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Grippeimpfung im Jahr 1 nach der Schweinegrippe

BAG und Hausärzte appellieren mit der neuen Impfkampagne an die Solidarität mit Risikopersonen, beispielsweise ältere Menschen. Keystone

Solidarität gegenüber Risikopersonen steht im Zentrum der neuen Grippeimpf-Kampagne, die das Bundesamt für Gesundheit (BAG) und Hausärzte lanciert haben. Die Stiftung für Konsumentenschutz unterstützt das BAG, vermisst aber Zahlen über die Wirksamkeit der Impfungen.

Im August erklärte die Schweizer Regierung die Schweinegrippe-Pandemie des letzten Winters offiziell für beendet. In Erinnerung bleiben ein grosser Medienrummel, die relativ geringe Verbreitung des Virus im Land, eine Impfkampagne mit geringerer Resonanz, grosse Logistikprobleme sowie ein riesiger Restposten millionenteurer Impfdosen. Diese mussten schliesslich verschenkt oder vernichtet werden.

Nun rufen das BAG und Hausärzte zur diesjährigen Impfkampagne auf, die unter dem Motto «Gemeinsam gegen Grippe» steht. Neu ist neben dem Solidaritätsappell auch die Zusammensetzung des Impfstoffs. Er enthält sowohl saisonale wie pandemische Viren. Wer sich also in diesem Jahr gegen die saisonale Grippe impfen lässt, erhält gleichzeitig auch eine Impfung gegen die Schweinegrippe. Im letzten Winter waren noch zwei separate Impfungen nötig gewesen.

Auf der Südhalbkugel

Pandemische Viren seien deshalb in der Impfung enthalten, weil die Schweinegrippe in Ländern wie Australien, Neuseeland oder Chile nach wie vor zirkuliere, sagte Daniel Koch, im BAG verantwortlich für den Bereich übertragbare Krankheiten, bei der Vorstellung der Kampagne in Bern. Es sei davon auszugehen, dass sie auch auf der Nordhalbkugel auftreten könne.

Wichtige Säule der Impfkampagne sind die Praxen der Hausärzte. Rund 80% der Allgemeinpraktiker beteiligten sich daran, sagt Marc Müller, Präsident Hausärzte Schweiz.

Im Zentrum der rund einmonatigen Aktion, die schwerpunktmässig bis Mitte November dauert, steht der nationale Grippeimpftag vom 5. November. An diesem Datum können sich alle bei einem Hausarzt ohne Voranmeldung gegen Grippe impfen lassen. Die Pauschalgebühr beträgt 25 Franken.

Rüstige Jungsenioren angepeilt

«In erster Linie sollten Patienten mit einer verminderten Infektabwehr geimpft werden», sagt Marc Müller. Dazu zählt er hauptsächlich die Bevölkerungsgruppen über 65 Jahre. Bei den Jüngeren seien es jene mit immunschwächenden Krankheiten und Behandlungen. Dazu kommen schwangere Frauen (ab dem vierten Monat) sowie Kinder. Der Solidaritätsgedanke kommt darin zum Tragen, dass sich auch Personen impfen lassen sollten, die Kontakte zu Menschen aus den Zielgruppen haben.

Die Gruppe der rüstigen Rentner zwischen 65 und 75 Jahren hebt Müller speziell hervor. Diese seien sehr gesund und unternehmungslustig, aber weil sie kaum einen Arztbesuch nötig hätten, würden die Hausärzte sie relativ schlecht erreichen, so Müller.

«Mit der Kampagne möchten wir gerade die Jungsenioren darauf aufmerksam machen, dass sie eine Verantwortung tragen gegenüber ihren Enkelkindern oder ihren sehr alten Eltern, die vielleicht gebrechlich sind», so der oberste Hausarzt der Schweiz.

Daten vermisst

Sara Stalder, Geschäftsleiterin der Stiftung für Konsumentenschutz (SKS), ist nicht grundsätzlich gegen die Grippeimpfung. Eventuell in Absprache mit dem Hausarzt sollten alle für sich entscheiden, ob sie sich impfen lassen, lautet ihre Devise.

