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Der Schweizer Beitrag zum Aufbau Italiens

Die Textilindustrie war eine der bevorzugten Branchen der Schweizer Unternehmer, wie der Zürcher Carl Abegg. wikipedia

Im ausgehenden 19. Jahrhundert lebte eine bedeutende Gemeinschaft an Auslandschweizern in Italien. Viele von ihnen spielten eine wichtige Rolle in der ökonomischen Entwicklung im benachbarten Stiefelland, beispielsweise in der Hotellerie.

«…die Schweizer, ausländische Barbaren, ungläubige Menschen; habgierig und unmenschlich, Feinde von Rom und des italienischen Namens.» Marc Antonio Altieri fällte in seiner Schrift «Li Nuptiali» sicherlich kein gnädiges Urteil über die Schweizer Soldaten, die sich vor fünf Jahrhunderten «schuldig» gemacht hatten, die verdienstvollen Römer von ihrer Aufgabe als päpstliche Wache verdrängt zu haben.

Es ist nicht bekannt, ob diese Meinung Altieris von der Bevölkerung Roms geteilt wurde. Und wir wissen auch nicht, ob diese Schweizer – immerhin handelte es sich um abgehärtete Söldner – «habgierig und unmenschlich» waren. Sicher ist aber: Die «Feinde Roms» spielten  drei Jahrhunderte später – also im 19. Jahrhundert- eine wichtige Rolle in Italien, vor allem in der Hotellerie, im Bankenwesen und in der Textilindustrie.

Im Gegensatz zu einer nahe liegenden Annahme waren die Schweizer in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhundertes vor allem in Süditalien präsent. «Die Bourbonen machten Gebrauch von Schweizer Truppen, und dies erklärt teilweise die Beziehung zu Süditalien; im Übrigen bestand die Gemeinschaft der Schweizer vor allem aus Deutschschweizern protestantischen Glaubens», sagt der Historiker Mauro Cerutti.

Als einer der ersten Pioniere kam Jean-Jacques Egg 1812 mit hundert Zürcher Familien nach Neapel, um in Piedimone d’Alife, einem kleinen Dorf in Kampanien, mit den ersten mechanischen Webstühlen eine Baumwollspinnerei zu gründen.

Aktiv im Baumwoll-Business

Viele Industrielle folgten dem Beispiel Eggs. Insbesondere im Raum Salerno waren die Familie Wenner, Züblin, Vonwiller und Meyer aktiv. Sie unterhielten Fabriken mit bis zu 1500 Arbeitern und setzten ihre Produkte weltweit ab. Salerno trug damals auch den Spitznamen «Manchester beider Sizilien».

Das norditalienische Dreieck Turin-Genua-Mailand erreichten die Schweizer Baumwoll-Unternehmer etwas später, das heisst in der Zeit nach der Einigung Italiens. Mit Ausnahmen: So gründeten die Brüder Müller aus Zofingen im Jahr 1807 eine Spinnerei in Intra am Lago Maggiore.

Historiker Mauro Cerutti weist darauf hin, «dass die Präsenz von Schweizer Unternehmern vor allem im Raum Bergamo und Turin von grosser Bedeutung war». Er erinnert an Persönlichkeiten wie Augusto Abegg, den Gründer der bedeutenden Baumwollspinnerei Vallesusa.

Ende des 19. Jahrhunderts gab es 65 Schweizer Spinnereien in der Provinz Bergamo und 14 in der Provinz Turin. Viele dieser Firmen beschäftigten zwischen 1000 und 2500 Arbeiter, wie der Historiker Georges Bonnant fest gehalten hat, der Anfang der 1970er-Jahre eine Forschungsarbeit über die Schweizer Emigration nach Italien publizierte.

Schweizer gründen Grand-Hotels

Der Schweizer Beitrag zur italienischen Wirtschaft ging aber über die Textilindustrie hinaus. «Die besten Hotels werden in der Regel von Schweizern geführt», hielt Gustave Flaubert in einem «Wörterbuch der Gemeinplätze» fest. Auch wenn es sich nur um einen Gemeinplatz handelt, ist es ein wichtiger Leistungsausweis für die Schweizer Hoteliers.

Ihr Know-How exportierten die Hoteliers nach Italien, wo sie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Tourismus-Industrie aufbauten. «Da es noch keinen Wintersport gab, schlossen die Hotels in den Schweizer Alpen, beispielsweise im Engadin, während der Wintersaison. Die Investitionen rentierten nicht. So wurde die Idee geboren, die Saison weiter im Süden zu verlängern. Sonst wäre das Personal arbeitslos geworden», hält Historiker Cerutti fest.

