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Gräberfelder für Muslime als Generationenfrage

Die Gräber auf dem Friedhof Witikon Zürich sind nach Mekka ausgerichtet. Keystone

Mit der Einwanderung von Muslimen in die Schweiz sind auch muslimische Bestattungen zum Thema geworden. Bisher haben erst wenige Gemeinden spezielle Gräberfelder für Muslime reserviert. Dies wird sich in den nächsten Jahren ändern.

Seit dem Jahr 2000 haben 15 Gemeinden, mehrheitlich in der Deutschschweiz gelegen, einen Teil des Friedhofs für Muslime reserviert. Bis heute haben sich aber nicht sehr viele Muslime dort beisetzen lassen.

In Luzern veranlasste dies Ende April die rechtskonservative Junge Schweizerische Volkspartei (JSVP), die Aufhebung dieser gesonderten Friedhofabteile für Muslime zu verlangen.

In St. Gallen sperrte sich dieselbe Partei gegen ein neues Friedhofsgesetz, das Gemeinden erlauben soll, Grabfelder für Muslime abzugrenzen. Nichts desto trotz hiess das St. Galler Stimmvolk im Juni die Vorlage gut.

Auch im Juni hat in Biel die erste Bestattung eines Muslimen mediale Beachtung gefunden. Das vor einem Jahr ausgeschiedene Friedhofsabteil ist für 800 muslimische Gräber gerechnet.

In die Heimaterde

Die Diskussionen stossen nicht nur bei den Muslimen, sondern auch bei Religionsfachleuten und Friedhofsverantwortlichen auf wenig Verständnis. Letztere begründeten in Basel und Luzern die kleine Anzahl der bestatteten Muslime damit, dass diese der ersten Einwanderer-Generation angehörten.

Angehörige dieser Generation seien noch sehr stark mit dem Herkunftsland verbunden und würden sich deshalb meist in der Heimat bestatten lassen.

Muhammad Hanel von der Vereinigung der Islamischen Organisationen in Zürich (VIOZ) schätzt, dass sich mehr als 90% dieser ersten Einwanderer-Generation im Herkunftsland bestatten lassen. «Dies wird sich aber innerhalb der nächsten Generation ändern, also in 25 Jahren.»

Der Islamwissenschafter Andreas Tunger-Zanetti von der Universität Luzern bestätigt dies. «Die Zahl der muslimischen Bestattungen in der Schweiz wird unfehlbar steigen, wenn die jungen Muslime, die hier geboren sind und hier ihre Wurzeln haben, ins Alter kommen.»

Jeder Einwohner habe in der Schweiz laut Artikel 7 der Bundesverfassung ein Recht auf Bestattung. «Der Auftrag ist klar. Seine Anwendung ist eine Sache der politischen Interpretation», so Tunger-Zanetti. Für ihn sind Gräberfelder für Muslime nicht nur eine Angelegenheit der Menschenwürde, sondern auch ein Beitrag zur Integration.

Integrationsfaktor 

Der Wunsch der muslimischen Gemeinde, dass ihre Verstorbenen in der Schweiz gemäss den Bräuchen bestattet werden können, sei «existentiell», schrieb die St. Galler Kantonsregierung in ihrer Botschaft zum neuen Friedhofsgesetz.

Aufgrund der steigenden Zahl von Muslimen in der Schweiz würde auch die Nachfrage nach Bestattungen hier zunehmen. Die St. Galler Kantonsregierung sieht diese Entwicklung durch jüngste Statistiken bestätigt.

Laut einer im Juni vorgestellten Studie des Schweizerischen Nationalfonds lebten im Jahre 2000 bei der letzten Volkszählung 310’807 Muslime in der Schweiz, die einen Bevölkerungsanteil von 4,26% stellten. 1970 waren es erst 0,26% gewesen.

Kompromisse

Auch im Kanton Zürich, wo 2007 gut 100’000 Muslime oder 8% der Bevölkerung lebten, löste das Thema eine Debatte aus. Seit 2004 gibt es auf dem Friedhof Witikon ein Feld für Muslime, das 320 Gräbern Platz bietet. Im kommenden Herbst wird in Winterthur ein zweites Abteil für 380 Gräber dazu kommen.

«Nach jahrzehntelangem Kampf haben wir etwas sehr Wichtiges erreicht, und wir wissen das sehr zu schätzen», sagt Issa Gerber, Mitglied der Friedhofskommission der Vereinigung der Islamischen Organisationen in Zürich. Seit 2004 haben sich in Witikon 131 Muslime bestatten  lassen.