Mühe hat die Konsumentenschützerin schon eher mit der Solidarität als zentrales Argument zur Grippeimpfung. «Das BAG bewegt sich damit auf dünnem Boden, denn es liefert nach wie vor keine Daten über die Wirksamkeit der Grippeimpfungen.»

Dies, obwohl Stalder von der Bundesbehörde seit mehreren Jahren genauere Angaben zur Wirksamkeit von Grippeimpfungen fordert. Nicht einmal die Zahl der geimpften Personen sei bekannt. Immerhin handle es sich bei der Impfaktion um einen volkswirtschaftlichen Kostenfaktor.

«Mittels einer Meldeplattform liessen sich Daten zu Trefferquote, Impfversagen und gesundheitlichen Schwierigkeiten nach der Impfung relativ leicht erfassen und auswerten», sagt Stalder.

Keine Chance bei Viren-Mutation

Die Trefferquote, also jene Fälle, wo die geimpfte Person grippefrei bleibt, gibt Marc Müller mit rund 80% an. Dies gelte aber nur für den Fall, dass das Virus der Saisongrippe tatsächlich zu den drei Viren gehört, die in der Impfung enthalten sind. Sara Stalder dagegen spricht von einer Chance von 50:50, dass die Impfung das «richtige» Virus enthält.

In seiner Einschätzung beruft sich Müller auf den Zyklus von fünf bis sieben Jahren. In dieser Zeit wirke die jeweilige Grippeimpfung sehr gut, weil sich das Virus vom Moment der Definierung bis zum Eintreffen der Grippewelle nicht gross verändere. «Alle sieben oder acht Jahre gibt es aber eine Mutation, der Virenstamm verändert sich grundlegend.» Dann nütze auch die Impfung nichts, schränkt er ein.

Grosser Aufwand

Kritische Stimmen, wonach sich das Bundesamt für Gesundheit und die Hausärzte mit ihrer Kampagne als Zudiener der Pharmaindustrie betätigten, lässt Marc Müller nicht gelten.

Die Hersteller müssten jedes Jahr einen neuen Impfstoff entwickeln, weil man immer erst im Frühjahr definiere, wie dieser aussehen müsse. Überzähliger Impfstoff müsse zudem entsorgt werden. «Der Erfolg hält sich also in Grenzen», bilanziert er.

Abgesehen von den 1000 bis 1500 Personen, die jedes Jahr an der Grippe sterben würden, sei die Krankheit aus epidemiologischer Sicht ein riesiger volkswirtschaftlicher Kostenfaktor. «Da die meisten Opfer aus den Risikogruppen stammen, ist es ein Akt der Solidarität, dass wir diese Risikogruppen und uns selbst davor schützen», sagt Marc Müller.

Sie kann rund zehn Tage dauern.

Das Grippevirus ist insbesondere in geschlossenen Räumen durch Husten, Niesen und via die Hände sehr leicht übertragbar.

Auch Menschen, die selbst keine typischen Grippesymptome aufweisen, können das Virus übertragen. In Spitälern und Pflegeheimen besteht ein erhöhtes Übertragungsrisiko.

Bei älteren Menschen, Säuglingen, Personen mit chronischen Erkrankungen, Schwangeren und Frauen, die im letzten Monat entbunden haben, kann sie zu Komplikationen führen, die einen Spitalaufenthalt erforderlich machen (Lungenentzündungen oder andere bakterielle Infektionen, schwere Atembeschwerden usw.).

Jedes Jahr gehen in der Schweiz 100’000 bis 250’000 Personen wegen grippeartigen Symptomen zu einer Ärztin oder einem Arzt. Etwa 1000 bis 5000 Menschen müssen aufgrund von Grippekomplikationen hospitalisiert werden.

Durchschnittlich sterben jedes Jahr 400 (bis 1500) Personen an den Folgen der Grippe. Bei einer grösseren Epidemie kann diese Zahl zwei bis drei Mal höher liegen (Quelle: BAG).

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