren Zweck – auch in der Schweiz.

Vor vier Jahren begann Greta Thunberg als 15-Jährige ihren Schulstreik. Sie sass allein und schweigend vor dem Parlamentsgebäude ihrer Heimatstadt Stockholm und hielt ein Schild mit der Aufschrift «Schools Strike for Climate» hoch.

Aus der stillen Einzelgängerin wurde in kürzester Zeit eine globale Protestbewegung, die sich immer lauter wird. Und die in jüngster Zeit vermehrt auch auf radikalere Mittel setzt – wie Autobahnblockaden oder die Selbstanklebung auf Strassen.

Die Aktionen lösen bei vielen Menschen Unverständnis aus. Und auch innerhalb der Klimabewegung ist umstritten, ob es diesen zivilen Ungehorsam tatsächlich braucht, um die Bevölkerung aufzurütteln und einen Wandel in der Klimapolitik zu bewirken. Oder ob die Aktionen dem Ziel eher schaden.

Es geht ums gehört werden

Professor Robin Celikates von der Freien Universität Berlin, der sich seit mehr als einem Jahrzehnt mit Protestbewegungen beschäftigt, hat auf die Frage eine dezidierte Antwort: «Proteste müssen drastisch sein, weil der Protest seine symbolische Wirkung als Beitrag zur öffentlichen Diskussion und zur politischen Auseinandersetzung nur entfalten kann, wenn er auch wahrgenommen wird».

Und das gelinge vor allem durch Interventionen wie zum Beispiel Strassenblockaden. Denn so werde «Aufmerksamkeit generiert, Druck aufgebaut und die Öffentlichkeit in gewisser Hinsicht ein Stück weit auch gezwungen, sich zu positionieren».  

Für Celikates ist klar, dass der Protest in einer Demokratie eigentlich immer symbolisch und störend zugleich ist. Bei Aktionen des zivilen Ungehorsams sei der gezielte und begrenzte Rechtsbruch wesentlich, «aber damit wird der Protest nicht insgesamt illegal, und er wird auch nicht illegitim».

Gezielte Grenzüberschreitungen

Auch Helen Keller, Professorin für Völkerrecht, Europarecht und öffentliches Recht an der Universität Zürich, weist auf den Unterschied zwischen Legalität und Legitimität hin: Zwar beurteile die Justiz einige dieser Aktionen klar als illegal, nicht aber als illegitim.

Girl with six eyes
Ein junges Mädchen liegt auf dem Boden vor der Schweizer Bank UBS, während eines «Klimamarsches» unter dem Motto «Jetzt handeln», in Lausanne, Schweiz, Samstag, 3. September 2022. Salvatore Di Nolfi/Keystone

«Der zivile Widerstand baut grundsätzlich darauf auf, die Grenzen des Gesetzes zu überschreiten», sagt Keller. Die Aktivist:innen müssten damit rechnen, die Konsequenzen ihres Handelns zu tragen. Die Frage nach der Legitimität der Aktionen stelle sich bei der Beurteilung des Strafmasses. «Je legitimer die Beweggründe, desto kleiner das Strafmass», so Keller.

Keller, die von 2011 bis Ende 2020 als Richterin am europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg arbeitete, streicht heraus, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte nationale Behörden wiederholt darauf hingewiesen habe, bei unbewilligten Demonstrationen mit einer gewissen Grosszügigkeit zu reagieren. «Denn wir dürfen diese Bewegungen nicht einfach im Keim ersticken.»

Demokratien leben vom Protest

Meinungsäusserungsfreiheit und Versammlungsfreiheit seien zentrale Pfeiler einer lebendigen Demokratie, sagt Keller. «Eine Demokratie profitiert davon, dass die Leute auf die Strasse gehen können. Und solange sie friedlich sind, muss man sie gewähren lassen». Ob man deren Ziele teile oder nicht, sei völlig irrelevant.