Für die Bestattungen mussten die muslimischen Gemeinden wie überall Kompromisse eingehen. Üblicherweise werden verstorbene Muslime in einem Leintuch in ein Grab gelegt, das auf ewig ihnen vorbehalten bleibt.

In der Schweiz akzeptierten sie, dass Tote in einem Sarg beerdigt werden, und das in einem Grab, das sie nach ein paar Jahren mit einem anderen Verstorbenen teilen müssen. So werden auf Friedhöfen in der Stadt Zürich innerhalb von 20 Jahren drei Särge ins selbe Grab gelegt.

In La Chaux-de-Fonds werden Tote zwar nicht Richtung Mekka beerdigt, aber immerhin wird ihr Kopf in Richtung Südosten gedreht.

Keinerlei Nachbarschafts-Probleme

Weder in Zürich noch in Liestal, dem Hauptort des Kanton Basel-Landschaft, haben Beerdigung von Muslimen je zu Diskussionen Anlass gegeben, die Nachbarschaft insbesondere mit den Vertretern der anerkannten Landeskirchen funktioniert. Die Polemik, die es bei der Eröffnung der muslimischen Friedhofsabteile gegeben habe, sei ein «Sturm im Wasserglas» gewesen, schrieb ein Mitglied der Liestaler Behörde in der BaslerZeitung.

 

Dennoch: Wird ein Projekt für ein eigenes Gräberfeld für Muslime publik, regt sich meist Opposition. Anders war es dagegen in Köniz bei Bern: Dort lehnte es der Gemeinderat (Exekutive) ab, ein Gräberfeld für Muslime auszusondern. Das Gemeindeparlament jedoch sprach sich für das Vorhaben aus. «Im Kanton Zürich machen uns mit Ausnahme von Zürich und Winterthur die Gemeinden das Leben schwer», berichtet Issa Gerber.

Tunger-Zanetti weist darauf hin, dass Muslime wie die Juden auch die Möglichkeit besitzen, private Friedhöfe einzurichten. «Aber das ist teuer. Es braucht einen Ort, wo die Toten für die Bestattung vorbereitet werden können. Aber ich denke, dass die muslimische Gemeinde die Mittel dafür nicht hat.»

Stirbt ein Muslim oder eine Muslimin, muss der Körper innerhalb 24 Stunden gewaschen und innert 48 Stunden beerdigt werden, damit die Seele den Körper verlassen kann. Nur so ist die Würde der Toten gewahrt.

Entscheidet sich eine Familie für die Rückführung des Toten in das Heimatland, eilt die Zeit: Ein Gerichtsmediziner muss den Sarg versiegeln und eine Art Totenpass ausstellen. Dazu bedarf es einer Reisebescheinigung der entsprechenden Botschaft.

Der Sarg muss in einen Baumwoll-Sack transportiert werden, damit er nicht als Sarg erkannt werden kann. Die Gesamtkosten betragen mehrere tausend Franken.

Muslime werden in einem Tuch beerdigt. Die Gräber sind gegen Mekka ausgerichtet, und ihr Totenfrieden währt ewig.

In diesen Punkten müssen Muslime, wollen sie in ihrer neuen Heimat beerdigt werden, Kompromisse eingehen.

Das erste Geviert für Muslime wurde 1978 auf dem Friedhof von Petit-Saconnex im Kanton Genf eingerichtet. Heute ist das Feld voll besetzt.

Ende 2007 schufen die Genfer Behörden auf dem Friedhof St-Georges neue Felder für Muslime und Juden.

Folgende Städte verfügen über Gräberfelder für Muslime: Basel (seit 2000), Bern (2000), Lugano (2002), Zürich (2004), Liestal (2007), Sissach (2008) Pratteln (2009), Thun (2009), Olten (Datum unbekannt), La Chaux-de-Fonds (2011) und Biel (2011). Im Herbst kommt Winterthur dazu.

Le Locle und Neuenburg wollen wie Köniz (bei Bern) sowie Schlieren und Dietikon (bei Zürich) Friedhofsabteilungen für Muslime schaffen.

Seit Juni ist dies auch im Kanton St. Gallen möglich.

Im Jahre 2000 (letzte Volkszählung) lebten 310’807 Muslime in der Schweiz. Sie stellten damit einen Bevölkerungsabteil von 4,26%.

1970 waren es erst 0,26% gewesen. Die meisten leben in der Deutschschweiz.

Von 100 Muslimen stammten 57 aus Ex-Jugoslawien. Rund 80% der Muslime in der Schweiz praktizieren einen europäischen Islam.

(Übertragung aus dem Französischen: Renat Kuenzi)

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