«Die Standesbeamtin» ist Auslandschweizerin
Auf der Bühne zu stehen ist immer aufs Neue grossartig, sagt Marie Leuenberger, Ensemblemitglied am Schauspielhaus Hamburg. Nun hat die gebürtige Baslerin für ihre Rolle im Film "Die Standesbeamtin" den Schweizer Filmpreis 2010 erhalten.
Eigentlich könnte sich Marie Leuenberger entspannt zurücklehnen. Die Dinge laufen gerade ganz gut für sie.
Als Mitglied im Ensemble des Schauspielhauses Hamburg ist die Schweizerin in der laufenden Saison gleich in sieben Stücken auf der Bühne zu sehen; ausserdem ist sie für ihre Rolle in dem Kinofilm «Die Standesbeamtin» für den Schweizer Filmpreis «Quartz 2010» nominiert, der am 6. März in Luzern verliehen wird.
Drei Auszeichnungen hat sie für die Rolle bereits bekommen, unter anderem den Preis für die beste Darstellerin am Festival «Films du monde» im kanadischen Montreal.
Doch die 29-jährige Schauspielerin will sich nicht auf Lorbeeren ausruhen. Schliesslich ist sie gerade dabei, ihr Leben neu zu organisieren. Im Juni läuft der Vertrag mit Hamburg aus, und Marie Leuenberger wird ihn nicht verlängern.
Sie will das Jahr nutzen, um neue Erfahrungen zu sammeln: Vielleicht geht sie für ein paar Monate ins Ausland, macht einen Sprachkurs oder jobbt eine Zeitlang als Kellnerin.
«Ich habe mich zu lange und zu sehr nur mit der Schauspielerei identifiziert. Damit soll erstmal Schluss sein», sagt die junge Frau, die zum Interview in Wanderschuhen erschienen ist, was irgendwie schweizerisch wirkt, aber wohl eher damit zu tun hat, dass die Trottoirs in Berlin mit einer dicken Eisschicht überzogen sind.
Aufmerksam blickt Marie Leuenberger ihr Gegenüber aus grünbraunen Augen an – so, als wolle sie prüfen, wie die Aussage wirkt. Ist ihre erste Liebe, wie sie das Theater immer bezeichnet hat, in die Jahre gekommen? Sie schüttelt den Kopf.
«Ich will weiterhin Schauspielerin sein», stellt sie klar. Doch wie in jeder langjährigen Beziehung sei die romantische Phase irgendwann vorbei und man beginne kritische Fragen zu stellen. «Ich bin froh um die veränderte Perspektive», sagt Leuenberger, «weil sie mir ein Gefühl von Kraft und Unabhängigkeit gibt».
Eine Leidenschaft explodiert
Aufgewachsen ist Marie Leuenberger in Basel. Mit 16 besucht die Gymnasiastin einen Theaterkurs, vorher hat sie Ballett getanzt, Handball und Klavier gespielt. Auf der Bühne sei eine Leidenschaft explodiert, meint sie, die sie nicht mehr losgelassen habe.
Leuenberger wird ans Junge Theater Basel berufen und bewirbt sich noch vor der Matura für die Schauspielschule in München. 700 junge Frauen und Männer stellen sich vor, zehn werden aufgenommen – darunter Marie Leuenberger.
Im gleichen Tempo geht es weiter: Nach drei Jahren Ausbildung erhält sie ein Angebot vom renommierten Münchner Residenztheater. Die 22-Jährige unterzeichnet einen Dreijahresvertrag, obwohl ihr Bauch Nein sagt.
«Ich hätte wissen müssen, dass diese Art von Theater mir überhaupt nicht entspricht.» Das Residenztheater sei veraltet, ein Museum mit verkrusteten Hierarchien, «ohne Platz für Improvisation und spontanes Spielen».
Nach nur einem halben Jahr kündigt Marie Leuenberger ihr erstes Engagement, geht ans Staatstheater Stuttgart und folgt dessen Intendanten 2005 nach Hamburg, wo sie bis heute arbeitet und lebt.
Schublade «junger Hüpfer»
«Das Theater gibt mir unglaublich viel Freiraum, mich auszuprobieren», sagt Leuenberger. Auf der Bühne zu stehen, den Raum zu füllen und die Reaktionen des Publikums unmittelbar mitzubekommen, das sei immer aufs Neue grossartig.
Weniger schön findet die schmale, fast schon zierliche Frau, dass sie am Theater aufgrund ihres Aussehens auf die Rolle des «jungen Hüpfers» abonniert ist.
Eine Chance, aus der Schublade der Kindfrau herauszukommen, bietet sich ihr, als Regisseur Micha Lewinsky für seinen Film «Die Standesbeamtin» nach Darstellern sucht. Die weibliche Hauptrolle ist eine verheiratete Standesbeamtin und Mutter eines Sohnes, die mitten in einer Ehekrise ihre Jugendliebe wieder trifft und diese mit einer anderen Frau verheiraten soll.
Leuenberger überzeugt beim Casting, und die Theaterfrau steht das erste Mal in ihrem Leben für eine Hauptrolle vor der Kamera. Nur zwei-, dreimal eine Szene zu proben und dann zu drehen, war eine ganz neue Erfahrung.
«Über einen kurzen Zeitraum so intensiv zu arbeiten, war faszinierend. Im Theater wird ein Stück ja über viele Wochen geprobt und im Team erarbeitet.»
Die romantische Komödie avancierte vergangenen Frühling zum Schweizer Publikumsliebling – nicht zuletzt dank Marie Leuenberger. Sie spielt die Standesbeamtin Rahel Hubli mit viel Gespür und Sinn für deren Lebenskrise und versöhnt kritische Zuschauer mit dem ziemlich voraussehbaren Plot.
Leuenberger hofft, dass sie in Zukunft beides parallel machen kann: vor der Kamera und auf der Bühne stehen. Dass sie ab Juni freischaffend ist, verschafft ihr die nötige Flexibilität. «Aber erst einmal will ich mich ein Stück weit neu erfinden,» stellt sie klar.
Paola Carega, Berlin, swissinfo.ch
Der Schweizer Filmpreis «Quartz 2010» wurde am 6. März im KKL Luzern verliehen.
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