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Die Königin des Himalaya in der Schweiz

Luftaufnahme der Westseite des 8125 hohen Nanga Parbat. Keystone

Die spanische Bergsteigerin Edurne Pasaban hat als erste Frau nachweislich alle 14 Achttausender der Erde bestiegen. Am Bergfilmfestival in Lugano-Massagno sprach sie darüber, wie sie bei dieser gewaltigen Unternehmung an ihre physischen und psychischen Grenzen gelangte.

Natürlich war es am Ende ein Wettrennen. Und für Edurne Pasaban schien es verloren, als die Koreanerin Oh Eun-Sun am 27. April dieses Jahres den Fuss auf den Gipfel des Annapurna (8091 m) in Nepal setzte. Pasaban komplettierte ihre Sammlung der 14 Achttausender erst drei Wochen später mit der Ersteigung des Shishapangma (8027 m).

Doch bei der Koreanerin wurde der Weltrekord inzwischen angezweifelt, insbesondere soll ihre angebliche Besteigung des Kangchendzönga am 6.Mai 2009 nie erfolgt sein. Ihr eigener koreanischer Alpin-Verband hat diesen Gipfelsturm nicht anerkannt. Und auch sonst machte sich die Koreanerin angesichts ihres gewaltigen Materialeinsatzes wenig beliebt.

Für Pasaban bleibt also vorläufig das Primat. Doch wie wichtig sind eigentlich diese Rekorde, fragt sich ein Zuschauer, wenn er ihre Bilder und Videos von den Himalaya-Gipfeln sieht, wenn sie von den Freuden und Leiden oder zwei abgefroreren Zehen am K2 erzählt.

Tiefe Depression

Tatsächlich ist Pasaban trotz oder auch wegen ihrer gewaltigen Leistung eine sensible Frau geblieben, die offen über ihre Schwächen und Ängste spricht. So thematisiert sie ihre schwere Depression, die sie nach der Besteigung des Nanga Parbat (8125 m) im Jahr 2005 befiel.

«Ich habe mich gefragt, was ich eigentlich für eine Frau bin, die nur für die Berge da ist.» Ihre Freundinnen hätten Familie gegründet und Kinder bekommen. Sie hingegen lebe ohne feste emotionale Beziehung, und auch finanziell fusse ihre Existenz auf dünnem Eis.

Zwei Monate verbrachte sie im Spital. Und es wurde ihr klar, dass sie eine feste Gruppe brauchte, um ihre Expeditionen weiter ausführen und jedes Jahr mehrere Monate im Himalaya verbringen zu können. Sie fand verlässliche Partner, die sie stützen, und eine Zusammenarbeit mit dem spanischen Fernsehen.

Zwei Mal mit künstlichem Sauerstoff

Kurios ist, dass Pasaban als ersten Achttausender gleich den Everest (8848 m) erstiegen hat. Das war 2001 und damals griff sie zu künstlichem Sauerstoff, was nicht ihrer heutigen Bergsteigerphilosophie entspricht.

«Ich war erstmals in dieser Höhe, daher wusste ich nicht, wie mein Körper reagiert», erklärt sie diesen scheinbaren Widerspruch. Um sich vom Makel zu befreien, will sie nächstes Jahr den Everest nochmals ohne künstlichen Sauerstoff erklimmen.

Auch ein zweites Mal musste Pasaban auf die Sauerstoff-Flasche zurückgreifen – 2009 im Abstieg vom Kangchendzönga zwischen Lager 3 und Lager 1. «Ich wollte weitergehen, aber mein Körper wollte nicht mehr», erinnert sie sich. Der Arzt habe ihr den künstlichen Sauerstoff wie Medizin verordnet. «Sonst wäre ich wohl gestorben», sagt die Bergsteigerin aus dem Baskenland.

Sponsor gefunden

In den letzten Jahren spürte Pasaban starken Auftrieb. Der Wettkampf um den Weltrekord der Achttausender spornte sie an, wie sie eingesteht. Mit ihrer österreichischen Rivalin Gerlinde Kaltenbrunner, mit der sie sich gut versteht, erreichte sie teilweise am selben Tag einen Gipfel – in unterschiedlichen Expeditionen.