In Italien entstand eine Reihe von Grand-Hotels, die auf Initiativen von César Ritz, Alphonse Pfyffer, Joseph Bucher-Durrer oder Adolf Angst zurückgehen. Ende des 19. Jahrhunderts befanden sich 48 berühmte Grand-Hotels (und unzählige kleinere Hotels) in der Hand von Schweizern. Diese Entwicklung wurde auch durch Schweizer Privatbankiers ermöglicht, die sich in Italien niedergelassen hatten.

Schweizer Banken ergreifen Initiative

In der Tat ist die Präsenz von Schweizer Bankiers bereits im 18. Jahrhundert nachgewiesen. So gründete beispielsweise ein Emigrant aus dem Thurgau im Jahr 1762 in Neapel die Banca Meuricoffre, die 1905 vom Credito italiano gekauft wurde.

«Auch wenn die ersten Banken italienischen Ursprungs waren, beispielsweise Monte dei Paschi in Siena, waren die Kompetenzen der Schweizer in diesem Fach früh anerkannt», hält Mauro Cerutti fest. Die Genfer De La Rüe wurden beispielsweise die «Bankiers von Camillo Cavour» genannt. Sie finanzierten wichtige Bauwerke wie die Eisenbahnstrecke Turin-Alessandria.

Mit der industriellen Revolution, die in Italien gegen 1890 einsetzte, wurden auch die Schweizer Finanzinstitute auf italienischem Boden aktiv. Der Basler Bankverein, die Union financière aus Genf oder die Credit Suisse beteiligten sich beispielsweise 1894 an der Gründung der Banca commerciale italiana, die zusammen mit dem Credito italiano die Industrialisierung des Landes finanzierte.

Am Aktienkapital des Credito italiano waren im Übrigen ebenfalls Banken mit Schweizer Wurzeln beteiligt, wie die Banca Vonwiller aus Mailand, die Kuster-Bank in Turin und die Banca commerciale aus Basel.

Die Schweizer Banken beobachteten die Entwicklung nicht nur aus der Ferne. Oft gab es eine enge Kooperation mit Italien. Die Credit Suisse delegierte ihren Präsidenten in der Banca commerciale italiana, Carl Abegg-Arter, in den Verwaltungsrat eines gewaltigen Textilunternehmens.

Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs erfuhren die Aktivitäten der Schweizer in Italien einen abrupten Stopp. Im Jahr 1918 waren alle Schweizer Textilunternehmen in Süditalien in italienische Hände übergegangen.

Trotzdem waren die gegenseitigen Verbindungen noch sehr intensiv. 639 Unternehmen «einer bestimmten Wichtigkeit» konnten «vollständig oder teilweise auf Schweizer Kapital bauen», wie aus einer Studie der Schweizer Verbindung in Rom aus dem Jahr 1918 hervor geht.

«Im 19.Jahrhundert standen die arbeitsintensiven und unternehmerischen Aktivitäten im Vordergrund; es zählte die Dynamik einzelner Personen und Familien», meint Historiker Cerutti. «Im 20.Jahrhundert wurde das Kapital wichtiger, damit überwogen die finanziellen Dienstleistungen.»

Im  19. Jahrhundert und zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab es keine präzisen Erhebungen zur Zahl der Schweizer, die in Italien lebten. Die Auslandschweizer waren damals noch nicht dazu verpflichtet, sich bei einer diplomatischen Vertretung ihres Heimatlandes zu melden.

Gemäss Schätzungen der Schweizer Verbindung in Italien lebten im Jahr 1898 rund 15’000 Schweizer in Italien.

Gemäss einer italienischen Volkszählung aus dem Jahr 1901 lebten 10’744 Schweizer in Italien. Dies war quantitativ die zweitbedeutendste Ausländergemeinschaft nach den Österreichern (10’922) und vor den Deutschen (10’715). Die wichtigsten Schweizer Kolonien in Italien befanden sich damals in Mailand (5000), Turin (2200), Neapel (1200), Livorno (1200) und Rom (700).

Im Jahr 2009 lebten in Italien 48’638 Schweizerinnen und Schweizer (38‘672 mit doppelter Staatsbürgerschaft). In den  letzten 10 Jahren stieg die Zahl konstant an: 2000 waren es 41’140 Personen.

Die Gemeinschaft der Schweizer in Italien steht weltweit an vierter Stelle. Die meisten Auslandschweizer leben in Frankreich (179’106), Deutschland (76’565) und den USA (74’966).

(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)

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