«Die demokratischen Errungenschaften, auf die wir heute stolz sind, hätte es ohne Proteste nicht gegeben.» Robin Celikates 

Deshalb dürfe auch die Umweltbewegung den öffentlichen Raum nutzen, um ihre Anliegen zu formulieren. «Sobald sie strafrechtlich relevante Handlungen begehen, muss die Polizei eingreifen». Doch sei es nicht Aufgabe der Politik, präventive Massnahmen gegen die Klimaaktivisten zu fordern oder diese mit besonders harter Hand anzufassen, ist Keller überzeugt.

Celikates teilt die Meinung, dass Protestbewegungen das Elixier einer Demokratie sind: Im internationalen wie auch im historischen Vergleich seien die Klimaproteste nicht besonders radikal, vor allem nicht in Bezug auf die Zielsetzung. «Eigentlich geht es darum, dass die Regierungen daran erinnert werden, wozu sie sich bereits verpflichtet haben. Die Ziele des Pariser Klimaabkommens umzusetzen», sagt Celikates.

Diese Proteste der Umweltbewegung haben für Aufregung gesorgt:

Er erinnert an den Kampf für die Frauenrechte, für die Rechte von Minderheiten oder die US-amerikanische Bürgerrechtsbewegung. «Die demokratischen Errungenschaften, auf die wir heute stolz sind, hätte es ohne Proteste nicht gegeben».

In den allermeisten Fällen werde demokratischer Fortschritt nicht durch Druck von oben durchgesetzt, «sondern weil bestimmte benachteiligte Gruppen lautstark ihre Rechte einforderten, durch Strassenproteste und zum Teil noch radikalere Aktionen», so Celikates. Deswegen gehörten Protestbewegungen genauso zu einer lernfähigen Demokratie wie Parteien, Gerichte oder gewählte Parlamente.

«Diese Gruppierungen, müssen irgendwann eine breitere Schicht in der Bevölkerung ansprechen und diese von ihrem Anliegen überzeugen.» Helen Keller

Was kommt danach?

Aber auch ein Protest müsse lernfähig bleiben und das eigene Handeln kritisch evaluieren – im Lichte der öffentlichen Reaktion und der Frage, ob die gewählten Mittel letztendlich zur Realisierung der Ziele beitrügen.

Denn die Effektivität sei neben der Frage der Legitimität und der Rechtfertigung im Einzelfall tatsächlich sehr wichtig. «Ich persönlich bin zum Beispiel auch nicht überzeugt, dass Blockaden im Berufsverkehr sinnvoll sind», sagt Celikates.

Denn diese träfen ja diejenigen Leute, die morgens um sieben Uhr mit dem Auto zur Arbeit fahren müssten und die wahrscheinlich genau nicht zu dem einen Prozent der Bevölkerung gehörten, das mit seinem Lebensstil massiv zur Klimakrise beitrage oder verhindere, dass die Klimakrise adäquat adressiert werde.

Auch für Keller ist klar, dass diese Massnahmen des zivilen Ungehorsams allein nicht erfolgreich sein können. Nur mit Protesten komme man nicht weiter. «Gruppierungen, die mit solchen Aktionen arbeiten, müssen irgendwann eine breitere Schicht in der Bevölkerung ansprechen und diese von ihrem Anliegen überzeugen».

Allein die Erregung der öffentlichen Aufmerksamkeit sei noch kein Erfolg. «Zielführend für die Klimabewegung ist nicht, dass wir darüber sprechen. Zielführend wäre, dass endlich etwas gemacht wird, um das Klima besser zu schützen».

Editiert von Marc Leutenegger

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Debatte
Gastgeber/Gastgeberin May Elmahdi Lichtsteiner

Wie kann ein Wandel in der Klimapolitik bewirkt werden?

Die Aktionen der Umweltbewegung scheinen in der breiten Bevölkerung oft Unverständnis auszulösen. Was ist Ihre Meinung?

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