Pasaban konnte auch einen Sponsoren finden. «In ganz Spanien gibt es nur zwei Bergsteiger, die von diesem Sport leben können», sagt die studierte Ingenieurin, die sich über Jahre mit der Führung eines Restaurants wirtschaftlich über Wasser hielt.

Das grösste Glücksgefühl, sagt die Höhenbergsteigerin, habe sie im übrigen nicht auf einem Himalaya-Gipfel, sondern jeweils 10 Meter vorher: «Dann weisst du, dass dir niemand mehr den Gipfel nehmen kann.»

Familie und Freunde

Welche Ziele steckt sich eine Person, nachdem sie alle Achttausender erreicht und 10 Jahre des Lebens in Himalaya-Expeditionen gesteckt hat? Besteht nicht die Gefahr, in eine Leere zu fallen?

«Ja, natürlich», sagt die Bergsteigerin. Daher wolle sie nun neue Akzente in ihrem Leben setzen. Sie widme ihrer Familie viel Zeit. Sie gehe auch wieder mit ihren alten Freunden Klettern; der Spass stehe im Vordergrund. All das, worauf sie über Jahre verzichtet hat.

Vielleicht wird sie auch noch eine eigene Familie gründen und Mutter werden: «Die neuen Ziele sind ganz persönlicher Art.»

Im Himalaya gab es in den letzten Jahren ein echtes Kopf-an-Kopf-Rennen um den Weltrekord, als erste Frau alle 14 Achttausender bestiegen zu haben.

Protagonisten waren die Italienerin Nives Meroi (49), die in Deutschland lebende Österreicherin Gerlinde Kaltenbrunner (39) sowie Edurne Pasaban (37) aus Spanien.

Als vierte im Bunde tauchte relativ spät die Koreanerin Oh Eun Sun (44) auf, welche jedoch ihre Konkurrentinnen überholte, teils mit drei Gipfelbegehungen pro Jahr. Ihre Bezwingung des Annapurna dieses Jahr und damit das Erreichen des vermeintlichen Weltrekords wurde in Korea gefeiert wie der Fussballweltmeister-Titel in Spanien.

Abgesehen von einer angezweifelten Gipfelbesteigung wurde Oh Eun Sun massiv kritisiert. Sie nutzte die Normalwege, setzte massiv Hochträger und Fixseile ein und verwendete an den hohen Gipfeln (sicherlich an Everest und K2) Flaschensauerstoff. «Das Niveau bewegte sich eher auf dem Niveau kommerziell geführter Bergreisen, statt profisportlicher Exzellenz», hiess es in einem Beitrag der Zeitschrift des Deutschen Alpenvereins.

Gerlinde Kaltenbrunner war am 6. August 2010 kurz vor dem K2-Gipfel – ihres letzten Achttausenders – umgekehrt, nachdem ihr schwedischer Bergkamerad Frederik Ericcson abgestürzt war. Nives Meroi hat bisher elf Achttausender bestiegen.

Den Weltrekord im Höhenbergsteigen mit der Bezwingung aller Achttausender kommt bei den Männern dem Südtiroler Reinhold Messner (*1944) zu, der die Sammlung am 16. Oktober 1986 komplettierte.

Auf den zweiten Rang brachte es der Pole Jerzy Kukuczka im Jahr 1987. Zwei Jahre später stürzte er in der Lohtse-Südwand ab und starb.

Den dritten Platz in dieser ewigen Rangliste hält ein Schweizer: Der Freiburger Erhard Loretan (*1959). Er schloss seine Sammlung 1995 ab.

Das Bergfilm-Festival «Festival dei Festival» von Lugano (Rassegna Internazionale dei festival della cinematografia Alpina) wurde 1994 vom Alpinisten Marco Grandi ins Leben gerufen.

Sinn und Zweck dieses Festivals ist es, das alpine Bergsteigen und generell die alpine Kultur zu thematisieren.

Neben reinen Filmabenden gibt es daher auch thematische Events, bei denen Protagonisten des Alpinismus zu Wort kommen.

Die diesjährige Ausgabe fand vom 4. bis 13. September statt.

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